Internationales Barock-Opernfestival, Beaune
vom 5.-28. Juli 2013, Werke von Georg Friedrich Händel
Messias, Oratorium in drei Teilen, Libretto: Charles Jennens, UA: 13. April 1742 Dublin, Music Hall, Fishamble Street
Dirigent: Jean-Christophe Spinosi, Orchestre Matheus, Kammerchor von Namur (Belgien)
Solisten: Adriana Kucerova, Sopran, David DQ Lee, Alto (Counter), Julien Behr, Tenor, Andreas Wolf, Baß
Aufführung: 26. Juli 2013
Orlando, Oper in drei Akten, Libretto: C. Sigismondo Capece nach Orlandofurioso von Ludovico Ariosto, UA: 27. Januar 1733 London, King’s Theatre
Dirigent: René Jacobs, Baroque Orchestral B’Rock
Solisten: Bejun Metha (Orlando), Sophie Karthäuser (Angelica), Kristina Hammerström (Medoro), Sunhae Im (Dorinda), Konstantin Wolff (Zoroastro)
Aufführung: 27. Juli 2013 (Co-Produktion mit Festival MA Brügge)
L’Allegro, Il Penseroso ed il Moderato – Frohsinn, Schwermut und Mäßigung
Pastoral-Ode in drei Teilen, Libretto: Charles Jennens nach Gedichten von John Milton, UA: 27. Februar 1740 London, Theatre Royal in Lincoln’s Inn Fields
Dirigent: Paul McCreesh, Grabrieli Consort & Players
Solisten: Gilian Webster (Sopran), Jeremy Ovenden (Tenor), Ashley Riches (Baß), Ruth Provost (Sopran)
Aufführung: 28. Juli 2013
Man nennt stolz das Festival in Beaune „la capitale estivale de l’opéra baroque“ – „Sommer-Hauptstadt der Barockoper“, was durchaus stimmt, wenn man die dreißigjährige Geschichte und die vielen bekannten Namen der Ensembles mit deren Dirigenten und Sängern sich ansieht: William Christie, Christophe Rousset, Marc Minkowski, Fabio Biondi, Ottavio Dantone, Rinaldo Alessandrini, Jean-Christophe Spinosi oder René Jacobs u.a. Man erkennt, hier trifft sich die Creme de la Crème der Alten Musik mit ihren Orchestern, die häufig auch unbekannte Barockwerke aufführen. Hören wir die künstlerische Leiterin des Festivals, Anne Blanchard, die ich bei Gelegenheit unseres Besuchs sprechen konnte:
Das Festival von Beaune ist eins der wichtigsten Barockmusik-Festivals von Europa. Es hält die Erinnerung an den Hof der Herzöge von Burgund und seine musikalische Tradition wach. Dijon und Beaune waren die bekanntesten und festlichsten Musikaufführungsorte des 15. Jahrhunderts. Opern, Kirchen-, Instrumental- und Solistenkonzerte (in diesem Jahr mit Max Emanuel Cencic, Andreas Scholl und David DQ Lee, Counter) werden in dem berühmten Hof des historischen Hospiz von Beaune aufgeführt, eines durch seine bunten Dächer weltbekannten Gebäudes und ebenso in der Basilika Notre-Dame, inmitten der Stadt.
An den vier Wochenenden im Juli gibt es jeweils drei Aufführungen. OPERAPOINT besuchte das letzte davon. Der Ruf dieses Festivals wurde durch das sehr hohe Niveau aller Aufführungen mehr als bestätigt.
Aber nicht nur für die Melomanen ist Burgund attraktiv. Seit mehr als zweitausend Jahren werden hier Spitzenweine hergestellt, die man in den Weinorten rund um Beaune, etwa in Pommard, Volnay oder Meursault südlich von Beaune, um nur einige berühmte zu nennen, probieren und kaufen kann. Weiter ist Burgund reich an Schlössern (z.B. Rochepot, Sully etc.), die sich hinter den Loire-Schlössern nicht zu verstecken brauchen. Grund genug, dieses Festival zu besuchen.
