Der Ring des Nibelungen
DAS RHEINGOLD
Solisten: Wolfgang Koch (Wotan), Oleksandr Pushniak (Donner), Lothar Odinius (Froh), Norbert Ernst (Loge), Claudia Mahnke (Fricka), Elisabet Strid (Freia), Nadine Weissmann (Erda), Martin Winkler (Alberich), Burkhard Ulrich (Mime), Günther Groissböck (Fasolt), Sorin Coliban (Fafner), u.a.
DIE WALKÜRE
Solisten: Johan Botha (Siegmund), Franz-Josef Selig (Hunding), Wolfgang Koch (Wotan), Anja Kampe (Sieglinde), Catherine Foster (Brünnhilde), Claudia Mahnke (Fricka), u.a.
SIEGFRIED
Solisten: Lance Ryan (Siegfried), Wolfgang Koch (Wanderer), Catherine Foster (Brünnhilde), Burkhard Ulrich (Mime),Martin Winkler (Alberich) u.a.
GÖTTERDÄMMERUNG
Solisten: Lance Ryan (Siegfried), Wolfgang Koch (Wotan), Catherine Foster (Brünnhilde), Attila Jun (Hagen), Allison Oakes (Gutrune), Alejandro Marco-Buhrmester (Gunther), Claudia Mahnke (Waltraute), u.a.
Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Denic, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Video Andreas Deinert, Jens Crull.
Dirigent: Kirill Petrenko, Orchester der Bayreuther Festspiele.
Besuchte Aufführung: 14./15. August 2013
Die Bayreuther Festspiele auf dem Grünen Hügel gelten als die Mutter aller Festspiele und wurden 1876 von Richard Wagner gegründet. Noch heute stehen Mitglieder der Familie Wagner als Geschäftsführer an der Spitze des Unternehmens. Aufgeführt wird, gemäß dem Vermächtnis des Komponisten, ausschließlich ein zehn Stücke umfassender Werk-Kanon. Das Festspielhaus faßt knapp 2000 Zuschauer. Die Festspiele finden jährlich vom 25.Juli bis 28. August statt. Die 30 Vorstellungen sind nach wie vor Monate im voraus ausverkauft. Zur Jubiläums-Saison anläßlich der 200. Wiederkehr von Wagners Geburtstag (22. Mai 1813), wurde sein Hauptwerk Der Ring des Nibelungen neu in Szene gesetzt. Im weiteren Programm waren die Kinderoper Tristan und Isolde auf der Probebühne, Der Fliegende Holländer, Lohengrin und Tannhäuser im Festspielhaus. Im Vorfeld gab es die drei Jugendwerke Rienzi, Die Feen und Das Liebesverbot als Koproduktion mit der Oper Leipzig in der Sportarena Oberfrankenhalle.
Aufführung
Jede der vier Opern wird dieses Jahr jeweils von einem gigantischen Bühnenbild auf der Drehbühne bebildert, je nach Drehung ergeben sich neue Perspektiven und Spielflächen, die meist von der eigentlichen Handlungsweise der Personen ablenken – oder diese überflüssig machen.
So spielt Wagners Rheingold in einer Tankstelle mit Motel irgendwo in der texanischen Wüste an der Route 66. Fafner und Fasolt sind ölverschmierte Automechaniker, die sich meist an einem alten Mercedes herumbasteln. Der Einstieg zum „Gold unserer Tage“, dem Erdöl, soll das sein. Allerdings geht es hier um Goldfolie in einem Swimmingpool, bewacht von den Rheintöchtern, die – wie nahezu alle weiblichen Protagonisten dieser Ring-Produktion – Liebesdamen in entsprechender Kleidung sind. Das Gold holt sich Bordelgast Alberich mit einem Sprung in den Pool, nachdem er zuvor mit einer Plastik-Ente geschmust und sich mit Senf beschmiert hat. Wotan ist ein schmieriger Zuhälter im rosafarbenen Anzug, der schon mal einen flotten Dreier mit Gattin Fricka und Freia hat, beobachtet vom Italo-Gangster Loge im roten Anzug. Die Handlung wird per Video-Live-Projektion auf eine Leinwand übertragen, die sich im oberen Teil des Bühnenbilderturms befindet – allerdings außerhalb der Sichtweite der Galerie oder vom Rand des Parketts. Zur Schlußmusik stehen die Götter auf dem Moteldach herum, glotzen in den Zuschauerraum – es mangelt am Einzug nach Walhall, die Brücke fehlt.
