MANON LESCAUT – Brüssel, Théâtre Royal La Monnaie

von Giacomo Puccini (1858-1924), Dramma lirico in vier Akten, Text nach einer Erzählung von Abbé Prévost von Ruggero Leoncavallo, Luigi Illica, Domenico Oliva, Marco Praga, Giulio Ricordi, Giuseppe Giacosa, Giuseppe Adami und vom Komponisten

UA: 1896 Turin

Regie: Mariusz Trelinski, Bühne: Boris Kudlička, Kostüme: Magdalena Musial, Licht: Felice Ross, Video: Bartek Macias

Dirigent: Carlo Rizzi, Orchester und Chor de la Monnaie, Choreinstudierung: Martino Faggiani

Solisten: Eva-Maria Westbroek (Manon Lescaut), Aris Agiris (Lescaut), Brandon Jovanovich (Des Grieux), Giovanni Furlanetto (Geronte di Ravoir), u.a.

Co-Produktion mit Teatr Wielki – Opera Narodowa Warschau und der Nationaloper Wales

Besuchte Aufführung: 24. Januar 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Chevalier Des Grieux, ein Student, und die 18jährige Manon Lescaut verlieben sich Hals über Kopf ineinander und beschließen, miteinander durchzubrennen. Nach einem kurzen gemeinsamen Zusammenleben in Paris verläßt Manon ihren Geliebten, um sich fortan von dem wesentlich älteren, reichen Geronte di Ravoir aushalten zu lassen. Als es zu einem Wiedersehen von Des Grieux und Manon im Hause di Ravoirs kommt, bei dem sich beide ihre immer noch vorhandene Liebe gestehen, werden sie von Manons reichem Gönner in flagranti ertappt. Die Polizei verhaftet Manon, die zur Verbannung nach Amerika verurteilt wird. Des Grieux beschließt voll Verzweiflung mit ihr zu gehen. Nach ihrer Ankunft in Übersee irren die beide Liebenden durch eine öde Landschaft auf der Suche nach Wasser. Manon verschmachtet in den Armen ihres Geliebten.

Aufführung

Die Bühne ist nahezu über die gesamte Aufführung hinweg dunkel. Videoprojektionen im Hintergrund deuten die Lichter einer Großstadt an. In der oberen Hälfte des Bühnenbildes ist die Theaterrückwand freigelassen. Erster und letzter Akt spielen in einer Bahnhofswartehalle. Manon ist mit den typischen Attributen einer Prostituierten versehen: blonde Perücke, Trenchcoat, Sonnenbrille, Zigarette. Des Grieux sieht aus wie ein durchschnittlicher Büroangestellter. Lescaut und di Ravoir werden als Zuhälter im weißen Anzug dargestellt. Sie sind von halbnackten Frauen umgeben, die mißhandelt werden. Ihre Untergebenen schlagen mit Golfschlägern auf ihre Opfer ein, unter ihnen auch Des Grieux im dritten Akt. Ein öffentliches Telefon spielt eine wichtige Rolle: Manon und Des Grieux benutzen es etliche Male oder nehmen es in die Hand, ohne daß ersichtlich wird, weshalb. Eine digitale Uhr über der Szene zeigt unterschiedliche Uhrzeiten an. In der Schlußszene hat Manon dunkle Haare und wird von einem stummen Double begleitet. Des Grieux schläft auf einer Bahnhofsbank, während sie ihren Monolog singt. Es werden etliche Szenen aus Filmen David Lynchs und anderer Regisseure im Video gezeigt.

Sänger und Orchester

Die Sänger der beiden Hauptpartien, Eva-Maria Westbroek (Manon Lescaut) und Brandon Jovanovich (Des Grieux), machen ihre Sache sehr gut. Besonders die Durchschlagskraft von Jovanovichs Tenor ist imponierend. Selbst im stärksten Orchestertutti oder in den duettierenden Fortissimo-Passagen mit seiner Partnerin bleibt er klanglich stets präsent, ohne daß man das Gefühl hat, daß für ihn die Grenze des Machbaren erreicht sei. Ihre Stimmen ergänzen sich dabei klanglich. Auch in den lauten Abschnitten, die sich dem Sprechtonfall annähern, etwa am Ende des letzten Aktes, behält Jovanovich stets seinen runden Wohlklang.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der rhythmischen Koordination zwischen Chor und Orchester am Beginn des ersten Aktes konnten die Zuschauer eine hervorragende, klanglich ausgeglichene Interpretation des orchestralen Parts erleben. Die dynamische Balance zwischen Solisten und Orchester war im weiteren Verlauf ausgezeichnet. Aris Agiris (Lescaut) und Giovanni Furlanetto (Geronte di Ravoir) waren stimmlich solide. Darstellerisch bekam man eine professionelle Leistung aller Akteure geboten. Eine negative akustische Besonderheit der Bühne ist ein häßliches Echo, das entsteht, wenn die Sänger die vordere Bühnenmitte betreten oder vom Publikum abgewandt in die Kulissen singen. Darauf wurde von Seiten der Regie jedoch keine Rücksicht genommen.

Fazit

Der laue und kurze Schlußapplaus paßte gut zum Gesamteindruck, den diese Produktion hinterließ. Es ist bedauerlich, daß es der Regie hier gelungen ist, die sehr guten musikalischen Leistungen, vor allem des Orchesters und der Sänger der Hauptpartien, durch die kalte und ziemlich unzusammenhängende Inszenierung vergessen zu machen. Die stereotypen Elemente der Regie, die Aneinanderreihung von Filmzitaten und die Verfremdung aller Charaktere sollen Tiefgang vortäuschen, wirken jedoch alles in allem nur einfallslos. Man empfand weder Sympathie mit den Figuren noch bekam man eine neue Lesart des Stückes geboten. Hinzu kamen wirkliche handwerkliche Mängel der Regie. Was im Film vielleicht funktionieren mag, muß das noch lange nicht auf der Opernbühne.

Dr. Martin Knust

Bild: Karl Forster

Das Bild zeigt: Hector Sandoval (Des Grieux), Amanda Echalaz (Manon Lescaut)

Veröffentlicht unter Brüssel, Théâtre Royal La Monnaie, Opern