Händels Messias machte den Anfang. In diesem Oratorium hat Librettist Jennens die christliche Heilsgeschichte aus dem Alten und Neuen Testament dargestellt. Von Anfang an machte sich eine fein abgestimmte Dynamik bemerkbar, wobei Jean-Christophe Spinosi einen leichtbeschwingten Duktus durchhielt. Julian Behr (Tenor) trug sein Comfort ye my people – tröstet mein Volk mit großer Inbrunst vor. Sie kam direkt in die Herzen der Zuhörer. Mit langem Atem und deutlich artikulierte er die Koloraturen der anschließenden Arie Every valley – jedes Tal. Mit großer Homogenität und rhythmisch genauen sowie leichtfüßige zeigte der Kammerchor aus Namur (Belgien) sein Können. Überhaupt sang der Chor außerordentlich klar und durchsichtig, wobei die Wortverständlichkeit vorbildlich war. David DQ Lees Counter (Alt) war klar und meist vibratolos, was der seiner Artikulation zugute kam. Auffallend gekonnt die Spitzentöne auf shall stand – wer kann bestehen bei But who my abide the day – doch wer erträgt den Tag. Ein Höhepunkt gelang ihm in He was despised – er wurde verachtet (2. Teil), ungemein eindrucksvoll vom Orchester mit den punktieren Sechzehntelnoten begleitet, die die Schläge auf Jesu Rücken andeuteten. Andreas Wolf mit mächtigem Baß und Adriana Kucerova mit leuchtendem Sopran vollendeten die Riege dieser außergewöhnlichen Künstler.
Das weltbekannte Halleluja am Ende des zweiten Teils kam wie eine Eruption. Wie hier der Chor die langen Koloraturen darstellte, klar, ohne irgendwelche Intonationsschwankungen oder eines Nachlassens der Dynamik, suchte seinesgleichen. Das gekonnte Innehalten an den homophonen Stellen der Fuge sowie die Zurücknahme der Stimmen macht Spinosi so leicht keiner nach. Er selbst verausgabte sich mit totalem Körpereinsatz so, daß er zweimal das durchschwitzte Hemd wechseln mußte, etwas, was man bei seiner schlanken Erscheinung nicht vermutet hätte. Zum Schluß fragte er das mit Applaus und Bravi tobende Publikum, welche Zugabe es wünschte. Das Halleluja natürlich! Der Beifall wollte nicht enden.
Altmeister René Jacobs dirigiert das Baroque Orchestral B’Rock bei dem selten aufgeführten Orlando. Gravitätisch die Einleitung, hurtig die Fuge und elegant die Gavotte mit ihren fabelhaft hingelegten Triolen, ein Hinweis auf das Tänzerische dieser Oper. Die Spannung hielt bis zum Schluß, keine Ermüdungserscheinungen oder Nachlassen der Energie!
Der Zauberer Zoroastro begann mit der Ankündigung, daß Held Orlando nicht auf dem Ruhmesfeld verharren solle. Derselbe erklärt unmittelbar danach: er sei nicht mehr von der Sucht nach Ruhm getrieben, sondern es sei die Liebe zur Prinzessin Angelica, die ihn in Erregung versetzt habe. Doch Zoroastro riet, sein Herz von allen verweichlichenden Empfindungen zu reinigen. Doch Angelica liebt den afrikanischen Prinz Medoro. Aber auch die Schäferin Dorinda ist in den schönen Prinz verliebt. Am Ende versöhnt sich Orlando, nach einer „schrecklichen“ Phase von Verrücktheit (wer ist nicht verrückt, wenn er verliebt – und dann noch unglücklich verliebt ist?) mit dem Gedanken des Verzichts auf Angelica und wünscht der Prinzessin und dem Afrikaner Glück. Dorinda tröstet sich über die verschmähte Liebe zu Medoro damit, daß sie in allen Blumen ihres Feldes stets sein Antlitz sieht.
Windmaschinen und dumpfe Paukenschläge schaffen die Illusion des Magischen.
