DER ZAREWITSCH – Greifswald, Theater Vorpommern

von Franz Lehár (1870–1948), Operette in drei Akten, Libretto: Bela Jenbach und Heinz Reichert, UA: 1927, Berlin Deutsches Künstlertheater

Regie: Susanne Knapp, Bühne/Kostüme: Jakob Knapp, Dramaturgie: Katja Pfeifer, Choreographie: Sabrina Sadowska

Dirigent: Egbert Funk, Philharmonisches Orchester und Opernchor,, Choreinstudierung: Anna Töller

Solisten: Bragi Bergthórsson (Der Zarewitsch), Andreas Rüdiger (Der Großfürst), Hans-Jörg Fichtner (Der Ministerpräsident), Liubov Belotserkovskaya (Sonja), Johannes Richter (Iwan), Anette Gerhardt (Mascha), Alexandru Constantinescu (Bordolo), André Pohlai (Wache)

Aufführung: 24. November 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Der Zarewitsch Alexej lebt in seinem Palast wie in einem goldenen Käfig. Er scheut die Außenwelt und duldet keine Frauen in seiner Nähe. Als der Zar schwer erkrankt, schmiedet der Ministerpräsident eine Intrige, um Alexej an die Beziehung zu einer Frau zu gewöhnen und ihn so für die Hochzeit mit einer fremden Prinzessin vorzubereiten: Er schmuggelt die Tänzerin Sonja als jungen Tscherkessen verkleidet in das Prinzengemach. Als der Zarewitsch den Betrug entdeckt, will er sie sofort hinauswerfen – doch weil das für sie das Todesurteil bedeuten würde, tun die beiden so, als wären sie tatsächlich ein Paar. Nach einiger Zeit verlieben sie sich ineinander und fliehen zusammen mit dem Diener Iwan und seiner Frau Mascha nach Italien. Sie verbringen einige glückliche Tage, doch dann stirbt der Zar – und Sonja verzichtet auf ihr privates Glück und die Liebe zu Alexej, um eine blutige Revolution zu verhindern.

Aufführung

Wie gewöhnlich am Theater Vorpommern folgt die Inszenierung einem durchdachten Gesamtkonzept, das diesmal die öffentliche Beobachtung des fürstlichen Privatlebens durch Zeitungen und andere Medien zum Thema hat. Im Programmheft sind unter anderem Hinweise auf die Beziehungen von Edward von Windsor und Wallis Simpson sowie Charles und Diana enthalten. Bühnenelemente, Requisiten und Kostüme sehen aus, als seien sie aus Zeitungsschnipseln zusammengesetzt – selbst die Unterhose des Zarewitschs ist mit Buchstaben bedruckt. Auf dem generell dunklen Hintergrund wird stellenweise mit Projektionen gearbeitet, die Zitate aus bekannten Filmklassikern zeigen, wie beispielsweise die berühmte Treppenszene aus Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin von 1925. An dieser Szene orientiert sich die Gestaltung der Kostüme des einfachen Volkes, mit dem weißen Kinderwagen als zentralem Wiedererkennungselement. Auch in der Choreographie tauchen immer wieder Anspielungen an Filme auf; so nehmen Alexej und Sonja während der Fahrt nach Italien die berühmte Pose von Rose und Jack an der Schiffsspitze der Titanic ein.

Sänger und Orchester

In der Rolle der jungen Tänzerin glänzt die gertenschlanke Liubov Belotserkovskaya (Sonja) nicht nur durch ihr wunderbares Aussehen, sondern auch mit ihrer warmen, volltönenden dramatischen Sopranstimme. Ihr hörbarer Akzent paßt zum Schauplatz und beeinträchtigt die deutliche Artikulation kaum. Ihr Bühnenpartner Bragi Bergthórsson (Zarewitsch) besitzt großes schauspielerisches Geschick und bezaubert mit variablem, zeitweise zartschmelzendem, zeitweise metallisch durchschlagendem Tenor. Anette Gerhardt (Mascha) kann wenig von ihrer gewohnten Stimmgewalt zeigen, weil die Rolle kaum Gelegenheit dazu bietet, aber dafür umso mehr Ausdruck und Bühnenpräsenz. Ähnliches gilt für Johannes Richter (Iwan). In den wichtigen, aber ganz gesprochenen Rollen leisten die erfahrenen Schauspieler Hans-Jörg Fichtner (Ministerpräsident) und Andreas Rüdiger (Großfürst) eine souveräne Vorstellung.

Die Nebenrollen der Journalistinnen, Ballettmädchen und Straßenmusiker werden von Mitgliedern des Opernchores ausgeführt, der auch sonst viel Anteil am Bühnengeschehen nimmt – nicht nur dann, wenn Chorpassagen zu singen sind. Alle Chorsänger agieren mit großem Einsatz und Spaß, wie immer hervorragend eingestellt von Anna Töller, und bieten eine schauspielerische Glanzleistung. Außerdem sind alle Darsteller hervorragend zu verstehen.

Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten in der Intonation weist das Orchester keine merklichen Schwächen auf, spielt allerdings im Verhältnis zu den Sängern häufig zu laut. Wenn die Darsteller sich im hinteren Bereich der Bühne aufhalten, werden sie geradezu übertönt. Das ist an diesem kleinen Haus durchaus ungewöhnlich.

Fazit

Von der sprichwörtlichen Leichtigkeit der Operette besitzt das Werk wenig, auch wenn der verhältnismäßig tiefgründige und schwermütige Stoff mit lustigen Szenen aufgelockert wird; das sonst genretypische Happy-End bleibt aus. Der dunkle Bühnenhintergrund, die Auswahl der eingeblendeten Filmszenen und die bedrückende Allgegenwärtigkeit der Presse in der vorliegenden Inszenierung verstärkt diese Ernsthaftigkeit noch. Das Publikum ist beständig hin- und hergerissen zwischen Lachen und nachdenklichem Mitgefühl – am Ende siegt letzteres. Allerdings ließen sich die Zuschauer durch die bedrückte Stimmung nicht vom verdientermaßen begeisterten und langanhaltenden Applaus abhalten. Besonders der fantastische Auftritt des Chores und seiner einzelnen Mitglieder wurde mit viel Beifall belohnt.

Anna-Juliane Peetz-Ullman

Bild: Gunnar Lüsch/MuTphoto

Das Bild zeigt: Liubov Belotserkovskaya (Sonja), Bragi Bergthórsson (Der Zarewitsch)

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