von Jules Massenet (1842-1912), Opéra-comique in fünf Akten, Libretto: Henri Meilhac und Philippe Gille nach dem Roman von Abbé Prévost Histoire de Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut, UA: 19. Januar.1884 Paris, Opéra-Comique, Salle Favart
Regie: Laurent Pelly, Bühn: Chantal Thomas, Licht: Joël Adam
Dirigent: Emmanuel Villaume, Orchester und Chor des Royal Opera House, Choreinstudierung: Renato Balsadonna
Solisten: Ermonela Jaho (Manon), Matthew Polenzani (Chevalier Des Grieux), Audun Iversen (Lescaut), Alastair Miles (Comte Des Grieux), Christophe Mortagne (Guillot de Morfontaine), William Shimell (Brétigny), Simona Mihai (Poussette), Rachel Kelly (Javotte), Nadezhda Karyazina (Rosette) u.a.
Besuchte Aufführung: 21. Januar 2014 (Premiere 22. Juni 2010)
Kurzinhalt
Die fröhliche, vergnügungssüchtige und lebenshungrige Manon soll von ihrem Cousin Lescaut ins Kloster gebracht werden. Während Lescaut sich dem Glücksspiel widmet, begegnet das Mädchen dem jungen Chevalier Des Grieux. Die beiden verlieben sich ineinander und Manon beschließt, der Klostererziehung und ihren heimlichen Verehrern de Brétigny und Guillot den Rücken zu kehren. Gemeinsam fliehen sie nach Paris und leben in einer ärmlichen Pariser Wohnung. De Grieux’ Vater holt seinen Sohn gewaltsam zu sich zurück. Manon lebt von nun an mit dem reichen Lebemann de Brétigny zusammen und wird von ihm mit materiellen Dingen verwöhnt.
Auf einem Fest auf den Champs-Élysées trifft sie zufällig auf Des Grieux’ Vater und erfährt von ihm, daß sein Sohn Priester werden will. Manon sucht ihn heimlich im Priesterseminar der Kirche Saint-Sulpice auf und überredet ihn, ihr zu vergeben und wieder zu ihr zurückzukehren. Das gelingt ihr und beide leben erneut zusammen. Manon verleitet ihn zum Glücksspiel. Als Des Grieux wiederholt gegen Guillot gewinnt, wird er von diesem des Spielbetrugs bezichtigt. Manon und Des Grieux werden verhaftet. Des Grieux’ Vater sorgt für die Befreiung seines Sohnes, Manon jedoch soll als Diebin nach Übersee deportiert werden. Des Grieux besticht die Wärter, um Manon noch einmal zu sehen. Aber Manon stirbt entkräftet in seinen Armen.
Aufführung
Die Bühnenbilder sind über alle Akte hinweg sehr schlicht gehalten. Viele glatte, schnörkellose Wände und Flächen bestimmen den Raum und immer wieder sind schiefe Ebenen und Treppen zu sehen. Dies ist vor allem in der Kirche Saint-Sulpice besonders auffällig: schiefe Säulen stützen die Kirche und die Stuhlreihen scheinen in sich zusammenzufallen. Das Lichtdesign und die Kostüme verleihen den ansonsten schlichten Bühnenbildern eine immer wieder andere Atmosphäre: Kaltes grelles Licht aus Neonröhren in der Glücksspielstätte, Kerzenschein in der Kirche, üppige und zumeist farbenfrohe, schillernde Kostüme und Hüte bei den Damen, Frack und Zylinder bei den Herren.
Sänger und Orchester
Ermonela Jaho (Manon) kann als absoluter Star des Abends bezeichnet werden. Mit glasklarer und glockenheller Stimme singt sie in Je suis encore tout étourdie – Ich bin noch ganz benommen. Besonders hevorzuheben ist die Arie Adieu, Notre petit table – Adieu, mein kleiner Tisch, in dem sie mit melancholischer Stimme und angenehmem Vibrato Abschied von ihrem Leben mit De Grieux nimmt. Sie erreicht in den vielen zarten und leisen Pianissimipassagen, mit Leichtigkeit alle Spitzentöne und singt mit viel Gefühl und Emotion alle Verzierungen aus. Sehr glaubhaft verkörpert sie den Charakter der Manon: im letzten Akt singt Manon fast schluchzend und bittet Des Grieux, ihr zu vergeben. In der Arie Tu pleures? Oui, de honte sur moi – Weinst du? Ja, Schande über mich legt sie all ihre Emotionen hinein: sie beginnt tatsächlich zu weinen.
Aber auch die anderen Sänger singen durchweg auf hohem Niveau. Der Tenor Matthew Polenzani (Des Grieux) singt mit kraftvoller und zugleich wohllautender Stimme. Vor allem mit der Arie Ah fuyez, douce image – Ah, Flieh, du süßes Bild (3.Akt) begeistert er das Publikum; lautstarker Applaus und Bravo-Rufe sind zu vernehmen. Auch das anschließende Auftreten des Vaters in der Kirche St.Sulpice Épouse quelque brave fille – Heirate irgendein gutes Mädchen steht Polenzanis gesanglicher Klasse in nichts nach. Die amüsanten und komischen Züge der Oper werden besonders gelungen von Christoph Mortagne (Guillot) dargestellt, auch wenn er gesanglich nicht sonderlich auffällt. Gesanglich sind die drei Damen Simona Mihai (Poussette), Rachel Kelly (Javotte) und Nadezhda Karyazina (Rosette) besonders hervorzuheben. Diese Damen eröffnen den Opernabend äußerst elegant, zuweilen kokett, und sind gesanglich wie schauspielerisch ein homogenes Ensemble.
Das Orchester des Royal Opera House spielte unter der Leitung von Emmanuel Villaume, der die Oper zum ersten Mal in London dirigierte. Schon bevor der Vorhang sich öffnet, wird die Ouvertüre in zügigem Tempo gespielt. Über die ganze Oper hinweg ist das Orchester sehr leidenschaftlich bei der Sache und paßt sich sehr gut den Sängern an.
Fazit
Diese Inszenierung ist etwas für Ohr und Auge. Das Publikum ist gleichermaßen begeistert von Musik und Inszenierung. Besonders lauten und anhaltenden Applaus gab es für die beiden Hauptrollen Ermonela Jaho und Matthew Polenzani.
Katharina Rupprich
Bild: ROH/BILL COOPER
Das Bild zeigt Ermonela Jaho (Manon) wird von der Garde vom Spielsaal weg verhaftet.