von Giuseppe Verdi (1813-1901), Dramma lirico in vier Akten, Libretto: Temistocle Solera, UA: 1842 Mailand
Solisten: Thomas Gazheli (Nabucco), Alessandro Liberatore (Ismaele), Andrea Silvestrelli (Zaccaria), Anna Princeva (Abigaille), Michela Bregantin (Fenena), Giulio Boschetti (Il gran sacerdote) u.a.
Besuchte Aufführung: 4. Januar 2013
Le Nozze di Figaro
von Wolfgang A. Mozart (1756-1791), Opera buffa in vier Akten von Lorenzo da Ponte, UA: 1786 Wien
Solisten: Giulio Boschetti (Figaro), Sophie Gordeladze (Susanna), Michael Kupfer (Graf Almaviva), Sabina von Walther (Gräfin Almaviva), Emily Righter (Cherubino), Maria Ladurner (Barbarina), Johannes Schmidt (Bartolo), Rita Lucia Schneider (Marcellina), Ferdinand von Bothmer (Basilio) u.a.
Besuchte Aufführung: 5. Januar 2013
Missa Solemnis
von Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Solisten: Monika Riedler (Sopran), Anna Lucia Nardi (Alt), George Humphrey (Tenor), Liang Li (Baß)
Besuchte Aufführung: 6. Januar 2013
Musikalische Leitung und Regie: Gustav Kuhn und Andreas Leisner, Orchester und Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl, Choreinstudierung: Marco Medved
Vorbemerkung
Die Tiroler Festspiele Erl wurden 1997 von Gustav Kuhn gegründet, er prägt die Festspiele maßgeblich als Dirigent und Regisseur. Seit diesem Winter werden erstmals zwischen Weihnachten und Drei-Könige Winterfestspiele durchgeführt. Zu diesem Zweck wurde ein beheizbares Festspielhaus errichtet. Im Sommer dient es als zweite Spielstädte, neben dem Passionsspielhaus. Das Festspielhaus verfügt über einen der größten Orchestergräben. Der steil ansteigende Zuschauerraum faßt 732 Zuhörer, die Akustik tendiert zur „Über-Akustik“ – es ist zwar manchmal etwas zu laut, hingegen gelingt es jede Gesangsphrase zu hören und fast jedes Wort ist zu verstehen. Für Konzerte wird der Orchestergraben nach oben gefahren, hier ist die Akustik ideal auf das Orchester abgestimmt. Bühnentechnik, wie Hubpodien oder Versenkungen, gibt es nicht, der Personalstamm für Technik und Beleuchtung läßt sich an zwei Händen abzählen: Die Personalkosten werden Erl sicherlich nicht davonlaufen.
Beide Häuser stehen auf der grünen Wiese, wie eine Trutzburg an den Hang geklebt. Die Pausengastronomie ist einfach, ein „Champagner-Publikum“ findet sich hier nicht. Gefeiert wird im Anschluß in den Restaurants in Erl oder der weiteren Umgebung. Selbst nach München oder Salzburg ist es nur ein Katzensprung.
Aufführung, Sänger und Orchester
Musikalisch spielte Gustav Kuhn mit seinem Orchester und der Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl wieder die erste Geige. Die Klangfarben des Orchesters Accademia di Montegral sind beeindruckend vielfältig, und unter Kuhn entsteht ein unvergleichlicher weicher romantischer Klang, der sich quasi zu einer Hausmarke von Erl entwickelt hat und weiter entwickeln wird. Beeindruckend wie die Zusammenarbeit mit dem Chor gelang! Zwar wirkte der Chor etwas statisch, und die breite Aufstellung quer über die Bühne führte manchmal dazu, daß einzelne Stimmen herausgehört werden können und Stimmgruppen dominieren. Die Abstimmung zwischen Chor, Orchester und Solisten war jedoch stets einwandfrei, das Klangerlebnis der Chor-Oper Nabucco wunderbar. Übrigens war selten eine so vollständige Fassung von Le nozze di Figaro zu hören.
Das Bühnenbild für Nabucco ist sehr einfach gehalten. Eine hölzerne Rampe windet sich in Stufen um die Bühne und verschwindet oben aus dem Blick. In der Mitte bieten Stufen, die zum Orchestergraben hin abfallen, dem Chor Möglichkeiten zum Auftritt. Die langen, wallenden Gewänder sind der Phantasie der Kostümbildner entsprungen und mögen für eine mystische Urzeit stehen. Einzig anhand der Farben sind einzelne Solisten zu unterscheiden. Die Personenführung wirkt etwas statuarisch, z.B. führt der brennende Tempel – dargestellt lediglich durch eine Rotlichtprojektion – zu keinen heftigen Reaktionen. Requisiten wie Krone, Zepter, Mauern oder Türen gibt es nicht.
