OREST – Hannover, Staatsoper

von Manfred Trojahn (1949), Musiktheater in sechs Szenen, deutsche Erstaufführung, Libretto: Manfred Trojahn, UA: 8. Dezember 2011, De Nederlandse Opera, Amsterdam
Regie: Enrico Lübbe, Regie-Mitarbeit: Torsten Buß, Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Bianca Deigner, Licht: Susanne Reinhardt
Dramaturgie: Klaus Angermann

Dirigent: Gregor Bühl; Chor: Dan Ratiu, Niedersächsisches Staatsorchester Hannover, Herrenchor der Staatsoper Hannover

Solisten: Bjørn Waag (Orest), Latchezar Pravtchev (Menelaos), Tomasz Zagorski (Apollo/Dionysos), Romy Petrick (Hermione), Dorothea Maria Marx (Helena), Khatuna Mikaberidze (Elektra) und Statisterie der Staatsoper Hannover
Besuchte Aufführung: 8. Februar 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Orest hat seine Mutter aus Rache getötet, weil diese seinen Vater getötet hat. Er hofft auf die Freisprechung durch Apollo, doch dieser verweist ihn an seinen Onkel Menelaos. Orests Tante Helena kehrt zurück. Elektra, Orests Schwester, sieht in ihr die Verantwortliche für alles Leid und den herrschenden Krieg. Sie erlaubt Helena nicht, an das Grab ihrer Schwester zu gehen, stattdessen soll ihre unschuldige Tochter Hermione gehen. Menelaos rät Orest zu fliehen. Wegen dieser Haltung bekommt Elektra Haßphantasien auf ihn, und er ergreift deswegen die Flucht. Orest sehnt sich nach Liebe und einem anderen Leben, Elektra bedauert ihr Dasein und will, daß Gerechtigkeit herrscht und fordert von ihm weitere Morde an Helena und Hermione. Er tötet tatsächlich Helena, aber Hermione überzeugt ihn von der Sinnlosigkeit seiner Tat. Sie tötet er nicht, weil er einzig ihren Blick erwidern kann. Orest erhält von Gott den Auftrag, von nun an für, Ordnung zu sorgen, doch er verweigert sich. Zusammen mit Hermione versucht er, der göttlichen Macht zu entkommen.

Aufführung

Zunächst sieht man nur Dunkelheit, dann erleuchten sehr helle Licht-Strahler an den äußeren und oberen Rändern der Bühne, die sie vollends umranden. Dadurch entsteht der Effekt, dass man meint, der Vorhang sei noch geschlossen. Die Bühne von Etienne Pluss ist ein verfallenes Anwesen. Dreck auf dem Boden, Löcher in den Wänden und der Decke, von der gefährlich Balken herunterhängen. Überall Schutt und ein versifftes Waschbecken. Einen Kühlschrank in ebenso miesem Zustand sieht man auch. Durch unterschiedliche Lichteinstellungen entstehen unterschiedliche Stimmungen, doch immer bewegen sie sich im gräulich-blauen und deswegen bedrohlichen Bereich. Der einfach gekleidete und verwahrloste Orest kauert auf einer Pritsche und wird im Traum von seiner Mutter verfolgt, die durch unzählige Statistinnen im lila Negligé und blutigem Körper dargestellt wird. Auch Elektra und Hermione sind einfach gekleidet, die eine im Hosenazug, die andere im Sommerkleid. Weitaus grotesker ist da Apollo, der wie ein Zuhälter mit Fliegerbrille, dicken Klunkern, langem protzigen Mantel und tätowierten Oberamen auftritt. Als Krönung lutscht er einen Lolly. Im Lichtkegel des starken Strahlers, der das Publikum blendet, sieht man nur noch seine Silhouette. Ebenso schräg ist die Erscheinung von Helena: Platinblond im Pelzmantel und mit Sonnenbrille reist sie an.

Sänger und Orchester

Aus allen Ecken des Opernhauses erklingt die Stimme von Orests Mutter als sechsstimmiger Frauenchor von Tonbandaufnahmen, die noch von der Uraufführung in Amsterdam stammen. Die Mutter nennt ihn immer wieder beim Namen, was eine beklemmende Atmosphäre hervorruft: man weiß nicht, was Wahn und was Realität ist. Bjørn Waag (Orest) ist fremdbestimmt und kann nicht fassen, was er getan hat. Mal erklingt seine Stimme ängstlich leise, dann wieder in lauter Erschütterung, oft kann er nur noch schreien. Er schafft es, das Publikum zu jedem Zeitpunkt in den Bann seiner ausweglosen Situation zu ziehen, so daß es 80 Minuten in Anspannung auf seinem Platz sitzt. Auch wenn man es kaum für möglich hält, kann Khatuna Mikaberidze als seine Schwester Elektra die Beklemmung noch steigern. Jede Silbe preßt sie fassungslos hervor, auf der Suche nach Gerechtigkeit befindet sie sich wahrhaftig im Augenblick der tiefsten Qual.. Dorothea Maria Marx (Helena) und Romy Petrick (Hermione) setzen mit ihren Höhen dem Ganzen die klaustrophobische Krone auf. Einzig Orest Blick und Hermiones Aussage Orest, sieh mich an! Kannst du mich ansehen? schwingt ein letzter Fetzen an Hoffnung mit. Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter der Leitung von Gregor Bühl bringt die Gratwanderung zwischen abgründiger Dissonanz und hoffnungsvoller, aufblitzender Harmonie stets gut zum Ausdruck.

Fazit

Das Publikum bleibt am Ende verstört zurück und weiß nicht, was es von der Inszenierung von Enrico Lübbe und der Musik von Manfred Trojahn halten soll, weswegen der Applaus lange, aber verhalten ist. Am eindeutigsten ist er noch für das Orchester und seinen Dirigenten Gregor Bühl. Der Komponist kommt am Ende selbst auf die Bühne und bedankt sich für die erste Inszenierung seiner Oper in Deutschland.

Frederike Arns

Bild: Thomas M Jauk

Das Bild zeigt: Khatuna Mikaberidze (Elektra) li und Dorothea Maria Marx (Helena) re

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