Interview mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann

Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien

Die Eltern stammen aus Elbing, Westpreußen. Sie kamen nach der Flucht in die Stadt Bremen, wo Bernd Neumann das Studium der Pädagogik aufnahm und Realschullehrer wurde. Über die Junge Union wurde er Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Seit 1973 Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion kam er 1987 in den Bundestag, wurde stellvertretender Vorsitzender des Bundesfachausschusses Medienpolitik der CDU, sodann Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung, Forschung und Technologie, später Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß des Bundestages für Kultur und Medien und ist seit 2005 Staatsminister für Kultur und Medien. Er bekam verschiedene Preise, u.a. wurde er „Commandeur des Arts et des Lettres“ (2007) und erhielt den Ehrenpreis des Bundesverbandes der Film-und Fernsehschauspieler (BFFS), die Richard-Strauss-Medaille (GEMA) sowie den Sally-Award des Arbeitskreises Mittelständischer Verlage (AMV).

Z: Herr Staatsminister, Sie kennen unser Magazin OPERAPOINT.

Wir bemühen uns im unserem Magazin, aber auch in unserem online-Angebot, dem Publikum die Inhalte und den strukturellen Aufbau von Opern und Konzertstücken besser verständlich zu machen und dabei Empfehlungen für gute Interpretationen zu geben. Nun stellen wir fest, dass die Printausgaben generell und damit natürlich auch unser Magazin weniger gelesen werden, während wir bei unserem Internet-Auftritt über eine halbe Million Aufrufe haben. Sehen Sie eine Möglichkeit, Printmedien gegenüber der wachsenden Konkurrenz durch das Internet zu stärken?

B. N.: Am Beispiel Ihres Magazins kann man gut erkennen, welche Vorteile und Chancen das Internet hat: Es ist mobil, schnell verfügbar und bietet die Möglichkeit der Interaktivität und der Intermedialität. Insbesondere bietet es die Möglichkeit zur schnellen Recherche, z.B. auch vor Besuch einer Opernaufführung oder eines Konzerts. Erfreulicherweise ist ja auch Ihr Netz-Auftritt erfolgreich. Aber: Printmedien bleiben auch im Zeitalter des Internets für Politik und Gesellschaft unverzichtbar. Zeitungen und Magazine sind grundlegende Leitmedien,  die Auswahl und Orientierung anbieten. Diese Funktion kann das Internet nicht ersetzen. Deshalb ist es wichtig, dass die Kulturredaktionen der Zeitungen auch künftig darüber berichten, was in den Museen, Galerien, Konzertsälen und Theatern stattfindet. Denn die öffentlich geführte Reflektion über Kunst gehört zum Kunstprozess dazu.

Der Bund unterstützt die Printmedien bereits ganz grundlegend z.B. durch den auf sieben Prozent verringerten Mehrwertsteuersatz. Das gerade vom Bundestag verabschiedete Leistungsschutzrecht stärkt die Stellung der Presseverlage bei der Vermarktung ihrer Erzeugnisse im Netz. Auch die Medienkompetenz der jungen Generation fördert der Bund durch Modellprojekte. Um ihnen die Printmedien näher zu bringen, hat mein Haus z.B. die „Nationale Initiative Printmedien“ ins Leben gerufen. Die Initiative veranstaltet jedes Jahr einen Schülerwettbewerb, bei dem sich Jugendliche mit dem Thema Printmedien auseinandersetzen.

Z: Wären Sie einverstanden mit den Behauptungen: Wer nicht über klassische Musik nachliest, weiß nicht viel über sie bzw. man kann nur verstehen, was man auch weiß? Oder sind die Aussagen zu rigoros?

B. N.: Für mich ist das eine zu enge Betrachtungsweise. Den besten Zugang zur Musik hat man doch, wenn man selbst musiziert oder z.B. in einem Chor singt. Denn nur „ über Musik nachzulesen “ vermittelt nicht, was es heißt, eine virtuose Stelle zu meistern oder einen Ton schwingen zu lassen. Ideal wäre es natürlich, beides zu vereinen. Gerade beim Besuch einer Oper profitiert man davon, wenn man über Handlungsverlauf, historische Hintergründe und die musikgeschichtliche Einordnung informiert ist.

