von Marc-Antoine Charpentier (1643-1704), Tragédie biblique in fünf Aufzügen mit einem Prolog, Libretto: Père Bretonneau, U.A.: 28. Februar 1688 Paris, Collège Louis-le-Grand
Regie: Andreas Homoki, Bühne: Paul Zoller, Kostüme: Gideon Davey, Beleuchtung: Franck Evin
Dirigent: William Christie, Kinder der Maîtrise des Hauts-de-Seine, Chor und Orchester Les Arts florissants, Chorleitung: Francois Bazola
Solisten: Pascal Charbonneau (David), Ana Quintans (Jonathas), Arnaud Richard (Saul), Krešimir Špicer (Joabel), Frédéric Caton (Achis), Dominique Visse (La Pythonisse), Pierre Bessière (L’Ombre de Samuel)
Besuchte Aufführung: 14. Januar 2013 (Premiere)
Da der Hofkomponist Lully das Privileg für Opernaufführungen in der Académie Royal de Musique erworben hatte, konnte er bewußt und erfolgreich verhindern, daß andere Komponisten für den königlichen Hof und die königliche Oper schrieben. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Charpentiers Oper David et Jonathas eine etwas absonderliche Entstehungsgeschichte hat. Sein Auftraggeber war der Jesuitenorden, in dessen Kollegium Saint Louis-le-Grand die Oper auch uraufgeführt wurde. Doch war sie nur der musikalische Teil eines fünfaktigen, sonst auf lateinisch deklamierten Prosawerkes über Saul, in das nach jedem Akt ein Teil der Oper eingefügt wurde. Dennoch hat der Komponist und sein Librettist sie derart konzipiert, daß sie auch als eigenständiges Bühnenwerk aufgeführt werden konnte.
Nicht für den Hof zu komponieren, gab Charpentier mehr Freiheit. Er konnte sich bis zu einem gewissen Grade über den strengen Formalismus der Hofmusik hinwegzusetzen. So ist auch in dieser Oper der Prolog nicht der übliche Huldigungsgesang an den König, sondern Teil der Handlung – in dieser Aufführung übrigens nicht an den Anfang, sondern in die Mitte der Oper verlegt. Auch überläßt der vorgegebene Text dem Chor eine wichtige Rolle, was der Oper fast Oratoriencharakter gibt. Dennoch folgt der Kompositionsstil dem Stil der Zeit, und die Gesangspartien sind noch weitgehend musikalische Deklamationen des Textes, was Sängern und Sängerinnen weit weniger Möglichkeit bietet, ihrer Kunst Ausdruck zu verleihen als in späteren Barockopern. Obwohl man sich kaum vorstellen kann, daß Jesuitenzöglinge Ballet getanzt haben, hält Charpentier auch an der damals unumgänglichen Balletmusik fest, mit der er jeden Akt ausklingen läßt.
Kurzinhalt
David hegt eine zärtliche Liebe zu Sauls jungem Sohn Jonathas und fürchtet, da er, von Saul verstoßen, jetzt als Flüchtling bei den Philistern aufgenommen wurde, ein neuer Krieg mit Israel ihn zwingen würde, gegen seinen Herzensfreund kämpfen zu müssen. Auch der Philisterkönig Achis will Frieden. Doch Joabel, sein Armeeführer, drängt auf Krieg und verleumdet David bei Saul als Verräter an Israel. Verunsichert und paranoid begibt sich Saul zu einer Zauberin, damit sie den Schatten König Samuels heraufbeschwöre. Dieser bestätigt Saul, daß Gott ihn verlassen habe. Als Saul Achis schmäht, bricht der Krieg erneut aus. Die beiden jungen Freunde nehmen schmerzlichen Abschied von einander. In der Schlacht wird Jonathas tödlich verletzt. Saul verliert die Schlacht und das Leben. Obwohl zum neuen König von Israel erkoren, bleibt David untröstlich über den Verlust seines Freundes.
