von Leonardo Vinci (1690-1730), Dramma per musica, Libretto: Pietro Metastasio (1698-1782)
Dirigent: Diego Fasolis, Concerto Köln
Solisten: Philippe Jaroussky (Artaserse), Max Emanuel Cenčić (Mandane), Franco Fagioli (Arbace), Juan Sancho (Artabano), Valer Barna-Sabadus (Semira), Yuriy Mynenko (Megabise)
Besuchte Aufführung: 17. Dezember 2012 (konzertante Aufführung)
Kurzinhalt
Arbace liebt Mandane, Schwester des Königssohns Artaserse. Da diese Verbindung nicht standesgemäß ist, verjagt König Serse Arbace aus seinem Palast, was Arbace als große Beleidigung ansieht. Dies und die Gier nach der Königsmacht veranlassen seinen Vater Artabano, Präfekt der königlichen Armee, gemeinsam mit dem Armeegeneral Megabise, König Serse im Schlaf zu ermorden. Doch der Mordverdacht fällt auf Arbace. Nun bekennt sich Artabano aber keineswegs zu dem Mord, sondern verurteilt seinen Sohn in königlichem Auftrag zum Tode. Als letzte Rettung seines Umsturzplans beabsichtigt er, Artaserse, den neuen König, durch einen Weinbecher zu vergiften. Diesen Anschlag kann sein Sohn Arbace verhindern. Nun erfahren alle, daß Artabano der wahre Mörder ist. Doch er wird deswegen lediglich aus Persien verbannt.
Sänger und Orchester
Mit der Wiederaufführung von Opern des 17./ frühen 18. Jh. geht die Entwicklung des darin gepflegten Belcanto einher. Es ist die Singtechnik des Canto sul fiato, d.h. des unangestrengten Singens auf ausströmender Atemluft. Es waren die Kastraten (Evirati), die dieses Belcantosingen entwickelten. Das geschah in der Weise, daß sie ihre Stimmen im Gesang mit den Instrumentalisten um die Wette probierten. Dadurch entwickelte sich ein Gesangsstil von außerordentlicher Virtuosität. Mit ihrer „Kehlfertigkeit“ und langem Atem brachten sie das Singen auf ein Niveau, das bis heute niemals wieder erreicht worden ist.
In neuerer Zeit sind die Counter-Tenöre (Alt, Sopran) aufgetaucht. Diese Form des Singens – im Falsett der Männer – kommt aus Neapel. Dort nannte man sie wegen ihrer spanischen Herkunft Spagnoli. Da es heute keine Kastraten mehr gibt, nimmt man für den Belcanto der Barockoper Counter-Sänger. Zum Unterschied gegenüber den Kastraten fehlt bei ihnen allerdings weitgehend das kraftvolle Brustregister. Das wiederum besitzen Mezzo-Sopranistinnen in größerem Ausmaß, was René Jacobs, als versierten Kenner dieses Gesangsstils, veranlaßt, eher Frauen in der Barockoper einzusetzen.
Bei der Aufführung der Oper Artaserse in Köln singen fünf (!) Counter-Sänger die Gesangspartien, auch die der Frauenrollen. Die Gesangsleistungen waren außerordentlich, denn Leonardo Vinci hat alle virtuosen Möglichkeiten des Belcanto wie Rouladen, Fanfaren, Triller, kühne Intervallsprünge u.a.m. eingesetzt, wobei der Reiz im ständigen Wechsel zwischen hoher und tiefer Lage das Publikum in nicht nachlassende Spannung versetzte.
Der Unterschied dieser ungewöhnlichen Counter-Sänger bei der Kölner Aufführung lag allein in den verschiedenen Klangfarben der einzelnen Stimmen. Technisch und musikalische bewegten sich alle auf dem gleichen hohen Niveau.
Die weitgeschwungenen Gesangsgirlanden Philippe Jarousskys als Artaserse, besonders vor den Fermaten, zeigten das Sanfte und Lyrische seiner Stimme am ausgeprägtesten. Max Emanuel Cenčić als Artaserses Schwester Mandane bestach am meisten durch punktgenaues Einsetzen der Ornamente und Triller. Einer der Höhepunkte des Abends brachte das Duett (das einzige der Oper) am Opernende von Cenčić mit dunkler gefärbter Stimme gegen die helle Stimme von Franco Fagioli (Arbace).
Letzterer brachte das Haus zur Raserei mit seinen vollen, tiefen und leuchtend hohen Tönen, seiner bemerkenswerten Agilität, seinen Atemreserven und einem Phantasiereichtum ohne Grenzen, in der Ausgestaltung der Fermaten, wobei er mit großer Geschicklichkeit in den Kadenzen Trillerketten und größte Intervallsprünge wagte.
Bei Valer Barna-Sabadus in der Rolle der Arbace liebenden Semira war das Volumen seiner Stimme, gepaart mit dem gezielt eingesetzten Vibrato zu bewundern, wohingegen Yuriy Mynenko (Megabise) über eine schier unendlich große Atemreserve zu verfügen schien.
Die einzige „tiefe“ Stimme war von Juan Sancho, der mit runder und leidenschaftlicher Stimme den Rebellenführer Artabano absolut glaubhaft darzustellen vermochte. Während in der romantischen Oper der Bösewicht die Baritonstimme besitzt, ist es hundert Jahre vorher – wie hier – der Tenor.
Vor dem wohl zu den weltbesten Barockorchestern zählenden Concerto Köln tänzelte Diego Fasolis, der damit und mit seinem Körpereinsatz so recht die rhythmische Vielfalt der Vinci-Partitur nachempfinden ließ. Nie übertönte das Orchester die Stimmen. Die große Geschmeidigkeit der oft im Prestissimo dahineilenden Musik, die rhythmische Exaktheit und die blenden aufgelegten Bläser (Naturhörner) gaben dem Abend eine Vollendung, von der man eigentlich kaum zu träumen wagte. Erstaunlich die Reaktionen des Publikums. Nach zögerlichem Zwischenapplaus nach dem ersten Auftreten von Jaroussky steigerte sich der Applaus nach jeder Arie zunehmend bis zum äußersten. Am Ende riß es alle von den Sitzen.
Ein einzigartiger Abend.
Dr. Olaf Zenner
Bild: Franco Fasioli, Oper Köln