von Wolfgang Rihm (*1952), Opernfantasie, Libretto: Wolfgang Rihm nach Texten von Friedrich Nietzsche, UA: 27. Juli 2010 Salzburg, Haus für Mozart
Regie: Ingo Kerkhof, Bühne: Anne Neuser, Kostüme: Inge Medert, Video: Philipp Ludwig Stangl, Dramaturgie: Julia Hochstenbach
Dirigent: Yordan Kamdzhalov, Philharmonisches Orchester Heidelberg, Choreinstudierung: Jan Schweiger, Solisten: Holger Falk (N.), Sharleen Joynt (1. hoher Sopran/Ariadne), Diana Tomsche (2. hoher Sopran), Carolyn Frank (Mezzosopran), Guadalupe Larzabal (Alt), Namwon Huh (Ein Gast/Apollon), Harald Beutelstahl (Der Alte*), Matthis Wolfer (Das Kind*), *von der Regie hinzugefügte Rollen
Besuchte Aufführung: 8. Februar 2013 (Premiere)
N. verfolgt zwei Nymphen, erhascht sie aber nicht. Eine von ihnen verwandelt sich in Ariadne – N. rudert mit ihr über einen See. Als die beiden an einen Felsen stoßen, fesselt N. Ariadne mit Efeu. „Ein Gast“ erscheint am Ufer und singt ein Liebesduett mit der gefesselten Ariadne. Die Szenerie verwandelt sich zu einem Gebirge in dem N. und „Ein Gast“ eine Bergtour unternehmen. Raubvögel und ein geflügeltes Pferd schweben an ihnen vorbei. Die dritte Szene führt durch drei Innenräume. N. und Ein Gast befinden sich in einer Art Foyer, das sich dann in ein Bordell verwandelt. Vier Hetären versuchen hier vergebens, N. und Ein Gast zu verführen. Im dritten Innenraum erscheint Ein Gast als Apollon verkleidet, um N. die Haut abzuziehen. Im letzten Bild befindet sich Die Haut von N. auf einem großen Platz. Sie umarmt, nun von einem Tänzer dargestellt, ein Pferd; die Szene wird von Ariadne beobachtet. Sie greift nach der Haut und kniet nieder: das Bild einer Pietà entsteht.
Aufführung
Anders als im Libretto angelegt, spielt die Dionysos bei der Heidelberger Inszenierung in einem Raum – vielleicht eine Fabrikhalle, vielleicht eine Art Loft – ab. Die Bühne wird nur von einzelnen Lichtern und Kerzen beleuchtet. Veränderungen werden durch die Positionen des Mobiliars und verschiedene Requisiten geschaffen. Im ersten Bild befindet sich ein Glaskasten, Marke „Pförtnerhäuschen“, auf der rechten Bildseite, im dritten Bild steht es auf der linken Seite und erinnert, von Kerzen beschienen, an eine kleine Kapelle. Schminktische und Spiegel, die den Nymphen des ersten Bildes als Ablenkung dienten, mußten im dritten Bild einer kleinen Sitzgruppe weichen. Hier tummeln sich die Hetären, nun als Journalistinnen interpretiert. Für das letzte Bild fährt ein Gazevorhang nach unten, auf den ein Video projiziert wird. Ein weiteres Video ist im Bühnenhintergrund zu sehen. Beide zeigen N. sitzend, mal gesellt sich der 2. hohe Sopran zu ihm, mal Ein Gast. Ein Schaukelpferd und ein Diwan befinden sich während der gesamten Oper über auf der Bühne und verweisen so schon am Anfang auf das letzte Bild. Regisseur Ingo Kerkhof fügte dem Personal noch zwei stumme Rollen hinzu: „Der Alte“ und „Das Kind“, die N. und Ein Gast in ihr Spiel mit einbeziehen.
Sänger
Der Heidelberger Abend war musikalisch gesehen ein voller Erfolg. Dirigent Yordan Kamdzhalov führte Orchester und Sänger sicher durch die schwierigen Partien. Besonders wirkungsvoll war die Aufstellung des Schlagwerks an beiden Seiten der Bühne und auf dem Rang. Weil auch der Chor mal hinter der Bühne, mal auf dem Rang sang, entstand eine sehr interessante Klangkonstellation, die mit der Akustik des neuen Raumes spielte. Zu Beginn schienen Dirigent und Orchester noch etwas zurückhaltend, spätestens nach der Pause kosteten sie die schwelgerischen Bögen der an Strauss erinnernden Klangbilder und die sphärischen Ruhepole Rihms vollends aus. Herausragend war Sharleen Joynt als 1. hoher Sopran und Ariadne. Die Wechsel von den höchsten Höhen in die tiefen Lagen bewältigte sie perfekt. Ihre Stimme blieb durchweg klar und beweglich. Die nicht weniger anspruchsvolle Partie des 2. hohen Sopran meisterte Diana Tomsche souverän. Die beiden hohen Frauenstimmen mischten sich in ihrem Duett am Anfang der Oper trotz der extrem hoch angesetzten Lage wunderbar. Auch Holger Falks Bariton (N.) wirkte schön rund und unangestrengt, nur manchmal hätte die Stimme etwas mehr Volumen und Kraft gebraucht, um vom Orchesterklang nicht übertönt zu werden. Namwun Huh (Ein Gast/Apollon) sang sehr intensiv und klangvoll, nur zu Beginn klang sein Tenor etwas gepresst.
Fazit
In der Zweitinszenierung von Rihms Dionysos begeisterte vor allem die musikalische Seite. Die Regie von Ingo Kerkhof entfernte sich mutig von den Bildwelten der Uraufführung, aber auch sehr weit vom Libretto. Es schien so, als ob Kerkhof eine Handlung oder Erzählung dort zeigen wollte, wo keine war. Dem Absurden, das oft ins Komische rutscht, wollte er einen „roten Faden“ abgewinnen, ohne sich allzu sehr um das Bild- und Momenthafte der Worte Nietzsches zu kümmern. Für alle Beteiligten gab es freundlichen Applaus, der sich aber erst mit dem Erscheinen Wolfgang Rihms auf der Bühne in Begeisterung wandelte.
Jelena Rothermel
Bild: Florian Merdes
Das Bild zeigt: Sharleen Joynt (1. hoher Sopran/Ariadne), Diana Tomsche (2. hoher Sopran), Carolyn Frank (Mezzosopran), Holger Falk (N.), Damenchor