Dirigent: Philippe Jordan, Gustav Mahler Jugendorchester, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.
Solisten: Franz-Christopher Ventris (Rienzi), Emily Magee (Irene), Georg Zeppenfeld (Steffano Colonna), Sophie Koch (Adriano), Martin Gantner (Paolo Orsini), Kiandra Howarth (Friedensbote) u.a.Besuchte Aufführung: 14./15. August 2013
Vorbemerkung
Erstmals steht Wagners fünfaktige große tragische Oper Rienzi auch in der Salzburger Felsenreitschule auf dem Programm – zwar nicht szenisch, aber musikalisch durchaus gelungen. Wagners Jugendoper wird in Salzburg von Jugendlichen realisiert, dem bestens disponierten Gustav Mahler Jugendorchester, dem faszinierenden Chorklang der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sowie von einer wagnererfahrenen Solistenmannschaft. Der von Philippe Jordan entfachte Funke springt dabei vielfach über. Sogar eine eigene Strichfassung wurde erstellt, die jedoch wie alle Strichfassungen holprig ist.
Aufführung
Die mit einer Pause auf eine Spieldauer von dreieinhalb Stunden gekürzte Oper orientiert sich an Wagners nur wenige Male aufgeführter Fassung für zwei Abende, Rienzis Größe und Rienzis Fall. Für diesen zweiten Teil hatte der Komponist eine eigene Ouvertüre nachkomponiert, die in Salzburg nach der Pause, vor Beginn des zweiten Teils, erklingt. Sie verdeutlicht durch Aufgreifen von Themen aus dem ersten Teil die Wurzeln von Rienzis Scheitern und schafft so bildlich den Ausgangspunkt zu seinem Sturz.
Auch am Ende des dritten Aktes ist eine von Wagner erst für die späteren Dresdener Aufführungen nachkomponierte Variante des Finales zu hören. Sie zeigt den Tribunen an der Schwelle zum Größenwahn, nimmt allerdings textlich Bezug auf die Pantomime des Raubs der Sabinerinnen (2. Akt). Die Musik zu dieser Pantomime ist in Salzburg nicht zu erleben, an ihrer Stelle steht eine verkürzte Version der Tanznummern von Wagners nachgestellter Ballettmusik.
Allerdings gibt es keinen Auftritt der Gesandten und Rienzis Affront an die Adresse des deutschen Kaisers unterbleibt, wodurch Orsinsis Kommentar Der Übermüt’ge! Ist er toll? Ebenso ins Leere läuft, wie später Adrianos nach Waffen schreit das Volk, wenn der diese Arien vorangehende Ruf Zu den Waffen! gestrichen ist.
Sänger und Orchester
Offenbar hat Christopher Ventris (Rienzi) die Texte zu wenig studiert, die er jedoch in stimmlicher Hinsicht durchaus glänzend meistert, doch ein wirklicher Rienzi ist er nicht. Auf eine differenzierte musikalische Einstudierungsarbeit läßt schließen, wenn Georg Zeppenfeld (Steffano Colonna) im zweiten Finale den Haß angesichts seiner Begnadigung als Attentäter zwischen den Zähnen hervorpreßt oder wenn Benjamin Bernheim (Baroncelli) im vierten Akt seine Schreckensbotschaften wirklich flüsternd vorbringt, so daß die Aufforderung des Chores Sprich lauter! Hier endlich einmal einen Sinn erhält.
Auch der verhaltene, heimliche Dialog zwischen Irene und Adriano am Ende des vierten Aktes ist von starker Wirkung. Stimmschön und intensiv gestaltend, bietet Sophie Koch in der Hosenrolle des Adriano ein gut ausgelotetes Contre zu Rienzi, als der eines weiteren, an der Umsetzung des Friedens scheiternden Utopisten. Parallelen zur Senta im Fliegenden Holländer werden durch Emily Magee als hochemotionale Irene deutlich, insbesondere im Duett des fünften Aktes, mit den sich hochschraubenden Koloraturketten und der Bitte an ihren Bruder, sie zu töten. Die gerade einmal dreiundzwanzigjährige australische Sopranistin Kiandra Howarth singt den Friedensboten lupenrein, Martin Gantner ist ein kerniger (wenn auch nicht ganz textsicherer) Paolo Orsini, und Oliver Zwarg gestaltet die Partie des Gefolgsmannes Cecco del Veccio facettenreich.