Gestützt auf die Musik und die sängerischen Leistungen erwacht die Handlung zum Leben. Da ist die erfreuliche Leistung des Thomas Gazheli (Nabucco). Mittlerweile ein schwerer, italienischer Bariton, kann er den vielschichtigen Charakter der Titelfigur mitfühlend gestalten. Besonders erwähnenswert die absolute Textverständlichkeit. Eine passende Ergänzung ist die stimmliche Leistung von Anna Princeva. Sie leiht der mitleidlos agierenden Intrigantin Abigaille die passende Stimme. Obwohl die Stimme manchmal in den Grenzbereich geführt wird, bleiben doch die Töne intonationssicher und wortverständlich. Gleiche Aufmerksamkeit verdient Alessandro Liberatore als Ismaele. Dieser strahlend schöne, in den Höhen schwerelos leicht agierende Tenor versteht es, Leidenschaft zu wecken. Zumindest mithalten kann Michela Bregantin als Fenena. Die Duette mit Alessandro Liberatore zählen zu den Höhepunkten dieser Oper. Andrea Silvestrelli (Zaccaria) muß man mit seltsamen Klang und wenig Volumen als vokalen Ausfall einschätzen.
Das Bühnenbild für Le nozze di Figaro ist genauso einfach wie für Nabucco. Ein Stahl-Kubus symbolisiert Räume, die spärlich mit Stühlen oder Sitzgruppen möbliert sind. Eine Treppe aus dem Hintergrund führt in den Garten und ist von einigen Topfpflanzen flankiert. Das Kabinett, in das Cherubino eingeschlossen wird, wurde durch eine Stellwand symbolisiert. Farbe bringen die Kostüme. Man kann sagen, für jeden Auftritt gab es ein neues Kostüm. Diese sind sehr phantasievoll und können als zeitlos bezeichnet werden. Die auffälligste Sängerleistung erzielte Michael Kupfer, der mit viel lyrischem Schmelz und Durchschlagskraft den Almaviva zu einem dominanten Vertreter eines vom Gottesgnadentum durchdrungenen Fürsten machte. Gleich dahinter rangiert die Rollengestaltung des Figaro von Giulio Boschetti. Die beiden Damen Sabina von Walther (Gräfin) und Sophie Gordeladze (Susanna) führen ihren Sopran wunderbar sicher und leicht auch in die höchsten Höhen, Mozarts Koloraturen perlen glänzend von ihren Lippen, jedoch klingen die Stimmen zu ähnlich, um sie sicher auseinanderhalten zu können. Warum die Arie der Marcellina im vierten Akt meist gestrichen wird, ist klar: Diese Arie übersteigt die technischen Fähigkeiten und die Reichweite in den hohen Registern von Rita Lucia Schneider. Emily Righter ist eine jugendliche neue Stimme, klar und ausdrucksstark – neigt aber spätestens im Forte zum Tremolieren. An der Rolle des Cherubino muß sie noch feilen.
Zum Abschluß der Winterfestspiele erklang die Missa Solemnis von Beethoven. Monika Riedler zeigt sich als dramatischer Sopran, ist dabei aber nicht frei von Schärfen und erreicht nur unter Anstrengung die hohen Töne. Anna Lucia Nardi führt ihren Alt sehr klangschön und zeigt schon ein fast tenorales Timbre. Der Bassist Liang Li verfügt über eine samtige sonore Stimme über alle Register hinweg.
Gustav Kuhn ordnet das Werk weniger der Wiener Klassik zu, er sieht es vielmehr als ein Frühwerk der Romantik. Er drängt vorwärts, ohne jedoch Beethovens Ideen unkenntlich zu machen. Die nachdenklichen melancholischen Momente dieses Werkes kommen weniger zum Zug. Der Zuhörer wertet dies als einen hoffnungsvollen Gruß an das Neue Jahr und wünscht im donnernden Applaus viel Erfolg für sich und für die zukünftige Nutzung des Festspielhauses. Das Jahr beginnt also vielversprechend!
Fazit
Erl hat sich mittlerweile einen festen Pilgerstamm an Opernliebhabern erarbeitet: Es steht für den geradlinigen Blick auf die Musik. Die Musik spielt „die erste Geige“, Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme haben sich diesem Primat der Musik unterzuordnen. Ausstattungsorgien, Regieeinfälle und überbordende Bühnentechnik wird man in Erl somit wohl kaum erleben. Der einhellige und heftige Jubel des Publikums kann man als eindrucksvolle Unterstützung dieser „Politik“ werten.
Im Jahr 2013 existieren die Passionsspiele Erl 400 Jahre. Diese finden im Passionsspielhaus statt, die Tiroler Sommer-Festspiele spielen im neuen Festspielhaus. Der Schwerpunkt wird dann auf den Opern Verdis liegen, denn 2013 ist nicht nur Wagner-Jahr – auch Verdi ist 1813 geboren. Wagner – mit dem Erl bekannt geworden ist – wird es dann wieder ab 2014 geben.
Oliver Hohlbach
Bild: Tom Benz
Das Bild zeigt: Emily Righter (Cherubino) liegend, Sophie Gordeladze (Susanna)