Aufführung
Die Bühne besteht aus einem einfachen mit rohem Holz verschaltem Quaderraum, mit jeweils rechts und links einer Tür. Einfache Stühle und Tische aus Holz als einzige Requisiten. Dieser Raum kann mitten in der Handlung durch verschiebbare Zwischenwände nicht nur senkrecht in zwei oder drei kleinere Räume geteilt, sondern auch waagrecht durch das Senken eines Vorhangs niedriger gemacht werden, so daß dann nur noch ein oder mehrere „Schaukästen“ übrig bleiben, in der Chor oder Solisten zusammengepfercht sind. Dadurch entstehen eine klaustrophobische Atmosphäre der Angst, Beklommenheit oder des Verfolgungswahns, die in Erleichterung umschlägt, wenn die Räume sich wieder erweitern. Es schafft aber auch wirksame Schalltrichter. Während der Balletmusik an Ende eines jeden Akts wurden in einem der „Schaukästen“ Pantomimen-Szenen aus der Kindheit Davids und Jonathas dargestellt.
Die Beleuchtung ist meist einheitlich hell, nur bei tragischen Szenen, wie bei Jonathas’ Tod, in Dunkel gehüllt, in das sehr bühnenwirksam seitlich Licht durch eine geöffnete Tür hereinfallen kann.
Die Kostüme erinnern an die einer mediterranen bäuerlichen Bevölkerung um 1900. Hosen, Hemden, Westen und Hüte für die Männer, einfache Kleider mit Schürzen für die Frauen bei den Hebräern, Tarbuschen und Djellabas für die Männer und lange Kleider und Kopftücher für die Frauen bei den Philistern.
Sänger und Orchester
Pascal Charbonneaus sehr hoher Tenor (haute-contre à la française ) als David wechselt fließend von Brust- zu Kopfstimme, mit einem schönen warmen Timbre in der Mittellage. Die hohen Lagen wirkten anfänglich etwas forciert. Entschieden am schönsten entwickelte sich seine Stimme in den lyrischen Partien, wie in Je vous revoi (3. Akt) und dann wieder im Liebesduett mit Jonathas im Prolog Quoi, je vous perds! oder im bewegenden Lamento vor dem sterbenden Jonathas am Schluß der Oper. Da kommt seine Stimme umsomehr zur Geltung, als sie nur vom Basso continuo (Orgel, Theorbe, Violoncello) und Blockflöten begleitet ist. Ana Quintans als Jonathas war eine Überraschung besonderer Art, nicht nur daß sie aussah wie ein Junge von fünfzehn Jahren, sie sang auch mit einer reinen, klaren Sopranstimme, mit nur minimalem Vibrato wie ein Knabe. Die Duette David-Jonathas bekamen dadurch einen besonders reizvollen Zusammenklang. Arnaud Richard ist ein guter Sänger und hervorragender Schauspieler, der mit voller kräftiger Stimme den tobsüchtigen, und dann wieder, mit etwas gequälter Stimme, den besessenen Saul eindruckvoll auf die Bühne stellt. Krešimir Špicer, der wir schon im 2012 als Aeneas im TCE kennengelernt hatten (vgl. OPERAPOINT 3/12), ist überzeugend als der Raufbold Joabel mit kräftigem, rauen Tenor, und Frédéric Caton mit vollem warmen Baß ein verständnisvoller Achis. Zu erwähnen seien noch in der surrealistischen Wahrsagungsszene des Prologs Dominique Visse mit etwas nasaler, fast irreeller Kontratenorstimme als Pythonisse und Pierre Bessière mit hohler Tiefe als Schatten Samuels. Diesbezüglich kann man sich fragen, ob Mozart diese Partitur jemals in der Hand gehabt hatte, was unwahrscheinlich ist. Denn die Grabesstimme Samuels und die düsteren Akkorde im Orchester erinnern erstaunlich an die Kompturszenen im letzten Akt des Don Giovanni.
William Christie leitete meisterhaft das Orchester der Arts Florissants durch die musikalisch und dramatisch reiche und auffallend rythmische Partitur, wobei der besondere, seidene Klang der Barockstreicher, sowie die weichen Töne der Holzbläser hervortraten. Der Chor voll, kräftig und dennoch differenziert.
Fazit
Regisseur Andreas Homoki originelle Inszenierung erhöht die Theatralik der Erzählung wirksam.
Eine sehr schöne Aufführung eines seltenen Bühnenwerkes auf hohem künstlerischem und szenischem Niveau. Was Le Mercure galant nach der der Uraufführung schrieb, war heute, 325 Jahre später, immer noch gültig: On ne peut reçevoir de plus grands applausissements qu’il en a eus – kaum hat man jemals ein größeren Applaus gehört.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Pascal Victor
Das Bild zeigt: David (Pascal Charbonneau) und Achis (Frédéric Caton), umgeben von Philistern