In der Walküre erwartet den Zuschauer ein Bohrturm im Aserbaidschan der 1920er Jahre mit russischen Inschriften (teilweise fehlerhaft). Die große Holzkonstruktion mit ihren vielen Treppen und Stegen ermöglicht viele Bewegungen, deren Sinn sich nicht erraten läßt. Ein Scheunentor läßt sich öffnen und schließen. Fricka ist als byzantinische Kaiserin Theophanu kostümiert, Wotan tritt im zweiten Akt mit Rauschebart an, wenn er die Glycerin abfüllende Brünnhilde auf die Walstatt schickt. Im dritten Akt ist erscheint Wotan bartlos. Der Feuerzauber: In einem Ölfaß züngeln ein paar Flämmchen.
Im Siegfried gelingt die Verbindung zwischen der Höhlen- und Klettersteg-Welt des Mount Rushmore in USA (hier mit Marx, Lenin, Stalin und Mao) und der Berliner Alexanderplatz mit Postamt, U-Bahn und Weltuhr. Mimes Höhle ist ein moderner Wohnwagenanhänger aus dem Rheingold, den man beliebig aufklappen kann. Auffallend der Auftritt des Waldvogels im ausladenden Kostüm aus dem Friedrichstadt-Palast. Danach wird er von einem Krokodil verspeist. Siegfried, ein dunkel gekleideter Prolo-Punker, der eine Kalaschnikow auspackt, statt ein Schwert zu schmieden. Er erschießt damit den schmierigen Schmuckhändler Fafner. Wotan, im dunklen Anzug, hält Hof auf der Bierbank eines Straßenlokals, die Zeche bleibt er schuldig.
Die Götterdämmerung spielt zwischen einer Berliner Döner-Bude vor einer großen Ziegelwand, einem kleinen Kunst-Religionshuldigungs-Raum mit Gittertor, einer großen Freitreppe (auf der ein Statist Kartoffeln aus einem Kinderwagen verteilt) und der Portal-Fassade der Wall-Street-Börse. Die Nornen tragen bodenlange Regenbogenfarbene Gewänder, während die Nibelungen als schwarze Edelpunker daherkommen – ebenso wie die Rheintöchter. Dagegen sind Brünnhilde und Siegfried ein fast schon normales Pärchen in Lederjacke und Tüllrock. Kein Brünnhildenfelsen.
Sänger und Orchester
Einfach grandios ist Martin Winkler als proletenhafter Alberich mit seinem facettenreichen Baßbariton. Der Drahtzieher Loge ist bei Norbert Ernst ein stimmliches Leichtgewicht, viel zu leise, aber mit angenehmem tenoralem Ton. Darstellerisch und gesanglich präsent ist Burkhard Ulrich als Mime. Wolfgang Kochs Wotan gefällt mit baritonalem Klangvolumen und subtiler Rollengestaltung – hat aber große Probleme in der oberen und unteren Tonhöhe. Der Rheingold-Wotan liegt ihm besser in der Kehle als Walküren-Wotan oder Wanderer. Claudia Mahnke gibt eine zickige Fricka. Sehr gut sind auch die beiden Riesen besetzt: Sorin Coliban (Fafner) überzeugt mit schwarzen Baßtönen und Günter Groissböck stattet Fasolt mit kultivierter Gesangslinie aus, die in allen Registern edel glänzt. Nadine Weissmann (Erda) liegt permanent zu tief, neben Lance Ryan, der sich heiser gebrüllt hat und nur noch im Piano eine tragende Stimme hat, die unerfreulichste Besetzung dieses Ringes. Sehr homogen hingegen die frischen Stimmen der Rheintöchter Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau.
Johan Botha ist ein kurzatmiger, sehr leiser Siegmund und beeindruckt durch tenorale Eloquenz bei seinen Wälse-Rufen mehr als mit seiner bewegungslosen Rollendarstellung. Überragend Anja Kampe als seine Zwillingsschwester Sieglinde, die tadellose Stimmführung mit mädchenhafter Attitüde vereint. Nur bei den dramatischen Ausbrüchen ganz am Ende ihrer Partie kann die Sängerin der Versuchung zu forcieren, nicht ganz widerstehen. Die lyrischere Sopranstimme gehört in dieser Produktion Catherine Foster als Brünnhilde. Sie gestaltet die Titelrolle mit hellem Timbre, sicherer Höhe und nuancenreicher Kantilene. Der positive Gesamteindruck wird allenfalls durch eine zu zurückhaltende Dynamik in der Mittellage etwas geschmälert. Elegant und kraftvoll die Baß-Stimme von Franz-Josef Selig als Hunding.. Claudia Mahnke weiß als Fricka ihren klangschönen Mezzosopran optimal zu präsentieren. Passabel die Walküren, unter denen besonders der dunkle, volle Alt von Geneviève King aufhorchen läßt. Etwas scheppernd die Helmwige von Christiane Kohl. Attila Jun ist ein bitterböser und stimmgewaltiger Hagen, Allison Oakes verfügt über eine sehr klare, etwas dünne Stimme und verleiht der Gutrune den entsprechenden halbseidenen Anstrich. Alejandro Marco-Buhrmester ist ein sehr sicherer, sehr durchschlagsstarker und wunderbar beredsamer Gunther, der ebenbürtige Gegenspieler zu Hagen.
