von Gaspare Spontini (1774-1851), Tragédie-lyrique in drei Akten, Libretto: Victor-Joseph Étienne de Jouy nach Johann Joachim Winckelmann
UA: 15. Dezember 1807 Paris, Salle Montansier
Regie: Aron Stiehl, Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Kostüme Franziska Luise Jacobsen
Dirigent: Johannes Willig, Badische Staatskapelle, Choreinstudierung: Ulrich Wagner
Solisten: Barbara Dobrzanska (Julia), Katharine Tier (Grande Vestale), Andrea Shin (Licinius), Steven Ebel (Cinna), Konstantin Gorny (Hohepriester), u.a.
Besuchte Aufführung: 26. Januar 2013 (Premiere)
Vorbemerkung
La Vestale erlebte ihre Uraufführung drei Jahre nachdem Napoleon sich am 2. Dezember 1804 die Kaiserkrone aufgesetzt und damit das erste Kaiserreich Frankreichs begründet hatte.
Es war eine wegweisende Oper, da Spontini die dramaturgische Idee gegenüber der Musik herausstellte, was spätere Komponisten wie Rossini, Bellini, Verdi u.a. nachahmten. Der Grundkonflikt der Vestalin Julia zwischen Pflicht und Liebe war uralt. Dennoch staunten die damaligen Zuschauer über die neuartige musikalische Struktur und Aussagen der Oper. Keinesfalls aber war sie gedacht als Huldigung für Napoleon, eher für die Kaiserin Joséphine, der Spontini die Aufführung dieser Oper verdankte.
Bei seiner Rückkehr aus Gallien nach Rom erfährt Licinius, daß Julia, die er liebt, Priesterin der Verstalinnen geworden war. Doch ausgerechnet Julia wird dazu bestimmt, dem Sieger beim Fest den Lorbeer aufs Haupt zu setzen. Dabei verabreden beide ein Stelldichein im Vestalinnen-Tempel während der kommenden Nacht. Beim Treffen erlischt das Altarfeuer, das Julia anvertraut ist. Licinius kann fliehen, doch Julia wird verhaftet und zum Tode verurteilt, indem sie lebendig begraben werden soll. Am geöffneten Grab bestürmt Licinius den Oberpriester, das Todesurteil aufzuheben. Doch dieser lehnt ab. Als Julia mit den Vestalinnen erscheint ordnet der Oberpriester an, Julias Schleier auf den Altar zu legen. Sollte er sich durch eine Flamme von allein entzünden, so der Oberpriester, sei sie unschuldig. Da fährt aus den dunklen Wolken ein Blitz hernieder, der den Schleier verbrennt. Julia sinkt ihrem Licinius dankbar in die Arme.
Aufführung
Eine Wand aus Stahlrohren mit einem riesigen Lorbeerkranz, davor zwei sich kreuzende Maschinengewehren, wieder davor ein riesiges „V“ in intensiv roter Farbe. Blau-graue Wände, zum Bühnenhintergrund schräg auf einen imaginären Zentralpunkt zulaufend, begrenzen die Bühne. Im weiteren Verlauf werden die Wände immer wieder von rechts hineingerollt, so daß meist ein langgestreckter Raum entsteht. Auf einer etwas erhöhten, zum Hintergrund verlaufenden Ebene, die durch einige Stufen von vorne erreichbar ist, steht am vorderen Rand ein rundes Becken, in dem eine Flamme züngelt. Zum Opernende im Vordergrund zwei geschlossene und ein offener Sarg, wo Julia lebendig begraben werden soll.
[Im Libretto wird der Ort an der Porta Collina, einem antike Stadttor der Servianischen Mauer auf dem Quirinalshügel in Rom angegeben.]
