MÉDÉE – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

Oper in drei Akten,  Musik von Luigi Cherubini (1760-1842), Libretto: François-Benoît Hoffman (neu eingerichtet: Krzysztof Warlikowski und Christian Longchamp), U.A: 13. März 1797 Paris, Théâtre Feydeau

Regie: Krzysztof Warlikowski, Bühne/Kostüme: Malgorzata Szczesniak, Choreographie: Saar Magal, Dramaturgie: Christian Longchamp, Licht: Felice Ross, Videoentwurf: Denis Géguin

Dirigent: Christophe Rousset, Les Talens Lyrique, Chor von Radio France, Choreinstudierung: Stéphane Petitjean

Solisten: Nadja Michael (Médée), John Tessier (Jason), Elodie Kimmel (Dircé), Vincent Le Texier (Créon), Varduhi Abrahamyan (Néris), Ekaterina Isachenko (Erste Dienerin), Ann-Fleur Inizan (Zweite Dienerin)

Besuchte Aufführung: 12. Dezember 2012 (Premiere)

Vorbemerkung

Die Handlung folgt dem griechischen Mythos (s. auch Aufführung vom 12. Oktober 2012)

Ein Vater will seine Tochter an einen jungen Mann aus gutem Hause verheiraten, der von seiner ersten Frau geschieden ist. Die Braut, etwas neurotisch, ist traumantisiert durch die Begegnung mit ihres Bräutigams Ex-Frau. Diese ist eine hochgradig hysterische, triebhafte und völlig unbeherrschte Ausländerin von zweifelhafter Herkunft, die ihren Mann nicht freigeben will. Von allen gedemütigt, diffamiert, vergewaltigt, bringt sie aus Rache schließlich nicht nur die junge Braut, sondern auch ihre und ihres Ex-Mannes Kinder um. So ungefähr präsentiert uns Krzysztof Warlikowski seine Médée und verlegt die Handlung in ein spießbürgerlich selbstgerechtes, eher fremdenfeindliches Milieu der 1960er Jahre. Ein Familiendrama von der Art, wie man es heute immer wieder in der Zeitung zu lesen bekommt.

Aufführung

Als Einheitsdekor erstreckt sich über die ganze Bühne eine Art Turnhalle, die in der Mitte von einem mit Sand gefüllten Steg in zwei Teile getrennt ist. In diesem Raum spielt sich alles ab: Trauung, Tanz, Liebeszenen, Vergewaltigung, Vergeltungszeremonien, Todeskämpfe, usw. Dazu, je nach Szene, die verschiedensten Spiegel- und Beleuchtungseffekte. Die Kostüme sind zeitgenössisch: Der Créon erscheint bei der Trauung im Smoking, in der Vergewaltigungsszene im Jogginganzug mit Handtuch und Sonnenbrillen. Médée, zuerst aufgemacht im Glitzerkleid wie eine Nutte, ist dann meist nur in Unterkleidern. Dircé adrett und sauber, Jason in dunklem Anzug oder in Hose und Unterhemd.

Sänger und Orchester

Nadja Michael ist vielleicht keine Callas, aber sie hat eine umwerfend gewaltige, volle und dramatische Stimme von großer Schönheit. Glaubhaft unheimlich in O Tisiphone! Implacable déesse (3. Akt). Dagegen wirkt John Tessiers Held Jason unscheinbar, umso mehr als seiner Stimme das heldenhafte Timbre fehlt. Dagegen ist Vincent Le Texiers Créon mit vollem klangvollem Baß und entsprechender Bühnenpräsenz ein ebenbürtiger, unbarmherziger Gegenspieler wie im Duett mit Médée Ah! Du moins à Médée, accordez un asile (2. Akt). Elodie Kimmel als verstörte Dircé, versucht mit heller, reiner Stimme ihre Ängste zu überwinden in Hymen! Viens dissiper une vaine frayeur (1.Akt). Unter den Nebenrollen sei vor allem Varduhi Abrahamyan als Néris zu erwähnen, die mit vollem schön timbriertem Mezzo-Sopran Médée zu trösten versucht in Ah! Nos peine sont communes (2. Akt).

Der Chor ist  wirkungsvoll, sowohl visuell wie stimmlich.

Christophe Rousset bemüht sich redlich, der Musik in diesem Spektakel den ihr zukommenden Platz zu erhalten.

Fazit

Eine eindringliche Inszenierung, die zumindest anfänglich die Musik fast in den Hintergrunde drängt, zumal diese ja immer wieder von den gesprochenen Dialogen unterbrochen wird. Dialoge, die zeitgemäß überarbeitet sind. Und außerdem tanzt die Hochzeitsgesellschaft ja auch zwischendurch mal in einem Nachtklub zu den Klängen eines amerikanischen Schlagers.

Man kann damit einverstanden sein oder nicht, aber es läßt sich schwer leugnen, dass Krzysztof Warlikowski eine eindruckvolle Inszenierung auf die Bühne gestellt hat, mit durchaus nachvollziehbaren Situationen.

Es gab deswegen bei anhaltendem Schlußapplaus den heutzutage fast unvermeidlichen, diesmal aber besonders hitzigen Kampf der „Bus“ gegen die „Bravos“

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent Pontet- WikiSpectacle

Das Bild zeigt: Nadja Michael (Médée)

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