von George Benjamin (geb. 1960), Oper in drei Akten, Libretto: Martin Crimp (geb. 1956) nach einem provençalischen Gedicht aus dem 13. Jahrhundert Guillem de Cabestanh – Le cœur mangé, UA: 7. Juli 2012 Aix-en-Provence, Grand Théâtre de Provence. (Deutsche Erstaufführung 23. Juli 2012, Prinzregententheater, München)
Regie: Alexandra Szeméredy, Bühne/Kostüme: Magdolna Parditka
Dirigent: Hendrik Vestmann, Licht: Thomas Roscher
Solisten: Miriam Clark(Darstellerin)/Elin Rombo (Gesang), Evez Abdulla (Protector), Terry Wey (Erster Engel/Junge), Susanne Blattert (Marie//Zweiter Engel), Tamás Tarjányi ( Dritter Engel/John)
Besuchte Aufführung: 20. Oktober 2013 (3. Aufführung, Premiere 29. September 2013)
Aus der Perspektive der Engel des 21. Jahrhunderts wird die Geschichte aus dem 13. Jahrhundert (Textvorlage) erzählt. Ein reicher Landbesitzer lädt einen jungen Künstler zu sich nach Hause ein, wo dieser ein illuminiertes Buch kreieren soll. Der Landbesitzer möchte, daß das Buch die gewaltsamen Aktionen unter seiner Herrschaft in Bildern festhält und gleichzeitig die friedvolle, heimische Ordnung, die er sehr genießt, für die Ewigkeit erhält. Verkörpert wird diese Ordnung von seiner Frau Agnès, ihrer Bescheidenheit und ihrem kindlichen Gehorsam. Die Entstehung des Buches wird jedoch zum Katalysator rebellischer Gefühle der Frau. Ihr erster Verführungsversuch gilt dem Künstler. Er gelingt und sie nutzt ihre neue intime Verbindung, um den Inhalt des entstehenden Buches zu beeinflussen. Auf diese Weise zwingt sie ihren Mann, sie so zu sehen, wie sie wirklich ist. Ihr Mann setzt ihr schließlich aus mörderischer Eifersucht das Herz ihres Liebhabers als Mahlzeit vor.
Aufführung
Auf der Bühne ist eine steinerne Höhle zu sehen, ausgestattet mit allgegenwärtigen Büchern, in Regalen geordnet oder zu wüsten Haufen getürmt, unter denen nach und nach geschundene Menschen hervorkriechen. Die linke Bühnenseite nimmt ein separiertes Zimmer ein, dessen schiefe Wände einen surrealen, nichtsdestoweniger bedrohlichen Eindruck hinterlassen. Darin sitzt der Landbesitzer und hält seine Frau Agnes an einer goldenen Kette. Durch den wankenden Raum führt eine Treppe. Die Bühne ist dunkel und wirkt gespenstisch. Als sich die Handlung in Gang setzt, nehmen die Bilder des imaginären Buches auf der Bühne Gestalt an, die Greueltaten des Protektors werden in krassen Szenen umgesetzt: Massengeburten oder sich selbst vergasende Menschen, kriechende Bettler oder grau gekleidete Konsumsüchtige. Die indisponierte Hauptdarstellerin Miriam Clark kann in der besuchten Vorstellung nur mimisch agieren. Ihr Gesangspart wird von der Bühnenseite aus durch Elin Rombo gesungen. Clark bewegt nicht einmal den Mund, so erschöpft wirkt sie. Ihre Rolle der Agnes zeigt sie als von kalter Lust besessene Analphabetin. Ihr Mann, der Landbesitzer, ist ihr grausamer Gegenpart, der beim Zuschauer jedoch mehr Sympathiepunkte sammelt, eine sehr verdrehte Darstellung menschlicher Existenzen. Der künstlerische Junge kommt als infantiler, harmloser Mensch dazu. Die beiden Engel in verschiedenen Ausstattungen, als Adam und Eva, als Sado-Maso Gespann, als Spieler und weißgekleidete überirdische Wesen kommentieren das Geschehen. Eine reich bebilderte Geschichte. Als der Landbesitzer seiner Frau am Ende das Herz des jungen Künstlers serviert, gleicht sie dem gekreuzigten Jesus und das Mahl dem des Abendmahls – eine Versinnbildlichung und gleichzeitige religiöse Travestie des grausamen Machtspiels.
Sänger und Orchester
Die Musik von George Benjamin ist eine gut hörbare Komposition, in der einige ungewöhnliche Instrumente wie Glasharmonika oder Baß-Viola da Gamba besetzt sind, und die mitunter mit archaischen Klängen arbeitet. Etwas nervig war die bis kurz vor Vorstellungsbeginn permanente Überei im Orchestergraben. Hendrik Vestmann führte das Beethoven Orchester geschmeidig durch die interessante Partitur, von der jedoch die fast überreiche Bilderflut auf der Bühne ziemlich ablenkte. Aus dem durchweg guten Solistenensemble ragte die eingesprungene Elin Rombo (aus der Amsterdamer Produktion) mit ihrem elastischen Sopran nochmal positiv heraus. Terry Wey glänze mit seinem bruchlosen Counter-Tenor und sensiblen Spiel als junger Künstler, wie auch Evez Abdulla mit solider baritonaler Tiefe und in höheren Lagen geschmeidig tönendem Bariton als Landbesitzer. Susanne Blattert und Tamás Tarjányi waren als Engel vielseitige Nebendarsteller, die ihren wechselhaften Gesangspartien als Mezzo und Tenor sehr gut gerecht wurden. Ihre abwechslungsreiche Ausstaffierung bestach durch extravagantes Design und war bis hin zu den Frisuren sehenswert und geschmackvoll. Für die Massenszenen hatte sich die Regie eine Flut von textinspirierten Handlungen einfallen lassen, in der der Zuschauer sehr viel zu entdecken hatte.
Fazit
Das Libretto wurde in eine sehr bedrückende, ins Bühnendunkel gehüllte Szenerie umgesetzt und mit einer wahren Bilderflut erzählt, über der die Musik fast in den Hintergrund trat. Im Mittelpunkt der Oper stand eine skurrile, fast psychopathische Beziehung um abartige Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau. Grandios gesungen und sehr gut musiziert, vom Sujet her allerdings nichts für schwache Gemüter.
Felicitas Zink
Bild: Thilo Beu
Das Bild zeigt: Miriam Clark (Agnès; his wife); Evez Abdulla (The Protector)