von: George Benjamin, Oper in drei Teilen, Text: Martin Grimp nach Le coeur mangé von Razó Guillem de Cabestanh, UA: 7. Juli 2012, Aix-en-Provence
Regie: Katie Mitchell, Bühne/Kostüme: Vicki Mortimer
Dirigent: Kent Nagano und das Klangforum Wien
Solisten: Christopher Purves (The Protector), Barbara Hannigan (Agnès), Iestyn Davis (Angel 1/The Boy), Victoria Simmonds (Angel 2/Marie), Allan Clayton (Angel 3/John)
Besuchte Aufführung: 23. Juli 2013 (Deutschlandpremiere)
Ein reicher Protektor lädt einen Jungen zu sich ein und bittet ihn, ein illustriertes Buch mit Zeichnungen über seine Gewaltherrschaft anzufertigen. Seine Frau Agnès fühlt sich in ihrer Ehe unterdrückt und wünscht sich mehr Zärtlichkeit von ihrem Mann. Dieser weist sie jedoch ab. Daraufhin beginnt Agnès ein Verhältnis mit dem Jungen. Als ihr Mann von der Liebesaffäre erfährt, bringt er den Jungen um und serviert seiner Frau sein Herz als Mahlzeit. Agnès, die nicht weiß, was sie zu essen bekommt, ißt das Herz. Als sie erfährt, daß sie das Herz ihres Geliebten gegessen hat, flieht Agnès und nimmt sich das Leben.
Aufführung
Die Bühne zeigt das Haus des Protektors. Die Zimmer sind offene Schaukästen über zwei Ebenen. Die linke Hälfte unterscheidet sich optisch von der rechten: durch Halogenlampen und Stahlmöbel wirkt sie modern, während die rechte Hälfte mit Steinwänden und Holzmöbeln mittelalterlich aussieht. So laufen zwei unterschiedliche Zeiten parallel. Das rechte untere Zimmer ist fast durchgängig der Schauplatz der Handlung. Hier wachsen Bäume durch die Decke und Eisenstangen stützen die Decke. Die Kostüme sind ebenfalls mittelalterlich und ärmlich geprägt: Agnès trägt ein beigefarbenes Kleid aus Baumwollstoff, der Protektor eine beigefarbene Robe und Hose mit Stiefeln. Die Inszenierung erinnert durch ihre Spannungsmomente an ein Werk von Hitchcock: Brutalität und sexuelle Befreiung werden als Hauptaussagen der Oper hervorgehoben.
Sänger und Orchester
Christopher Purves (Protektor) singt mit einem hellgefärbten Baß. Sein expressiver Gesang verkörpert das Zerstörerische seiner Rolle sehr gut. In den Tiefen klingt er stählern und rauh, in der Höhe kann er aber auch sehr sanft und pianissimo intonieren. Als er den Jungen beispielsweise auffordert, das Paradies darzustellen, singt er die Silben in sotto voce. Als er im zweiten und dritten Teil seine Frau des Fremdgehens bezichtigt, grollt sein Baß furchterregend. Seine Gesangspartnerin Allison Hannigan (Agnès), der die Rolle vom Komponisten auf den Leib geschneidert scheint, verfügt ebenso über differenziertes, stimmliches Können. Ihr kühler, recht zarter Sopran paßt sehr gut zu der Rolle der unterdrückten Ehefrau. Beim ersten Aufeinandertreffen mit dem Jungen singt sie sehr gefühlsbetont The Woman takes off her shoes – Die Frau zieht ihre Schuhe aus. Den Akt der sexuellen Befreiung betont sie stimmlich durch das hysterische Anschwellen ihrer Stimme in den hohen Tönen und das Nachahmen von Jauchzen. Ihr angenehmes Vibrato gibt der Stimme in der Höhe eine wohlige Tiefe, dabei klingt sie in der Bruststimme eindringlich und warm, beispielsweise als sie eine der Schlüsselphrasen der Oper singt: Love is not a picture, love is an act – Liebe ist kein Bild, Liebe ist eine Tat. Im Zusammenspiel ergänzen sich beide Hauptdarsteller durch ihre hervorragende Gestik: Agnès versucht ständig sich dem Protektor erotisch zu nähern, während der Protektor sie von sich weist oder schlägt. Iestyn Davies (The Boy) vervollständigt die Dreiecksbeziehung. Sein Countertenor ist klirrend und kehlig in der Höhe, entwickelt aber im Laufe des Abends ein geschmeidiges Timbre. Im zweiten Teil intoniert er das nothing seiner Rolle entsprechend naiv und unschuldig. Die Lautstärke ist bei ihm allerdings fast immer mezzoforte. Erwähnenswert ist auch das Orchester, das unter der Leitung von Kent Nagano ein gutes rhythmisches Dirigat erhält. Das mitunter sehr atonale und bedrohliche Klanggerüst entwickelt unter Naganos Leitung einen atmosphärischen Klangcharakter ähnlich einer Filmmusik. Durch große Crescendo-Bögen werden die Spannungsmomente in der Musik sehr gut aufrecht erhalten.
Fazit
Ein großes Highlight war die Anwesenheit des Komponisten George Benjamin, der sich am Ende verbeugte und mit dem Ergebnis der Aufführung sehr zufrieden schien. Die Deutschlandpremiere wurde vom Publikum mit großem Zuspruch aufgenommen. Allen voran Allison Hannigan und Christoper Purves, die auch schon in der Uraufführung der Oper sangen, wurden mit großem Applaus gefeiert.
Melanie Joannidis
Bild: Wilfried Hösl
Das Bild zeigt: Allison Hannigan (Agnès) und Christopher Purves (The Protector)