von Richard Wagner (1813-1883), Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, Libretto: Richard Wagner, nach von Wolfram von Eschenbach, UA: 26. Juli 1882 Bayreuth, Festspielhaus
Regie: Frank Hilbrich, Bühne: Volker Thiele, Kostüme: Gabriele Rupprecht, Dramaturgie: Heiko Voss, Licht: Michael Philipp
Dirigent: Fabrice Bollon, Orchester: Philharmonisches Orchester Freiburg, Opernchor und Kinderchor des Theater Freiburg
Solisten: Juan Orozco (Amfortas), Jin Seok Lee (Titurel), Frank van Hove (Gurnemanz), Christian Voigt (Parsifal), Neal Schwantes (Klingsor), Sigrun Schell (Kundry), Ulrich Himmelsbach, Jae Seung Yu (Zwei Gralsritter) u.a.
Besuchte Aufführung: 21. April 2013 (Premiere)
Nur der reine, unwissende Tor Parsifal kann den leidenden Gralskönig Amfortas erlösen, der einst im Kampf gegen den sündigen Zauberer Klingsor und dessen verfluchte Dienerin Kundry mit seinem eigenen heiligen Speer verletzt wurde. Vom Gralsritter Gurnemanz unterrichtet, macht sich Parsifal auf zu Klingsors Zauberburg. Als ihn Kundry über seine ungewisse Herkunft aufklärt und anschließend küßt, überkommt Parsifal die Erkenntnis von Amfortas Leid. Er fängt den Speer auf, den Klingsor auf ihn schleudert, und schlägt so das Kreuzzeichen. Klingsor Burg bricht in sich zusammen. Jahre später erscheint Parsifal an einem Karfreitag bei der Gralsburg. Gurnemanz ist nun ein Einsiedler, Amfortas verweigert die Enthüllung des Grals, er möchte sterben. Parsifal jedoch schließt Amfortas Wunde mit dem heiligen Speer. Parsifal ist der neue Gralskönig, Kundry sinkt, von ihrem Fluch erlöst, tot zu Boden.
Aufführung
Der in Freiburg als Wagner-Desillusionist etablierte Frank Hilbrich hält auch im Parsifal an seiner Sicht fest. In dieser Gralswelt stehen hinter der kunstreligiösen Mystik und Erlösungssehnsucht letztlich nur Egoismus. Die Sucht nach dem Rausch und der Wille zur Macht. Zwar beten am Anfang noch Vertreter der Weltreligionen einträchtig miteinander. Und zu Beginn des dritten Aufzuges erscheint der Karfreitags-Friede durchaus real und präsent. Doch schon in der ersten Verwandlungsmusik werden per Videoprojektion Verbrechen, Katastrophen und Kriege mit Bildern religiöser Praxis verschränkt. Die spießbürgerlich sektenhaft gekleidete Gralsgesellschaft berauscht sich am enthüllten Gral wie am berühmt-berüchtigten Opium während gleichzeitig vor ihnen gut sichtbar der halbnackt-blutende Amfortas leidend kriecht, der von Parsifal bereits jetzt (nicht erst später!) bemitleidet wird. Dementsprechend sind gegen Ende in der Gralsburg, als Amfortas die Gralsenthüllung verweigert, Chaos und Gewalt ausgebrochen. Parsifal heilt Amfortas nicht mit dem Speer, sondern tötet ihn. Am Schluß sitzt Parsifal von der Gralsgesellschaft, verlassen und allein als neuer Herrscher. Klingsors Blumenmädchen sind im zweiten Aufzug (wenig überraschend) kostümiert wie Prostituierte.
Sänger und Orchester
Das Philharmonische Orchester Freiburg unter GMD Fabrice Bollon mausert sich an diesem Abend zum waschechten Parsifal-Orchester. Schon das Vorspiel gerät wunderbar schwebend, in den Streichern gleißend weich, aus denen die hohe Trompete hervorstrahlt. Der fahlen Harmonik und unendlichen Melodik nimmt man sich sensibel und mit konstant hohem Klangsinn an. Die Männerstimmen des Opernchores trumpfen bei den Gralsenthüllungsszenen fast zu mächtig, gewaltsam, auf, was allerdings zur Inszenierung paßt. Das Sextett der Blumenmädchen entfaltet einen weichen Ensembleklang von betörender Intensität, der von den restlichen Frauenstimmen des Opernchores trefflich umrahmt wird. Frank van Hove (Gurnemanz) ist der erwartete vokale Höhepunkt der Aufführung. Bei mustergültig klarer Wagner-Deklamation, man versteht jedes Wort, verleiht van Hove seinem Gurnemanz trotz vergleichsweise leichter Baßstimme bedeutungsvoll Nachdruck. Seine Intonation ist jederzeit klangschön und von abgerundeter Phrasierung. Alleine wegen ihm lohnt dieser Parsifal schon. Juan Orozco (Amfortas) wuchtiger Vortrag macht vergessen, daß er die meiste Zeit im Liegen singt. Den dahinsiechenden Gralskönig gibt er verstörend authentisch. Christian Voigt (Parsifal) ist kein ahnungsloser Tor, sondern kommt stimmlich gereift daher. Auch er hat Wagners Sprechgesang längst verinnerlicht, war am Premierenabend jedoch weniger durchschlagskräftig. Sigrun Schell verleiht ihrer Kundry vokal schillernde Farben und darstellerisch Wandlungsreichtum. Neal Schwante gibt seinen tätowierten Klingsor weniger als Bösewicht, denn als resignativen Gegenherrscher der Gralswelt, gleichwohl ist auch er nicht weniger stimmstark und theatralisch aufgelegt.
Fazit
Daß der Schluß Jubel so laut ausfällt – viele Bravi gab es für beinahe alle Beteiligten –, ist aufgrund der herausragenden Leistungen zwar verständlich, irritierte jedoch ebenfalls aufgrund der pessimistischen Sicht auf diesen Parsifal. Diese überzeugt gerade, weil sie die Schattenseiten der Gralswelt hervorkehrt. Alles in allem ein weit überdurchschnittlicher Premierenabend im Wagner-Jubiläumsjahr, nicht nur für Freiburger Verhältnisse.
Aron Sayed
Bild: Maurice Korbel
Das Bild zeigt: Christian Voigt (Parsifal), Chor
Sigrun Schell