Z: Auf Ihrem Internet-Portal las ich, dass Ihr Haus „Initiativen zur Vermittlungsarbeit“ unterstützt. Wo geschieht das und können Sie mir dazu Beispiele nennen?

B. N.: Es ist richtig, ich habe die kulturelle Bildung zu einem Schwerpunkt der Arbeit meines Hauses gemacht. Angebote zur kulturellen Vermittlung finden Sie in allen Einrichtungen, die der Bund institutionell fördert – seit 2008 ist dies eine bindende Auflage. Außerdem unterstützt mein Haus ganz gezielt Initiativen, die beispielgebend sind, also bundesweit Modellcharakter haben. Das großartige Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ in Nordrhein-Westfalen ist nur mit Unterstützung des Bundes möglich gewesen. Die Kulturstiftung des Bundes hat eine fünfjährige Anschubfinanzierung unter der Bedingung übernommen, dass das Land und die beteiligten Kommunen sowie Sponsoren das Vorhaben dann weiterführen. Das Projekt ist so erfolgreich, dass es andere Bundesländer auch eingeführt haben oder ähnliche Initiativen fördern.

Derzeit läuft zudem das Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“. Kunst und Kultur sollen einen festen Platz im Schulalltag bekommen, dazu werden langfristige Kooperationen mit Kultureinrichtungen vor Ort initiiert. Um gelungenen Projekten mehr Öffentlichkeit zu verschaffen und zum Nachahmen anzuregen, habe ich zudem den „BKM-Preis Kulturelle Bildung“ ausgelobt. Mein Haus organisiert auch einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch zur kulturellen Vermittlungsarbeit, z.B. im vergangenen Herbst die Tagung „Kulturelle Bildung öffnet Welten“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin.

Z: Das ist sehr zu begrüßen. Aber was ist mit den nicht vom BKM geförderten Einrichtungen? Muss der Appell nicht auch an die Opern- oder Konzerthäuser oder auch an private Initiativen gehen, welche sich oft hinter Vereinen verbergen? Und ist dort auch eine Förderung möglich?

B. N.: Unsere Unterstützung konzentriert sich nicht nur auf BKM-geförderte Einrichtungen, sondern wir unterstützen auch zahlreiche Projekte anderer Einrichtungen und Initiativen. Höhepunkt dabei ist die jährliche Verleihung des Preises für Kulturelle Bildung in Genshagen. Davon profitieren ganz besonders auch die Projekte von nicht vom BKM geförderten Trägern. Ich hoffe natürlich, dass diese Beispiele auch in den Ländern Schule machen, denn diese sind für die kulturelle Bildung primär zuständig.

Z: Aus Anlass des fünfzigjährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages spricht man zur Zeit viel von der deutschfranzösischen Freundschaft. Sie haben auf die intensive kulturelle Zusammenarbeit der beiden Länder hingewiesen, die von Ihnen unterstützt wird. Sind darunter auch private Initiativen?

B. N.: Mit keinem anderen Land hat Deutschland einen so intensiven kulturellen Austausch wie mit Frankreich. Das gilt für kulturelle Institutionen wie Museen, Theater, Bibliotheken, Orchester wie auch für private Projekte. Für private Initiativen stehen in Bund und Ländern viele verschiedene Förderinstrumente zur Verfügung.

Für mein Haus gesprochen, gibt es z.B. im Bereich der Musik den Fonds „Impuls Neue Musik“, mit dem die Zusammenarbeit zwischen Komponisten und Musikern in beiden Ländern gefördert wird. Auch der Austausch von Kunstgalerien wird unterstützt. 2010 habe ich den deutsch-französischen Literaturpreis, den Franz-Hessel-Preis, ins Leben gerufen. Und es gibt einen eigenen Fonds zur Förderung von deutschfranzösischen Kinoproduktionen.