Fazit
Am Ende der Opernaufführung wird vom Publikum in der nicht restlos ausverkauften Felsenreitschule hauptsächlich getrampelt – ein interessantes Klangerlebnis – später unterstützt mit rhythmischem Klatschen und heftigen Bravorufen für die jüngeren und erfahreneren Künstler (diese Mischung war explosiv!), allen voran aber für den Dirigenten. Treffliche Orchesterbilder, die in Umfang und Entwicklung an den Wagner der späteren Opern gemahnen, zeugen im besten Sinne von einer fruchtbaren Arbeit Jordans mit den jungen Instrumentalisten.
Ein Sommernachtstraum
Komödie von William Shakespeare, Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy
Regie und Neuübersetzung: Henry Mason
Dirigent: Ivor Bolton, Mozarteum-Orchester Salzburg, Vocalensemble der Salzburger Festspiele
Ensemble: Michael Rotschopf (Theseus), Karoline Eichhorn (Hippolyta), Christian Higer (Egeus), Markus Meyer (Puck), Paul Herwig (Zettel), Raphael Cramer (Peter Squenz), u.a.
In Aufführungen unserer Tage wird Mendelssohns 1843 uraufgeführte Bühnenmusik zu Shakespeares Komödie aufgrund einer für das Genre Schauspiel deutlich veränderten Ästhetik und neuer Übersetzungen fast nicht mehr gespielt. Insbesondere aber fehlen an Schauspielhäusern die für ein solches Projekt erforderlichen Orchester und Sänger. Den Salzburger Festspielen ist es daher hoch anzurechnen, daß sie sich dieser Besonderheit gewidmet haben. Obgleich Mendelssohns Komposition die deutsche Übersetzung von Schlegel-Tieck zugrunde liegt, wurde eine dem Shakespeare Original viel näher kommende Textfassung gewählt: Die unverblümt frische Übersetzung des britischen Regisseurs Henry Mason entspricht mehr dem heutigen Sprachempfinden und berücksichtigt dennoch sämtliche Musiknummern, sogar die kurzen, kommentierenden Orchestereinwürfe. Striche werden so unmöglich.
Im Salzburger Residenzhof schafft Henry Masons Neuinszenierung die Vereinigung von historischer Werktreue mit dem Regietheaters unserer Tage als eine Art witzig-freche Para-Oper, in die die neuübersetzten Texte wie auch die melodramatische Schluß-Ansprache des Puck ein Alb, der albert in der Nacht gut passen.
Aufführung
Schon zur bereits 1826 komponierten Ouvertüre Mendelssohns entfesselt Henry Mason ein Slapstick-orientiertes Spiel der im Heute angesiedelten Vorbereitungen zum Hochzeitsfest von Theseus und seiner hochschwangeren Braut Hippolyta. Dasselbe Paar verkörpert dann auch den erbarmungslosen Ehekrieg des Feenkönigs Oberon mit seiner Gattin Titania um einen geraubten Wechselbalg. Hofberater Egeus spielt auch die alte Elfe, die von Puck erst einmal in zahlreichen Stellungen befriedigt wird. Peter Squenz ist ein ambitionierter Nachwuchsregisseur des Stücks im Stück. An Tempo gewinnt die pausenlose, gut zweieinhalbstündige Aufführung durch Verdoppelung der handelnden Personen.
