von Richard Strauss (1864 – 1949), Oper in zwei Aufzügen, Text von Hugo von Hofmannsthal
UA: 1928 Dresden; (Berliner Fassung: Marco Arturo Marelli auf Grundlage der Dresdner (1928) und Wiener (1933) Fassungen
Regie und Bühnenbild: Marco Arturo Marelli, Kostüme: Dagmar Niefind, Dramaturgie: Andreas K. W. Meyer
Dirigent: Andrew Litton, Orchester der Deutschen Oper Berlin, Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: William Spaulding
Solisten: Ricarda Merbeth (Helena), Robert Chafin (Menelas), Laura Aikin (Aithra), Sofia Kemstac (Hermione), Morten Frank Larsen (Altair), Burkhard Ulrich (Da-ud), Jaquelyn Wagner (erste Dienerin), Stephanie Weiss (zweite Dienerin), Erica Miller (erste Elfe), Julia Benzinger (zweite Elfe), Nicole Piccolomini (dritte Elfe), Ewa Wolak (die alles-wissende Muschel)
Besuchte Aufführung: 19. Januar 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
Der Trojanische Krieg ist zu Ende. Helena, deren Entführung durch Paris den Grund für diesen viele Jahre währenden Konflikt geliefert hatte, ist nun wieder mit ihrem rechtmäßigen Gemahl Menelas zusammen, dem es nicht gelingt, das hinter ihm liegende, von Kampf und Betrug erfüllte Jahrzehnt zu vergessen. Als er sich daran macht, Helena im Schlaf zu töten, schaltet sich die Zauberin Aithra ein: Sie trennt die beiden, gibt ihnen zwei Tränke – einen des Vergessens und einen des Erinnerns – und suggeriert Menelas, seine Gattin sei ihm nie untreu gewesen. Sie habe von den Göttern entrückt viele Jahre am Fuße des Atlas geschlafen, während Menelas ein Trugbild vorgegaukelt habe, Helena sei in Troja gewesen. Doch vermag Menelas noch immer nicht, sein Mißtrauen zu überwinden. Erst nachdem er mit seiner Gattin in einem märchenhaften orientalischen Reich Abenteuer erlebt, die die blutigen Ereignisse des Krieges noch einmal zu Bewußtsein kommen lassen, vermag er, diese beide Helenas überein zu bringen und mit seiner Frau Frieden zu schließen.
Vorbemerkung
Strauss’ Ägyptische Helena ist ein ungeheuer schwer zu inszenierendes Stück, das zugleich wie kaum ein anderes der kundigen Um- und Übersetzung durch einen Regisseur bedarf. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, warum sich dieses Werk nie so wie der Rosenkavalier oder Ariadne auf Naxos im Repertoire etablieren konnte. Die Handlung schwebt zwischen großer Ernsthaftigkeit und Ironie, sie verlangt viele und schnelle Wechsel der Schauplätze, und – das dürfte das größte Problem darstellen – sie ist nicht ohne weiteres einem bestimmten Genre zuzuordnen. Vielleicht könnte man sie am ehesten mit einer Zauberoper wie Mozarts Zauberflöte vergleichen, denn an vielen Stellen eignet diesem Werk etwas magisch Unwirkliches.
Aufführung
All diese Facetten und Umschläge der Handlung vom Ersten ins Heitere und umgekehrt kommen in der Inszenierung Marco Arturo Marellis hervorragend, sogar mustergültig zum Tragen. Die Personenregie, die zum großen Teil im Stile der Jahrhundertwende gehaltene Bühnenbild, das nahezu permanent in Bewegung befindlich ist – all dies schafft genau die Wirkungen, die zum Verständnis der oftmals subtilen psychologischen Vorgänge in dieser Oper notwendig sind.
Sänger und Orchester
Das Ensemble der Sänger ist seiner Aufgabe voll gewachsen, sängerisch wie darstellerisch. Es fällt schwer, aus der gelungenen Gesamtleistung einzelne herauszugreifen. Sowohl Laura Aikin (Aithra) als auch Ricarda Merbeth (Helena), die sicherlich die schwersten Aufgaben zu bewältigen haben, gaben ihre Partien mit Bravour. Die exorbitant tiefe Stimmlage der Muschel meisterte Ewa Wolak (die alles-wissende Muschel) ohne erkennbare Schwierigkeiten. Robert Chafin gab mit seinem zwischen Komik und Verzweiflung changierenden, eckigen Spiel einen überzeugenden Menelas, der stimmlich allerdings an seine Grenzen stieß, woran allerdings auch die über weite Strecken sehr kompakte Instrumentation der Partitur mit schuld sein dürfte, die eigentlich nur noch das Timbre hoher Frauenstimmen durch das orchestrale Gewebe dringen läßt. Der Dirigent des Abends, Andrew Litton, gab sich erkennbar alle Mühe, das riesige Orchester zu bändigen, was mit wenigen Ausnahmen auch gelang. Strauss hat deutlich erkennbar sein Werk vom Orchester ausgehend konzipiert und so ein Füllhorn motivisch-thematischer und instrumentatorischer Finessen geschaffen, das an diesem Abend über dem dankbaren Publikum ausgeschüttet wurde.
Fazit
Der einhellig begeisterte, tosende Beifall, den Regisseur und Kostümbildnerin am Ende des Abends erhielten, ist an sich schon bemerkenswert genug und belegt, daß das Publikum diese fachkundige und handwerklich gediegene Umsetzung wohl zu schätzen weiß. Es dürfte sich kurz gesagt um eine der Produktionen mit dem größten Erfolgspotential handeln, die die Deutsche Oper derzeit im Spielplan hat.
Eine kongeniale szenische Umsetzung dieser musikdramatischen Rarität, ein gutes bis sehr gutes Sängerensemble und Orchester, ein ebenso unterhaltsamer wie ergreifender Abend – was will man mehr?
Dr. Martin Knust
Bild: Marcus Lieberenz
Das Bild zeigt Ricarda Merbeth als Helena und Robert Chafin als Menelas.