Z: Das Buch Der Kulturinfarkt (berichtet im Magazin OPERAPOINT 3/2012) behauptet, dass in Deutschland für die Kultur, also Kunst, Theater, Oper, VHS u.a. eigentlich zu viel Geld, und zwar meist für staatlich geförderte Kultureinrichtungen ausgegeben würde. Dagegen würde man Initiativen innerhalb der Zivilgesellschaft (Vereine, private Initiativen etc.) nicht ausreichend fördern. Ist da etwas Wahres dran?

B. N.: Nein, die Thesen in diesem Buch teile ich überhaupt nicht. Wenn fünfzig Prozent der kulturellen Einrichtungen geschlossen werden, wie von den Autoren gefordert, dann sind davon gerade die kleineren, innovativen und die in der Fläche betroffen. Richtig ist natürlich, dass die Länder und Kommunen immer wieder neu entscheiden müssen, wie sie die historisch gewachsene kulturelle Infrastruktur weiter finanzieren und zugleich neue Entwicklungen möglich machen wollen. Der Bund hat hier vor allem dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Kultur insgesamt stimmen.

Dazu gehören z.B. die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements insbesondere im Bereich des Steuer- und Sozialrechts, die Unterstützung bei der sozialen Absicherung durch die Künstlersozialkasse und ein Urheberrecht, das auch im digitalen Zeitalter wirksam ist.

Z: Der frühere Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann prägte den Ausdruck „Kultur für alle“. Unternimmt Ihr Haus nicht Initiativen mit einer ähnlichen Zielrichtung? Wie sehen Sie hier die Rolle des Bundes?

B. N.: Heute ist das zum Glück Konsens zwischen allen im Bundestag vertretenen Parteien. Die Basis ist dabei immer die „ kulturelle Grundversorgung “ für die Bürgerinnen und Bürger – also der Unterhalt von Museen, Opern, Theatern, Orchestern, Musikschulen oder Bibliotheken. Dies ist und bleibt allerdings eine Aufgabe der Länder und Kommunen. Und – wie schon gesagt – für den Bund ist es selbstverständlich, dass er bei allen seinen Förderungen darauf achtet, einen breiten Zugang zu ermöglichen und auch Menschen anzusprechen, die die kulturellen Angebote, z.B. weil sie aus einem kulturfernen Umfeld kommen, bislang nicht wahrgenommen haben.

Z: Ihr Haus unterstützt Projekte zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses. Was ist das Besondere daran, da es doch in Deutschland schon viele Wettbewerbe gibt, wie z. B. „Neue Stimmen“ in Gütersloh, „DEBUT Europäischer Gesangswettbewerb“, „Competizione dell’ Opera“ in Dresden usw.?

B. N.: Der Bund führt im Bereich der Förderung des künstlerischen Nachwuchses Wettbewerbe durch, die die Nachwuchsförderung der Länder ergänzen. Sie stellen eine länderübergreifende Spitzenförderung dar und haben daher bundesweite Bedeutung. Beispiele sind der Deutsche Musikwettbewerb oder der Bundeswettbewerb Gesang.

Eine andere Art der Förderung ist das vom Deutschen Musikrat getragene Dirigentenforum. Hier durchlaufen junge Dirigenten unter der Mentorschaft namhafter Dirigenten ein mehrstufiges System von Arbeitsphasen und Kursen. Auch der Musikinstrumentenfonds, den der BKM gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Musikleben unterhält, ist beim Bund in guten Händen, weil begabte junge Musiker bundesweit leihweise mit hochwertigen Musikinstrumenten arbeiten können.

Z: Sie fördern auch den Film. Sind dabei auch sog. Doku-Filme möglich, die sich die Aufgabe gestellt haben, z.B. Menschen mit der klassischen Musik vertraut zu machen?

B. N.: Ja, solche Filme können im Rahmen der kulturellen Filmförderung unterstützt werden. Allerdings gibt es für musikbezogene Filme kein eigenes Programm, die Anträge konkurrieren also mit anderen Themen. Es hat aber immer wieder gute Beispiele für eine erfolgreiche Förderung in diesem Bereich gegeben, z.B. Trip to Asia, vom BKM gefördert, ein klanggewaltiger Dokumentarfilm über das Asiengastspiel der Berliner Philharmoniker.