Im Graben erzählt Kirill Petrenko mit beredten Klangbildern seine alternative Handlung. Der Dirigent, der als Hügelneuling nicht nur mit der schwierigen Akustik des verdeckten Orchesters souverän zurechtkommt, sondern mit seiner klar strukturierten, kontrollierten, sängerfreundlichen Stabführung eine gekonnte Ausgestaltung der Partitur abliefert, ist der Star des Abends. Mit einem in Hochform spielenden Festspielorchester entfaltet Petrenko einen wunderbar changierenden Klang, überrascht mit sorgfältig aus der Partitur herausgearbeiteten Facetten. Organisch im Aufbau, gezügelt in Dynamik und Tempo ist dieses Dirigat (auch wenn er mit den Rubati so seine Probleme hat), weder mystisch-verklärt noch bedeutungsschwanger. Spannungsgeladene Momente und intime Passagen verschmelzen zu einer vollkommenen Einheit: Farbenreich der Schluß des Rheingolds, packend die Vorspiele zum ersten und dritten Akt der Walküre, zart und einfühlsam die lyrischen Stellen des ersten Aufzugs, emotional stark Wotans Abschied und Feuerzauber (s. oben). Selbst die dramatischen Stellen dieser Ring-Partitur sind bei dem designierten GMD der Bayerischen Staatsoper zwar kraftvoll aber niemals martialisch. Dabei hat der Russe die Szene stets gut im Griff, nicht die kleinste Unsicherheit, selbst dann nicht, wenn der Sänger ungünstig positioniert ist. Sensibel und dezent begleitend, führt er die Solisten durch ihre Partien.
Fazit
Beifallsstürme für Dirigent und Protagonisten, wütendes Buh-Gewitter für die Regie unter Frank Castorf. Er zeigt sich nur nach der ersten Götterdämmerung – und erlebt zehn Minuten lang seine eigene Götterdämmerung. Castorf zeigt sich an der eigentlichen Ring-Handlung wenig interessiert, bestimmte Rollen werden nicht entwickelt (Siegfried!), die eingebauten Running Gags – bzw. zusätzliche Statisten-Rollen – werfen mehr Fragen auf als sie beantworten.
Aber siehe da: die Musik weiß sich zu wehren, das liegt an erfahrenen Sängern, wie z.B. Johan Botha (Siegmund), Franz-Josef Selig (Hunding), Anja Kampe (Sieglinde) und Catherine Foster (Brünnhilde), die mit ihren Stimmen den Figuren Farbe verleihen. Der wichtigste Protagonist ist Kirill Petrenko, der mit seiner klaren Musiksprache, eine ganz einfache Geschichte von Liebe und Neid erzählt – und die Romantik an seine Urform zurückführt. Das Publikum liegt ihm zu Füßen. Und da wird deutlich, was dieser Geburtstags-Ring in Bayreuth ist: Musikalisch romantisch genial, sängerisch durchwachsen mit kleinen Höhepunkten, szenisch eine langweilig beliebige Produktion eines eitlen Regisseurs in einem bombastischen beeindruckenden Bühnenbild. Und hier muß man sagen, daß man im Jahr 2013 an vielen kleinen Häusern, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen, wesentlich klarere, stringentere und bedeutsamere Produktionen gesehen hat. Wie z.B. in Halle oder Dessau. Kinder schafft Neues, hat der Sozial-Revoluzzer Wagner einmal gesagt. Teure Bühnenbilder, die die Handlung ersetzen, hat er sich wohl nicht zum Geburtstag gewünscht.
Verena Hamann und Oliver Hohlbach
Bild: Enrico Nawrath
Das Bild zeigt: Martin Winkler (Alberich), Norbert Ernst (Loge), Burkhard Ulrich (Mime)