von Peter Iljitsch Tschaikowski (1840-1893), Oper in drei Akten und sieben Bildern, Libretto: Modest Tschaikowski, nach der gleichnamigen Erzählung von Alexander Puschkin. UA: 7./19. Dezember 1890 St Petersburg, Marinskij-Theater
Regie: Eva-Maria Höckmayr, Bühne: Nina von Essen, Rena Donsbach, Kostüme: Julia Rösler, Dramaturgie: Dominica Volkert, Licht: Michael Philipp, Dirigent: Fabrice Bollon, Philharmonisches Orchester Freiburg, Opernchor, Kinderchor des Theater Freiburg
Solisten: Luis Chapa (Hermann), Sergej Tolstov (Tomskij/Plutus), Alejandro Lárraga Schleske (Fürst Jeletzkij), Michael Pflumm (Tschekalinsky), Evert Sooster (Ssurin), Anja Jung (Die Gräfin), Christina Vasileva (Lisa), Qin Du (Paulina/Daphnis), Susana Schnell (Mascha/Chloe), Anna Shiryaeva (Gouvernante), Shinsuke Nishioka (Tschaplitzkij/Festordner), Taiyu Uchiyama (Narumow), Levi Böhm (Kleiner Kommenadeur), Alison Luz (Pianistin), Véronique Weber (Venus von Moskau), Michael Gugel (Graf St. Germain), Sara-Lena Möllenkamp (Ballerina)
Besuchte Aufführung: 9. März 2013 (Premiere)
Der mittellose Hermann ist in die adelige Lisa verliebt, deren Großmutter das Geheimnis zu drei Karten kennt, mit deren Hilfe man beim Spiel immer gewinnt. Hermann gesteht Lisa seine Liebe, die sie trotz ihrer Verlobung mit einem Fürsten erwidert. Besessen von der Idee der drei Karten, will Hermann die Gräfin zwingen, ihm diese zu verraten. Die Gräfin stirbt jedoch zuvor, als Gespenstererscheinung nennt sie ihm die Karten später jedoch noch. Der wie verrückte Hermann erzählt Lisa von seinem Geheimnis, diese ertränkt sich aus Entsetzen darüber und weil er ihre Liebe verraten hat. Im Spielcasino gewinnt Hermann dank der Karten zweimal hintereinander. Beim dritten Mal wird jedoch die Karte „Pique Dame“ und nicht das „As“, wie vorhergesagt, gelegt. Im Wahnsinn ersticht sich Hermann.
Aufführung
Die Freiburger Pique Dame setzt auf eine psychologisierende Sicht der Ereignisse. So legt der Beginn der Aufführung nahe, daß sich die gesamte Handlung aus der Rückschau des toten oder sterbenden Hermann abspielt. Das zwischen Feudalität und Abstraktion schwankende Bühnenbild – vergoldete Holzwände und unverkleidete Bühnenteile – dient somit auch als Projektionsraum für innere Vorstellungen. Die Venus von Moskau sowie der Graf St. Germain aus Tomskijs Erzählung sind zusätzliche stumme Figuren, die als gespenstischer Doppelgänger der eigentlichen Personen und zugleich als Symbole menschlicher Abgründe dienen. Auf diese Weise wird vieles visualisiert und zugleich interpretiert, was im Libretto nur angedeutet wird. Eingebildetes und Wirkliches verschwimmt ineinander, ein besonderes Beispiel hierfür ist der Maskenball. Während sich hier auf dem vorderen Teil der Bühne die vorgegebene Handlung abspielt, sieht man im hinteren Bereich Hermanns Wahnvorstellungen. Die Lichtgestaltung sowie die Kostüme akzentuieren durch starke Schwarz-Weiß-Kontraste die extremen psychischen Zustände und die düsteren Seiten der Musik. Die Personenführung orientiert sich stark an der Musik, weniger an den Regieanweisungen der Partitur. Hermann zum Beispiel erwürgt die Gräfin, anstatt daß diese allein vor Schreck stirbt.
Sänger und Orchester
Musikalisch wird die Expressivität von allen Beteiligten konstant hoch gehalten. Das Philharmonische Orchester Freiburg unter GMD Fabrice Bollon weist aufgrund der Größe des Orchestergrabens nur einen schmal besetzten, und daher für ein mächtiges Cantabile eigentlich zu dünn klingenden Streicherapparat auf, der durch Einzelleistungen wie etwa der Violoncelli jedoch wieder an Intensität gewinnt. Ansonsten agiert das Blech mit viel Schärfe und setzt sich so gegenüber den weicher klingenden Holzbläsern ab, während Bollons Zugriff stets entschieden wirkt. Auf den Opern- und Kinderchor färbt das denkbar ab. Scheinen die Damen zu Beginn noch unsicher, steigert sich der gesamte Verbund sowohl gesanglich als auch darstellerisch immer weiter, über die diversen Einzelszenen im zweiten Akt bis zum furiosen Finale im Spielcasino. Luis Chapa kann als Exempel für das grundsätzlich gut intonierte Russisch in dieser Aufführung gelten. Seinem Hermann gelingt das Hin und Herschwanken zwischen Liebesbesessenheit und der fatalen Begierde nach Reichtum vortrefflich. Im dritten Akt haben auch die Spitzentöne jene Geschmeidigkeit, die sein Vortrag zuvor bereits in den tieferen Lagen aufwies. Christina Vasilevas Lisa steht dem in nichts nach. Ihre an Dramatik reiche Gestaltung der innerlich zerrissenen Protagonistin bleibt stimmlich jederzeit tragfähig wie darstellerisch anrührend. Sergej Tolstovs Erzählung des Tomskij zur Venus von Moskau erhält berechtigten Zwischenapplaus. Partner auf gleichem Niveau im Ensemble sind Michael Pflumm (Tschekalinskij) und Evert Sooster (Ssurin). Obwohl seine Figur vergleichsweise uninteressant erscheint, verleiht Alejandro Lárraga Schleske dem Fürsten Jeletzkij ein individuelles Profil. Die von Qin Du gegebene Romanze der Pauline verstrahlt zartes Melos. Anja Jung hingegen ist in bewährter Weise ganz Autorität: Als Gräfin ist ihr durchdringender Vortrag so tadellos wie machtvoll.
Fazit
Viel Jubel für alle Beteiligten am Premierenabend, auch für die Regie. Die Freiburger Pique Dame überzeugt sowohl musikalisch als auch darstellerisch.
Aron Sayed
Bild: Maurice Korbel
Das Bild zeigt: Das Ensemble, davor liegend Luis Chapa (Hermann)