Sänger und Orchester
Dirigent Ivan Bolton, mit dem trefflich disponieren Mozarteums–Orchester hoch über dem Bühnengeschehen positioniert, versucht sich an einer Art barockem Originalklang, rangelt mit Oberon um den Dirigentenstab. Solisten – im Gegensatz zu den Schauspielern ohne Mikroports – bilden für die Chöre ein 24köpfiges, harmonisch aufeinander abgestimmtes Vokalensemble, sind aber auch figurativ in den 33-köpfigen Zug der Titania eingebunden. In der Choreographie von Francesc Abós machen alle Mitwirkenden auch tänzerisch eine gute Figur. Ein Höhepunkt des Abends ist der von Bolton ekstatisch dirigierte, in voller Breite turbulent ausgespielte Hochzeitsmarsch, klanglich rasant und mit geradezu aggressivem Blech. Nachdem Puck im stimmungsreichen Finale betont hat, Kritik ist leicht, Kunst ist schwer, gibt es ausschließlich Beifall und heftige Bravorufe.
Fazit
Der Sommernachtstraum, zusammen mit der Bühnenmusik von Felix Mendelssohn-Bartholdy, ist ein sehr seltenes Erlebnis, denn diese Symbiose zwischen Schauspieltruppe, Orchester, Chor und evtl. Ballett verursacht einen hohen Aufwand, den man in Salzburg ohne große Mühen bewältigt.
Die Meistersinger von Nürnberg
Regie: Stefan Herheim
Dirigent: Daniele Gatti, Wiener Philharmoniker, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Solisten: Anna Gabler (Eva), Roberto Saccà (Stolzing), Michael Volle (Sachs), Markus Werba (Beckmesser), Georg Zeppenfeld (Veit Pogner), Oliver Zwarg (Kothner), Peter Sonn (David), Tobias Kehrer (Nachtwächter), u.a.
Vorbemerkung
Ein Kobold half wohl da! heißt es im dritten Aufzug, und passenderweise schlägt Stefan Herheim sinnfällig den Bogen von Wagners mittelalterlicher Handlung zu Shakespeares Sommernachtstraum. Allerdings entsteigen in dieser Salzburger Neuinszenierung nicht die Figuren aus dem Sommernachtstraum, sondern aus einem Märchenbuch Grimms, um einen fulminant-chaotischen Reigen zu bilden.
Aufführung
Per Video wird auf Teilaspekte von Sachsens weit gestreckter Arbeitswohnung gezoomt, die gegen Ende des Vorspiels von einer weißen Gardine als Projektionsfläche verschlossen wird, welche nach dem Öffnen diese Teilaspekte als stark vergrößerte, praktikable Dekorationen freigibt: im ersten Aufzug der mit einer Orgel gekrönte Schreibtisch als Kirchen und Singschul-Raum, im zweiten Aufzug ein rustikaler Schrank und eine Anrichte in Rotbuche als Außenansicht des einfachen Sachs- und des reichen Pogner-Hauses, dazwischen eine gekrönte Schopenhauerbüste auf Sockel und im Hintergrund Lagerregale als Fachwerketagen. In dieser Liliput-Welt werden Bücher zu Stufen, zinnene Pokale zu Sitzen der Meistersinger und getrocknete Blumen in Brentanos Wunderhorn-Buch zu großen Spielrequisiten. Der nächtliche, zweite Aufzug mischt dann Utensilien, wie Hammer und Schuhe, in normaler und in Übergröße, und die Festwiese steigert noch einmal das Durch- und Miteinander kleiner und großer Teilaspekte.
Aus der Zeit seiner kinderreichen Ehe ist in Sachsens Wohnung noch eine verwaiste Kinderstube vorhanden, mit Wiege, Kasperletheater und Bausteinen, diese Nische beherbergt auch ein Schaukelpferd. Hinter dem Puppentheater verstecken sich Walther und Eva im zweiten Aufzug. Im Fenster der verglasten Anrichte verwandelt sich die dunkelhaarige Magdalena durch eine blonde Perücke optisch in Eva. In der Mitternachtsstunde entsteigen Grimms Märchenbuch Schneewittchen und die sieben Zwerge, Rotkäppchen, Frau Holle, der gestiefelte Kater, das tapfere Schneiderlein, der Mäuse- und der Froschkönig – und der Goldesel übernimmt das Spiel auf Beckmessers Laute. Ein Falter senkt sich auf die nächtliche Prügelszene, bevor ein Salzburger Schnürlregen den Spuk der Mittsommer – besser Johannisnacht – beendet.