Der Film Rhythm is it!, der eine Strawinsky-Aufführung mit 250 Kindern aus sozialen Brennpunkten – ein großartigesBeispiel für kulturelle Bildung – dokumentiert, wurde dadurch unterstützt, dass er seinerzeit mit dem Deutschen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet worden ist.

Z: Wo und wie sehen Sie generell für die Zukunft Ansätze, ein breiter angesiedeltes und nachhaltiges Interesse für klassische Musik zu fördern?

B. N.: Wenn man von Kindheit an lernt, Musik zu hören und zu verstehen, Musikveranstaltungen besucht, vielleicht ein Instrument lernt, dann ist damit der entscheidende Grundstein für Nachhaltigkeit gelegt. Es muss also in musikalische Bildung investiert werden. Und dies ist genau der Grund, weswegen ich immer wieder an die Bundesländer und die Kommunen appelliere, ihrer Verantwortung für die musikalische Bildung gerecht zu werden.

Ein regelmäßiger, qualifizierter Musikunterricht muss in der Schule stattfinden und darf auch nicht der verkürzten Gymnasialzeit zum Opfer fallen. In Kindheit und Jugend werden schließlich die Grundlagen für das Interesse an Musik gelegt.

Z: Es wird zur musikalischen Förderung der Jugend viel unternommen, wenig dagegen zur Förderung der Laienmusik älterer Erwachsener. Sehen Sie Handlungsbedarf und könnte da von Ihrem Haus aus etwas getan werden?

B. N.: Auch hier sind zunächst wieder die Länder und Kommunen gefragt. Auf kommunaler Ebene finden sich vor allem bei den Volkshochschulen Angebote speziell für ältere Menschen. Der Bund kann nur vereinzelt Impulse geben. Das geschieht auch, z.B. fördern wir das „Deutsche Orchestertreffen 60+“, das von der Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände für Laienorchester veranstaltet wird.

Z: Daniel Barenboim hat sich in einem Interview mit der FAZ vom 15. November 2012 folgendermaßengeäußert: Ab etwa 2050 wird die Musik in unserer Gesellschaft kaum noch eine Rolle spielen. Welchen Stellenwert sehen Sie für die „klassische“ Kultur beim multimedialen „Massenpublikum“ der Zukunft?

B. N.: Daniel Barenboim wäre nicht Daniel Barenboim, wenn er nicht im Nachsatz gleich darauf verwiesen hätte, dass seine Barenboim-Said-Akademie, deren Aufbau vom Bund unterstützt wird, dieser Entwicklung entgegentritt. Also ist er selbst überzeugt, dass man Einfluss nehmen kann. Und auch ich bin der Überzeugung, dass die klassische Musik einen festen Platz in der Gesellschaft behalten wird. Gerade Deutschland kann auf seine einzigartige Dichte an Orchestern und Konzerthäusern durchaus stolz sein.

Und wenn ich resümiere, was an jungen Talenten nachwächst, was von vielen Seiten unternommen wird, um Kinder und Jugendliche an Musik heranzuführen, dann bin ich optimistisch. Allein an dem von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam finanzierten Wettbewerb „Jugend musiziert“, der im nächsten Jahr sein 50jähriges Bestehen feiert, haben bislang fast 500.000 Kinder und Jugendliche teilgenommen. Und es werden jedes Jahr mehr. Unzählige Male debütierten hier junge Musik-Talente, manche von ihnen sind heute international bekannte Stars.

Z: Herr Staatsminister, herzlichen Dank für Ihre ausführlichen Antworten.

Die Fragen wurden von Dr. Olaf Zenner gestellt. Das orginal Interview ist im April 2013 in der OPERAPOINT-Printausgabe 2/2013 erschienen.

Bild: Bernd Neumann, Bundesregierung – Kugler

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