Bravourös betont Konstantin Wolff (Zoroastro) Lascia Amor – laß Amor mit kraftvoller Stimme Orlando gegenüber. Betun Metha (Orlando) ein exzeptioneller Counter, mit einer Wortdeutlichkeit ohnegleichen und nicht nachzumachender Inbrunst riß die Zuhörer sofort mit im Miterleben seines Unglücklichseins ob seiner unerwiderten Liebe zu Angelica. In seiner Auftrittsarie Non fu già men forte Alcide – Herkules war nicht weniger stark zeigte er schon sein ganzes virtuoses Können. Auffallend seine Verzweiflung mit mezza voce vorgetragen und mit Triller eindrucksvoll gewürzt.
Bei tadelloser Intonation und rhythmischer Beweglichkeit zeigte Sophie Karthäuser (Angelica) die Festigkeit ihrer Liebe zu Medoro Chi possessore è del mio core – wer mein Herz besitzt, kann sich König nennen jubelnd heraus.
Kristina Hammerström (Medoro) tröstet mit androgyner Färbung ihres klangvollen Alt Se il cor mai ti dirà – wenn dein Herz dir jemals sagt die unglückliche Dorinda und bestreitet, daß er sie jemals vergessen könnte. Schlicht abenteuerlich konnte man das Daherfegen von Betun Methas Fammi combattere – laß mich kämpfen empfinden erleben, denn die ausgedehnten Koloraturen hörte man gestochen scharf, rhythmisch-dynamisch, akkurat und wohllautend, wobei das Orchester ebenso genau ihm folgt. Langer Applaus hier und fast nach jeder seiner Arien, gleichgültig, ob sie virtuos schnell oder melancholisch-traurig waren. Beide, Angelica und Medoro, trösteten dann die niedergeschlagene Schäferin Dorinda in einem reizenden Terzett. Ebenso anmutig Kristina Hammerströms Arie Verdi alori – Grüne Bäume, in der „er“ das Eingravieren seines, Medoros und Angelicas Namen, in die Baumrinde eines Hains besang.
Sunhae Im (Dorinda), weiterhin lebensfroh, besang dies mit Amor è quel vento – Amor ist wie der Wind (3. Akt) bei der sie ebenso geschwind wie der Wind ihren Sopran mühelos über die größten Intervalle brachte. Großer Applaus.
Ein Höhepunkt in dieser mit musikalischen Gipfeln nicht sparsamen Aufführung war Betun Methas „Schlafarie“: Gia l’ebro mio ciglio quel dolce liquore – schon berauscht von süßer Arznei, begleitet von zwei Violette marine (Bratschen).
Frohsinn, Schwermut und Gelassenheit – so auch eine Übersetzung des englischen Titels von Händels Komposition nach Gedichten von John Milton mit ihrem lebensbejahenden und auch melancholischen Charakter. Mit klarem, vibratolosen Sopran war Ruth Prevost zu vernehmen und Tenor Jeremy Ovenden gestaltete mit klarer Wortverständlichkeit seinem umfangreichen Part, wobei er leider nicht immer die Koloraturnoten deutlich trennte.
Ihren klangvollen Sopran mit leider zuviel Vibrato schmälerte Gilian Websters Sopran, was vor allem etwas die Freude an der Linienführung und den Trillern bei der Arie Sweet bird – süße Nachtigall. Einschränkte. Hierbei gab Katy Bircher als hervorragende Flötistin den „Ton an“. Die flotte Tenorarie I’ll to the well-trog stage anon – ich begeb mich sogleich zur gut besuchten Bühne war leider doch zu flott, wogegen die vorangehende Sopranarie Hide me from day’s garish eye – verberge mich von des Tages grellem Antlitz doch arg langsam daherkam. Das Duett im dritten Teil von Sopran und Tenor im Wechsel mit Oboe/Fagott war allerdings so bezaubernd vorgetragen, daß es einem noch lange im Ohr nachklang.
Summa summarum: ein musikalisches Wochenende auf höchstem Niveau, das sich vor Salzburg oder bekannten Musikfestivals nicht zu verbergen braucht.
Dr. Olaf Zenner
Bild oben: Hotel-Dieu in Beaune, Ae Lee Kim
Bild unten: Orlando, Pablo Ruiz