von Jules Massenet (1868-1912), Lyrisches Drama in vier Akten von Edouard Blau nach Johann Wolfgang von Goethe
UA: 1892, Wien, in deutscher Sprache; 1893, Paris, Originalfassung
Regie: Andrejs Zagars, Bühne: Ieva Kaulina, Kostüme: Kristine Pasternaka
Dirigent: Walter E. Gugerbauer, Philharmonisches Orchester, Philharmonischer Kinder- und Jugendchor der Musikschule Erfurt
Solisten: Richard Carlucci (Werther), Carola Guber (Charlotte), Mate Solyom-Nagy (Albert), Julia Neumann (Sophie), Juri Batukov (Le Bailli, Amtmann), Johann und Schmidt wurden gestrichen.
Besuchte Aufführung: 13. Dezember 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Bereits im Sommer studiert der Amtmann mit seinen Kindern Weihnachtslieder ein. Die älteste Tochter Charlotte hat nach dem Tod der Mutter deren Rolle übernommen und kümmert sich rührend um die jüngeren Geschwister. Werther begleitet Charlotte auf ein Fest, da ihr Verlobter Albert noch auf Reisen ist. Werther gesteht Charlotte seine Liebe. Diese hat auch Gefühle für ihn, versprach jedoch ihrer Mutter am Sterbebett, Albert zu heiraten.
Albert und Charlotte sind nun verheiratet. Albert bietet Werther seine Freundschaft an, doch er kann seine Gefühle nicht kontrollieren. Charlotte rät ihm, bis Weihnachten fortzugehen. Werther hat seinen Selbstmord klar vor Augen.
In Winter liest Charlotte voll Trauer wieder und wieder die Briefe Werthers. Weder die Schwester Sophie noch ein Gebet kann sie aufmuntern. Werther will Charlotte ein letztes Mal sehen. Er sucht sie auf und offenbart ihr seinen Todeswunsch. Charlotte weist ihn endgültig zurück. Brieflich bittet Werther Albert, ihm seine Pistolen zu leihen. Dieser bittet Charlotte, sie Werther zu übergeben. Sie versucht, Werther zu finden, erreicht ihn jedoch zu spät. Im Moment seines Todes gesteht auch Charlotte ihm ihre Liebe. Werther stirbt in Charlottes Armen. Es ist die Weihnachtsnacht. Aus der Ferne hört man das Weihnachtslied der Kinder.
Aufführung
Der ungarische Regisseur Andrejs Zagars versucht die mystisch-verklärte Beziehung zwischen Werther und Lotte als normale Dreiecksbeziehung darzustellen, jedoch will es ihm nicht gelingen, da Albert sich nicht einfügen will: Zum einen ist er offensichtlich mit Charlotte glücklich verheiratet, zum anderen nimmt er die Beziehung zwischen Charlotte und Werther nicht ernst. Sein Wutausbruch bleibt dabei unverständlich.
Auch die Frage warum große Teile im ersten und zweiten Akt gestrichen wurden kann die Inszenierung nicht beantworten. Die Nebenrollen (Johann und Schmidt) sind gestrichen, jedoch gelingt keine Fokussierung auf die Hauptrollen und die Reduzierung der Handlung bleibt minimal – es gibt in diesem Stück kaum Handlung, nur innere Spannung – und die gelingt es im Verlauf des Stückes immer weniger zu vermitteln.
Ebenso kann das Bühnenbild keine zusätzlichen Antworten geben: Ein Einheitsbühnenbild, das die Empfangshalle eines Hauses mit integrierter Bibliothek zeigt. Im letzten Akt ist die Bibliothek ausgebrannt, die verbrannten Bücher wecken eine Analogie zur Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, sind aber für das Verständnis der Inszenierung nicht hilfreich, sondern führen zu neuen Fragen, warum das Stück in die heutige Zeit verlegt wurde, zumal die Kostüme nichtssagend sind. Die Personenregie bleibt meist statisch (Rampentheater!), die Personen wirken meist unbeholfen. Eine Ausnahme ist nur Julia Neumann (Sophie), die die jugendliche Naive (ergo den Teenager) wahrlich erfrischend und überzeugend spielt.
Sänger und Orchester
Musikalisch ist dies ein schöner Abend auf solidem Stadttheaterniveau. Stimmlich können alle Sängerdarsteller überzeugen, aber die inneren Gefühle, die seelischen Spannungen können sie nicht darstellen – auch als Folge der Inszenierung. Richard Carlucci (Werther) ist ein guter Tenor, dem ein wenig die Strahlkraft fehlt. Carola Guber (Charlotte) ist als dramatischer Wagnersopran etwas überbesetzt, da sie manchmal etwas zu viel Kraft verwendet. Mate Solyom-Nagy erfüllt alle Anforderungen an die schwierige Rolle des Albert. Entdeckung des Abends ist Julia Neumann, der es gelingt, den jugendlichen Charme der Sophie sowohl darstellerisch als auch stimmlich glänzend darzustellen. Die Nebenrollen sind leider den Strichen zum Opfer gefallen, auch Juri Batukov kommt als Amtmann zu kurz. Der Kinderchor kann zwar überzeugen, jedoch wirkt es sehr störend, daß er nur per Mikroport zusammengeführt werden kann. Das Orchester unter Walter E. Gugerbauer hat einen fehlerfreien harten deutschen Klang, dem an diesem Abend der französische Esprit ein wenig fehlt.
Fazit
Je weiter der Abend fortschreitet, desto mehr gewinnt der geneigte Zuschauer die Überzeugung, daß der ungarische Regisseur Andrejs Zagars den tieferen Sinn dieser Liebesbeziehung zwischen Werther und Charlotte nicht verstanden hat. Für ihn scheint das nur eine Liebesbeziehung auf „Soap-Oper-Niveau“ zu sein. Darunter leidet auch die Wirkung beim Publikum: Am Schluß freundlicher Applaus für einen Opernabend mit nur scheinbar viel Gefühl!
Oliver Hohlbach
Bild: L. Edelhoff
Das Bild zeigt Sophie (Julia Neumann)und Werther (Richard Carlucci) vor der Bücherwand.