Das Frühstück, zieht Sachs für Stolzing aus jenem Korb, den David der heimlich mit ins Haus gebrachten Magdalena verdankt. Ganz bewußt baut Sachs die Falle für Beckmesser, die Niederschrift von Walters Preislied zu finden. Er beobachtet den Vorgang, wenn Beckmesser das Blatt im Genitalbereich seiner Hose verschwinden läßt, wo Sachs es dann selbst hervorzieht, um es später genüßlich wieder zu versenken. Witz, Spielfreude, Spaß und Tiefsinn sind in den ersten beiden Akten zum Überborden gepaart – aber im Schlußakt scheint ihm die Luft auszugehen. Da wird etwa eine vordem zwischen Goethe und Beethoven versteckte Büste Wagners enthüllt.
Gleichwohl gibt es auch auf der – ebenfalls in räumlicher Hinsicht – nicht mehr optimal gelösten Festwiese mehrere treffliche Momente zu bestaunen. Der Adler-Lokomotive entsteigen schwellköpfige Fürther Lustmädchen-Puppen, zur Bühnenmusik klatscht das Volk rhythmisch pointiert und der Foliant einer Shakespeare-Ausgabe dient als Singpodest.
Gesine Völlm hat Solisten und Chor (die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) einfalls- und farbenreich kostümiert, mit biedermeierlichen Anleihen bei Carl Spitzweg und Wilhelm Busch, Stolzing als Burschenschaftler mit Florett.
Sänger und Orchester
In den Applaus nach der dritten Aufführung mischen sich auch einige Buhrufe für die nur den lyrischen Passagen der Oper entsprechende Eva von Anna Gabler, für Roberto Saccà, der die Partie des Walther von Stolzing zwar mühelos leicht, jedoch als zu schwacher Tenor, bewältigt, sowie für Daniele Gatti, unter dessen Dirigat Orchester und Bühne oft nicht zusammen sind, der aber den Wiener Philharmonikern im offenen Graben Klangwolken entlockt, transparent und durchaus reibungsstärker als im Bayreuths mystischem Abgrund. Michael Volle bringt einen vielschichtigen, stimmlich vielfältig differenzierenden Sachs auf die Bühne: so imponierend war diese Partie seit Jahren nicht mehr zu erleben. Markus Werba als sein Gegenspieler ist ein gleichermaßen die Komik bedienender, wie mit Belcanto die Absonderlichkeiten und Modernität der Partie betonender Beckmesser. Großartig Georg Zeppenfeld als Veit Pogner, stark charakterisierend Oliver Zwarg (Kothner), frisch und jugendlich der lyrische Tenor von Peter Sonn (David) und mit herrlichem tief fundiertem Baß der Nachtwächter von Tobias Kehrer.
Fazit
Eine merkwürdige Erkenntnis: Warum das Publikum Wagner nur verhalten nachfrägt und Wagner nur selten auf den Spielplan kommt, ist bei dieser Qualität unerklärlich. Solisten, Orchester, Chor und Dirigent sind allesamt hochmotiviert und vom Publikum umjubelt. Bei der Nachfrage jedoch sind Werke wie Don Carlos oder Così fan tutte beliebter. Die Meistersinger werden nach nur wenigen Aufführungen wieder vom Spielplan verschwinden. Immerhin gelang es, die Produktion nach Paris zu verkaufen. Ob in Paris die Produktion mit Festwiese und deutschen Märchenfiguren zu sehen sein wird, bleibt fraglich.
O. Hohlbach
Die Bilder zeigen:
Rienzi: Christopher Ventris (Cola Rienzi), Emily Magee (Irene), Sophie Koch (Adriano), Philippe Jordan (Musikalische Leitung), Gustav Mahler Jugendorchester, Mitglieder der Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker
Bild: Silvia Lelli
Sommernachtstraum: Chiara Skerath (1. Elfe), Vocalensemble
Bild: Ruth Walz