DER IDIOT – Mannheim, Nationaltheater

von Mieczysław Weinberg (1919-1996), Oper in vier Akten, Libretto: Alexander Medwedjew nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewskij, UA: 9. Mai 2013 Mannheim, Nationaltheater

Regie: Regula Gerber, Bühne: Stefan Mayer, Kostüme: Falk Bauer, Licht: Nicole Berry, Video: Thilo David Heins, Choreographische Mitarbeit: Luches Huddleston jr., Dramaturgie: Oliver Binder

Dirigent: Thomas Sanderling, Orchester des Nationaltheater, Choreinstudierung: Tilman Michael

Solisten: Dmitry Golovnin (Fürst Myschkin), Steven Scheschareg (Parfjon Rogoschin), Ludmila Slepneva (Nasstasja Filippowna), Bryan Boyce (Tozkij), Lars Møller (Lebedjew), Alexander Vassiliev (Iwan Jepantschin), Elzbieta Ardam (Jelisaweta Jepantschina), Anne-Theresa Møller (Aglaja), Cornelia Ptassek (Alexandra), u. a.

Besuchte Aufführung: 9. Mai 2013 (Premiere)

Kurzinhalt

Fürst Myschkin – der Idiot – kommt von einem längeren Krankenhausaufenthalt aus der Schweiz nach St. Petersburg zurück. Sofort gerät er, der sich den Glauben an das Gute im Menschen noch erhalten hat, in einen Strudel von Intrigen und Hinterhältigkeiten: Nastassja Filippowna verzaubert alle Männer, ist aber als Mätresse ihres Gönners Tozkij keine ehrbare Heiratspartie. Als dieser sich mit Aglaja, der Tochter der Jepantschins vermählen möchte, muß er zunächst Nastassja los werden. In dieses Geflecht aus Leidenschaften und arrangierten Ehen platzt der kindlich naive Myschkin. Er verfällt Nastassja sofort und will sie retten. Gleichzeitig fühlt er sich von Aglaja angezogen. Im Kampf zwischen beiden Frauen und deren Liebhabern wird er selbst zum Spielball im Netz der erotischen und materiellen Abhängigkeiten. Die Tragödie kommt erst durch den Tod Nastassjas zu ihrem Ende. Das letzte Bild zeigt den verstörten Myschkin in den Armen  Rogoschins, des Mörders.

Aufführung

Schlichte weiße Seitenwände mit jeweils drei Türen für Auf- und Abgänge und eine schwarze, verschiebbare Rückwand: Das ist der Rahmen in dem sich alles abspielt. Das Zentrum des Bühnenbildes ist die Drehbühne, auf der, einem Karussell gleich, verschiedene Bühnenbildelemente stehen, die zunächst ganz unterschiedliche Orte zeigen. So stehen im zweiten Bild ein kleines Zugabteil, ein Küchentisch mit der Familie Jepantschin und ein Schreibtisch mit dem Gehilfen Ganja auf der Bühne. Bespielt wird immer nur eine dieser „Miniaturbühnen“. Ein weiteres zentrales Element des Bildes sind die Videoprojektionen, die auf die schwarze Rückwand geworfen werden. Sie zeigen verschneite Landschaften oder Schneeflocken, vervielfachen aber auch – ähnlich wie bei mehreren hintereinander aufgestellten Spiegeln – das Geschehen auf der Drehbühne. Die Kostüme changieren zwischen modernen Anzügen und an die Mode des späten 19. Jahrhunderts.

Sänger und Orchester

In Weinbergs Oper mischen sich Konversationsstil mit einigen wenigen ariose Momente sowie Lieder und Unterhaltungsmusik. Musikalische Formen wechseln abrupt, Stimmungen kippen von der einen auf die andere Sekunde um. Das erfordert höchste Konzentration und technische Präzision, sowohl von den Sängern, als auch von Dirigent und Orchester. Thomas Sanderlings Dirigat ist immer transparent, selbst in den lautesten Blechbläserstellen war jedes Motiv klar und klangschön zu vernehmen. Dmitry Golovnin (Fürst Myschkin) ist darstellerisch wie sängerisch eine Idealbesetzung. Der sehr lyrische Tenor singt die Partie so vielschichtig rätselhaft, mal schüchtern leise, mal wahnsinnig dramatisch, aber immer sicher in Stimme und Ausdruck. Kongeniales Alter Ego war Steven Scheschareg als Rogoschin. Sein Baßbariton ist nicht einfach nur dunkel-schwarz, sondern zeigt alle Schattierungen des verzweifelten Charakters. Ludmila Slepneva stellt eine Nastassja dar, hin und hergerissen  zwischen Verletzlichkeit und Grausamkeit. Ihre Kontrahentin Aglaja zeigt sich bei Anne-Theresa Møller wunderbar angriffslustig und jugendlich. Beeindruckend ist Lars Møller in der Rolle des teuflischen Lebedjew, Kommentator des Geschehens. Auch die Nebenrollen – man mag sie als solche eigentlich gar nicht bezeichnen – sind hervorragend besetzt.

Fazit

Ein nicht enden wollender Applaus beendete das vierstündige Mammutwerk. Mannheim hat mit dieser rundum gelungenen Darbietung Werbung für den so selten gespielten Mieczysław Weinberg gemacht. Die sehr konzentrierte und durchdachte Inszenierung Regula Gerbers war genauso detailverliebt wie Thomas Sanderlings Dirigat und dabei immer noch wunderschön anzusehen bzw. anzuhören. Ein ausführliches Programmheft, das auch das Libretto der Oper enthält, ergänzte sinnvoll die Aufführung.

Jelena Rothermel

Bild: Hans Jörg Michel

Das Bild zeigt: Anne-Theresa Møller (Aglaja), Dmitry Golovnin (Fürst Myschkin), Diana Matthess, Cornelia Ptassek (Alexandra)

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