von Richard Strauss (1864-1949), Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel, Libretto: Hugo von Hofmannsthal, UA: erste Fassung: 25. Oktober 1912, Hoftheater Stuttgart, zweite Fassung: 4. Oktober 1916 Wien, Hofoper
Regie: Michael Sturminger, Bühne/Kostüme: Renate Martin, Andreas Donhauser
Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker
Solisten: Silvana Dussmann (Ariadne), Michaela Selinger (Komponist), Julia Bauer (Zerbinetta), Jeffrey Dowd (Bacchus), Heiko Trinsinger (Musiklehrer), Günter Kiefer (Harlekin), Andreas Hermann (Brighella) u.a.
Besuchte Aufführung: 1. Dezember 2012 (Premiere)
Prolog: Im Haus des „reichsten Mannes von Wien“ soll Ariadne auf Naxos uraufgeführt werden, das Erstlingswerk eines jungen Komponisten. Außerdem hat der hohe Herr bei einem Tanzmeister ein Stück der italienischen Improvisationskomödie, der Commedia dell’Arte, bestellt. Als auch noch ein Feuerwerk gewünscht wird, gerät der Haushofmeister in Zeitnot – und ordnet kurzerhand an, daß Oper und Burleske zugleich aufgeführt werden. Der Komponist ist empört, fügt sich aber auf Drängen seines alten Musiklehrers in das Unabwendbare. Die Oper beginnt: Auf einer Insel trauert Ariadne um Theseus, der sie verlassen hat. Vergebens versuchen die leichtlebige Zerbinetta und ihre Commedia dell’Arte-Truppe, Ariadne aufzumuntern. Erst der junge Gott Bacchus, den die Verzweifelte anfangs für den Todesboten hält, holt sie ins Leben zurück. Sie brechen zu einer gemeinsamen Zukunft auf.
Aufführung
Die Bühne zeigt – die Bühne des Aalto-Theaters, kurz vor einer Aufführung. Die Nerven aller Beteiligten liegen blank, es gibt Streit und Eifersüchteleien. Zerbinetta und ihre Komödianten (eine Halbstarkentruppe, die erst einmal genüßlich ein Fastfood-Menü auspackt und es auf der für Ariadne bereitstehenden „wüsten Insel“ verspeist) sorgen vollends für Chaos, ihre an Casting-Shows erinnernden Tanzeinlagen treiben den Komponisten zur Verzweiflung. Schließlich hat man sich so weit sortiert, daß die Aufführung beginnen kann. Zeit- und Spielebenen vermischen sich die Zeit- und Spielebenen: Die Rokoko-Kostüme der Ariadne-Handlung stoßen auf das moderne Outfit der Komödianten, und immer wieder treten die Darsteller aus ihren Rollen. Komponist, Musiklehrer, Tanzmeister und Bühnenarbeiter bleiben Teil des Geschehens. Dabei kommen sich Zerbinetta und der Komponist immer näher. Am Ende siegt die Liebe, ohne Einschränkung und für jeden: Außer Ariadne und Bacchus haben sich noch eine ganze Reihe glücklicher Paare gefunden, einschließlich Harlekin und der Tanzmeister, die selig den Sonnenuntergang (und das Feuerwerk) beobachten. Oper und „wirkliches Leben“ sind eins geworden.
Sänger und Orchester
Lebenslust und Todessehnsucht: Die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz haben die gegensätzlichen Seiten der komplizierten Partei gleichermaßen tief durchdrungen. Musiziert wird hingebungsvoll, weich und geschmeidig, sowohl bei den intimen, kammerspielartigen Momenten als auch bei der schwelgerischen Opulenz des Finales. Ständiger Begleiter ist dabei eine gewisse Eulenspiegelei, augenzwinkernd und verspielt, bei der sich der Wiener Soltesz offensichtlich besonders wohlfühlt.
Das Ensemble wird vom Orchester auf Händen getragen, mit zum Teil sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Silvana Dussmann (Ariadne), darstellerisch ganz distanzierte Primadonna, gelingen schön phrasierte, dynamisch differenzierte Melodiebögen Ein Schönes war. Der Stimme fehlt es jedoch an Wärme und der spezifisch Strauss‘schen Leuchtkraft, die eher zu Michaela Selingers (Komponist) loderndem Mezzo gehören: Wenn sie sich zur Ekstase von Die Musik ist eine heilige Kunst aufschwingt, bleibt kaum jemand unberührt. Schlicht und einfach wunderbar ist Julia Bauer (Zerbinetta) – nicht nur wegen der brillanten, irrwitzig geläufigen Koloraturen und der vollen, runden Spitzentöne, sondern auch (und das fast noch mehr), weil ihre Virtuosität nicht Selbstzweck ist, sondern zu einem klug durchdachten, sehr sympathischen Rollenporträt gehört. Jeffrey Dowd (Bacchus), ein Aalto-Urgestein, kann diesmal nicht überzeugen: Er kämpft sichtlich mit der kurzen, aber mörderisch schweren Partie, die Stimme klingt matt und kraftlos, die hohen Töne erreicht er nur mit schmerzvoller Mühe. Dafür muß Dowd sogar vereinzelte Buhs einstecken. Aus dem Rest des perfekt aufeinander abgestimmten Ensembles ragen Heiko Trinsinger (Musiklehrer) mit charismatischem Bariton sowie Günter Kiefer (Harlekin) und Andreas Hermann (Brighella) mit schönen Soli (etwa Brighellas Es gilt, ob Tanzen, ob Singen tauge hervor.
Fazit
Regisseur Michael Sturminger liegt das Stück sichtlich am Herzen. Damit befindet er sich auf einer Wellenlänge mit seinem Landsmann Soltesz, und diese Harmonie ist in jedem Moment spürbar. Sturminger gelingt mit viel Humor, aber auch großem Respekt vor Musik und Text das Kunststück, aus den so oft blockhaft nebeneinander stehen Teilen der Oper ein (ohne Pause gespieltes) szenisches Ganzes zu schaffen. Der Lohn: Großer, langanhaltender Beifall, für das Produktionsteam ebenso wie für das fast durchweg fantastische Ensemble.
Dr. Eva-Maria Ernst
Bild: Matthias Jung
Das Bild zeigt: „Große Liebe“ Michaela Selinger (Komponist) und Julia Bauer (Zerbinetta)