ANDREA CHÉNIER – Nürnberg, Staattheater

von Umberto Giordano (1867-1948), Dramma di ambiente storico in vier Akten, Libretto: Luigi Illica, UA: 28. März 1896 Milano, Teatro alla Scala

Regie: Guy Montavon, Bühne: Edoardo Sanchi, Kostüme: Roswitha Thiel

Dirigent: Philipp Pointner, Staatsphilharmonie und Chor Nürnberg, Choreinstudierung: Tarmo Vaask

Solisten: Vincent Wolfsteiner (Andrea Chénier), Mikolaj Zalassinski (Gérard), Ekaterina Godovanets (Maddalena), Judita Nagyová (Bersi), Christiane Marie Riedl (Contessa), Joanna Limanska-Pajak (Madelon), Javid Samadov (Roucher), Gor Harutyuanyan (Pietro Fléville/Kerkermeister Schmidt), Darius Siedlik (Fouquier-Tinville), Daeyoung Kim (Mathieu), Hans Kitttelmann (Incredibile) u.a.

Besuchte Aufführung: 30. März 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Auf einem Ball der Gräfin de Coigny sorgen Verse, die der Dichter Andrea Chénier vorträgt, für Aufregung. Er greift darin den Adel und seinen ausschweifenden Lebensstil an. Der Diener Gérard, der die Tochter des Hauses, Maddalena, heimlich liebt, bricht mit einem Troß Revolutionäre in das Fest ein. Er wird zurückgeschlagen und entlassen. Obwohl Chénier mit den revolutionären Ideen sympathisiert, wird er aufgrund seiner Kontakte zum Adel bespitzelt. Sein Freund Roucher rät ihm zur Flucht. Der Dichter weigert sich wegen der Liebesbriefe einer geheimnisvollen Unbekannten, die er kennenlernen will. Sie entpuppt sich als Maddalena de Coigny. Es kommt zu einer Liebesszene, die vom Incredibile beobachtet und an den mittlerweile zum Revolutionsführer aufgestiegenen Gérard verraten wird. Im Duell mit Chénier wird Gérard verwundet. Nach seiner Genesung läßt er den Dichter verhaften und stellt ihn vor das Tribunal. Maddalena setzt sich für seine Rettung ein, kann aber das Todesurteil nicht verhindern. Während Andrea Chénier im Kerker auf seine Hinrichtung wartet, besticht Maddalena einen Wärter, sie anstelle einer verurteilten Delinquentin aufs Schafott zu schicken. Unter falschem Namen geht sie an der Seite ihres Geliebten in den Tod.

Aufführung

Drei silbergraue Wände mit Rokoko-Ornamenten rahmen die Bühne quadratisch ein und sind durch wechselnde Öffnungen und Änderungen in der Position Schauplatz für Adelspalais, Platz in Paris, Revolutionstribunal und Kerker. Aus dem Schnürboden hängen mal überdimensionale Lilien, mal blinde Barockspiegel (teilweise in der Form eines Fallbeiles), mal Sitzreihen für das Volk im Gerichtssaal. Ansonsten spärliche Möblierung. Prachtvolle, aufwändige Rokokokostüme, farbenfroh und authentisch kreiert, visualisieren den Pomp des ausgehenden Ancien Régime.

Sänger und Orchester

Mit dem Revolutionsdrama hat die Staatsoper Nürnberg ein Werk des Verismo in den Spielplan gehoben. Und so schwelgt die Staatsphilharmonie unter der Stabführung des ersten Kapellmeisters Philipp Pointner „puccini-like“ im Klangrausch. Emotionsgeladen, glutvoll und dramatisch ist das Dirigat des Österreichers, durchsetzt von kammermusikalischer Intensität (Liebesduett) und tänzerischen Akzenten. Fiebrige Leidenschaft, die in kraftvoller Dynamik ihre Entsprechung findet. Das Orchester folgt engagiert.

Vincent Wolfsteiner meistert die stimmlich anspruchsvolle Titelpartie souverän und routiniert, vereinzelt mit etwas engem Ton. Die Durchschlagskraft seines Heldentenors läßt freilich nie zu wünschen übrig. Auch darstellerisch beeindruckt der Sänger mit seiner Rolleninterpretation des patriotisch gesinnten Poeten. Ein Gewinn für das Haus. Seine Partnerin Ekaterina Godovanets braucht etwas Anlauf und kann sich erst allmählich freisingen und –spielen. Ihr kräftiger, höhensicherer Sopran läßt die berühmte, zu Filmehren gekommene, Arie La mamma morta zu einem Höhepunkt der Aufführung werden. Vor allem im Liebesduett besticht die Sängerin mit berückend schönen Piani. Einfach großartig die Leistung des Baritons Mikolaj Zalassinski als Carlo Gérard. Bestens disponiert gestaltet der Sänger den Gegenspieler Chéniers mit kerniger, profunder Stimme und ausdrucksstarker schauspielerischer Präsenz. Aufhorchen ließ als Rocher der junge Javid Samadov – ein Mitglied des internationalen Opernstudios – mit warmem, geschmeidigem Bariton. Als Fehlbesetzung muß hingegen Christiane Marie Riedl als Gräfin von Coigny bezeichnet werden. Ebenfalls ein Mitglied des Opernstudios, ist sie für die Rolle von Maddalenas Mutter nicht nur zu jung, sie vermag auch stimmlich den Orchesterfluten nichts entgegen zu setzen. Ein gelungenes Rollenportrait liefert Judita Nagyová, die Maddalenas Vertrauter Bersi ihren eleganten, leuchtenden Mezzosopran leiht. Hans Kittelmann überzeugt als intriganter Incredibile mit markantem Charaktertenor. Die zahlreichen Nebenrollen, aus denen Joanna Limanska-Pajak als Madelon mit stimmschönem Mezzosopran und der Bassist Daeyoung Kim (Mathieu) herausragen, sind durchwegs sehr homogen besetzt. Vokal auf hohem Niveau die Chorszenen, von Tarmo Vaask vorzüglich einstudiert.

Fazit

Die selten gespielte Oper ist eine Ko-Produktion mit dem Theater Erfurt. Hohen Anteil am positiven Gesamteindruck der Aufführung hatte auch die rundum gelungene Inszenierung von Guy Montavon. Sein schlüssiges Konzept, das auf alberne Regiegags ebenso verzichtet, wie auf seltsame psychologische Deutungen und auch keine krampfhaften Aktualisierungsversuche unternimmt, beweist eindrucksvoll, daß man mit einer sogenannten „konventionellen“ Regie auch heutzutage durchaus einen Opernabend von Format in Szene setzen kann. Großer, langanhaltender Applaus für alle Protagonisten, frenetische Beifallsstürme für Mikolaj Zalassinski.

Verena Hamann

Bild: Jutta Missbach

Das Bild zeigt: Ensemble

Veröffentlicht unter Nürnberg, Staatstheater, Opern