Sänger und Orchester
Die acht Minuten lange Ouvertüre beginnt recht langsam und kommt erst im Presto in Fahrt. Die Musik verbreitet eine grandiose Pracht, die bei der Öffnung des Vorhangs sich vollständig verflüchtigt. Diese Enttäuschung fürs Augen bleibt bis ans Opernende. Sie schmälert erheblich den Genuß der reichen und glanzvollen Musik. Die strengen Uniformen von Andrea Shin (Licinius) und Steven Ebel (Cinna), die sich auf dem schmalen Podest vor der Maschinengewehr-Wand treffen, lassen keine Stimmung aufkommen. Bei seiner Eröffnungsarie müht sich Steven Ebel (Cinna) mit seinem dunkel gefärbten Tenor in den Höhenlagen recht und schlecht, doch sonst kommen die Töne klar heraus. Im Duett mit Andrea Shin (Licinius) harmonieren beide Stimmen in deutlichen Linien. Später – bei Arien – macht sich eine gewisse Kehligkeit bei Andrea Shin (Licinius) bemerkbar.
Mit der Morgenhymne: Fille du ciel –Tochter des Himmels, unsterbliche Vesta treten die Vestalinnen auf, angeführt von der Großvestalin. Schon bei diesem ersten Auftreten ist man vom Chor angetan, er bringt Glanz und eine gewisse Grandiosität auf die Bühne, die so notwendig für diese Oper ist. Großen Anteil an der Dynamik und der rhythmischen Stringenz hat dabei sicher die Einstudierung durch Ulrich Wagner. Die Großvestalin Katharine Tier besitzt einen in der Höhe starken, gradlinigen Sopran, doch in der Tiefe ist sie so leise, daß die Stimme im Orchester verschwindet.
Der musikalische Schwerpunkt ist die Rolle der Julia. Mit ihr steht und fällt alles! Und hier ist ohne Einschränkung Barbara Dobrzanska lobend anzuführen. Ihr wirklich angenehm lyrischer Sopran entschädigt für das karge Bühnenbild und erhöht sogar die Handlung. Wenn auch bei ihr die Lautstärke der tiefen Töne leiser wird, so hört man sie doch allenthalben wohllautend durch. In Licinius, je vais donc te revoir – ich werde dich also wiedersehen ist die Sehnsucht deutlich hörbar. Noch eindrucksvoller gestaltet sie ihre große, fast zehnminütige Arie zu Beginn des zweiten Akts: Toi que j’implore avec effroit – dich, die ich mit Entsetzen anflehe. Sie kommt mit großer Inbrunst und – im schnellen Teil – mit sicherer Singtechnik und rhythmischer Prägnanz daher. Im Duett mit Andrea Shin reißt sie sogar diesen Sänger zur hohen Meisterschaft empor! Genau, tonschön und präzis die Horn-Soli und die im Duett reizvolle Kombination von Horn und Klarinette. Ein letzter gesanglicher Höhepunkt: die Preghiera im letzten Akt mit ihrer wegweisenden triolischen Begleitung: O des infortunés déesse titulaire – o Schutzgöttin der Unglücklichen.
Fazit
Es ist ein großer Verdienst des Staatstheaters Karlsruhe, Spontinis La Vestale aufzuführen! Aber ist es Ideologie, eine in musikalischer und darstellerischer Pracht angelegte Oper, die uns die Zeit des napoleonischen ersten Kaiserreichs einfängt, ins heutige, industrielle Zeitalter zu verlegen? Was will der Regisseur damit? Wird La Vestale damit für uns heute verständlicher? Indem er den Schleier auf dem Altar mit einem Streichholz entzündet, singt Konstantin Gorny (Hohepriester) : Durch ein Wunder hat der Himmel seinen Willen offenbart (letzte Szene). Sie weisen auf das in der Musik deutlich dargestellte Gewitter und die Blitze hin, die den Schleier Julias auf dem Altar entzünden. Was nun bedeuten des Hohepriesters Worte? Was will ein Opernhaus mit einer solchen Darstellung beim Publikum erreichen? Dieses buhte heftig und beklatschte ausreichend die musikalische Darbietung.
Dr. Olaf Zenner
Bild: Jürgen Frahm
Das Bild zeigt: im Vordergrund Barbara Dobrzanska (Julia), Klaus Schneider (Hohepriester), Mitte, Vestalinnen und Soldaten
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