Ermonela Jaho debütiert am 13. April in der Hamburgischen Staatsoper als Madame Butterfly

Im OPERAPOINT 1/2014 haben wir berichtet.

Interview mit der Sopranistin Ermonela Jaho

Anläßlich der Aufführung von Gaspare Spontinis Oper La Vestale im Théâtre des Champs-Élysées in Paris sprach

Alexander Jordis-Lohausen am 25. Oktober 2013 mit der albanischen Sängerin Ermonela Jaho, die die Titelrolle sang.

A.J.: Als Sie klein waren, was war Ihr Weg zur Musik und später zur Oper?

E.J.: Ich wuchs noch während des kommunistischen Regimes in Tirana auf. Alle hatten Angst und schirmten

sich ab. Ich hatte mit Politik nichts zu tun, aber ich spürte die Atmosphäre um mich herum. Vielleicht war

das der Grund, warum ich als Kind fast pathologisch verschlossen war. Ich brauchte Einsamkeit. Ich schloß

mich dann in mein Zimmer ein und sang vor dem Spiegel albanische Volkslieder – die einzige Musik, die

ich damals kannte. Das waren die einzigen Momente, in denen ich glücklich war und zu mir selbst, zu meinem

Innersten fand. Meine Mutter war überaus warmherzig, mein Vater ein großer Idealist, er brauchte Ideale im Leben.

Zwei Elemente, die für mich als Kind und später für mich als Künstlerin sehr wesentlich waren, und ich bin ihnen dafür

sehr dankbar. Sie machten sich Sorgen um mich und brachten mich mit sechs Jahren in eine Musikschule für Kinder. Dort

öffnete ich mich. Um weiter Musik und Gesang studieren zu können, bewarb ich mich beim Musikgymnasium in

Tirana, sang ein albanisches Volkslied und Oscars Arie aus Verdis Maskenball vor und gewann ein Stipendium.

A.J.: Wie alt waren Sie damals?

Jaho-ErmonelaE.J.: 14 Jahre. Zur gleichen Zeit durfte ich zum ersten Mal in Tirana in die Oper gehen und hörte La Traviata.

Das waren für mich so starke, fast magische Momente, es war wie eine Offenbarung, so daß ich nachher, völlig in Tränen aufgelöst, zu meinem Bruder mit echt balkanischer Leidenschaft sagte: Jetzt weiß ich es: Ich muß Opernsängerin werden, und ich werde nicht sterben bis ich nicht zumindest einmal die Traviata gesungen habe.

Als mein Vater sah, wie der Gesang mich lebendig machte, schaffte er, wo immer er sie fand, Opernliteratur herbei, und ich studierte wie eine Besessene.

Ein ganzer Teil meines Lebens veränderte sich, es war wie eine Therapie, es ist noch heute meine Katharsis, wann immer ich auf der Bühne stehe. Es gibt mir Freiheit.

Es klingt heute verrückt, aber ich hatte mit 17 Jahren dann die Möglichkeit, meinen Traum Wirklichkeit

werden zu lassen, d.h. die ganze Traviata, die ich Schritt für Schritt einstudiert hatte, in einer Schüleraufführung

zu singen. Leider gibt es davon keine Aufnahme!

A.J.: Und dann?

E.J.: Ja, und dann kam 1993 der erste große Schritt ins Ausland: ich arbeitete sehr darauf hin und betete, daß es

gelingen möge, und dann geschah es: ich gewann den internationalen Katia Ricciarelli-Wettbewerb und durfte

in Mantua studieren.

Danach setzte ich meine Studien noch fünf Jahre lang an der Accademia nationale di Santa Cecilia in Rom fort.

Es war eine harte und entbehrungsreiche Zeit, denn ich hatte kein Geld, meine Eltern konnten mich nicht unterstützen.

Ich mußte arbeiten, um am Leben zu bleiben, was als Albanerin in Rom nicht einfach war. Ich litt. Aber ich hatte eben diesen Traum,

Sängerin zu werden und wollte ihn unbedingt Wirklichkeit werden lassen. Ich sagte mir, vielleicht prüfen mich die

Götter nur um zu sehen, ob meine Motivierung auch echt ist. Und ich sagte mir auch, erst wenn ich selbst mit Leib

und Seele gewisse Schwierigkeiten durchleide, wird es mir möglich sein, das Leiden der Personen, die ich auf

der Bühne darstelle, zum Ausdruck zu bringen – durch die Musik, die dann die Brücke von meinem Herz zum

Herz der Zuhörer wird.

A.J.: Eigenartig, La Traviata war die erste Oper, die Sie gesungen haben, La Traviata war auch die Oper, die Sie

dazu bestimmt hat Sängerin zu werden, und schließlich war es wieder die Traviata, die Ihnen den Durchbruch

in die große internationale Karriere ermöglichte. Wie geschah das?

E.J.: Ja, das war der zweite große Schritt. Man muß dafür bereit sein. Ich hatte auf verschiedenen Bühnen

in Europa gesungen, auch viele Male die Traviata, und ich hatte jedes Mal immer wieder etwas dazu gelernt.

Ich studierte gerade in New York die Manon ein, da kam der Anruf aus London: Anna Netrebko, die mit

Jonas Kaufmann dort die Traviata sang, sei plötzlich erkrankt, ob ich sofort einspringen könne? Was für eine

Entscheidung! Es könnte meine Karriere machen, aber auch zerstören, wenn es ein Fiasko würde.

Sieben Monate hatte ich die Traviata nicht mehr gesungen. Aber man muß im Leben manchmal Risiken

eingehen, um einmalige Gelegenheiten wahrzunehmen.

Erst wenn richtige Gefahr im Verzug ist, sehen wir, wie stark wir sind. Ich sagte zu. Nach einem Nachtflug kam

ich am Morgen in London an, hatte Angst und hoffte, Netrebko würde wieder gesund werden. Aber das war

nicht der Fall. So stand ich am selben Tag abends, ohne Probe und mit vielen Schmetterlingen und Jetlag im

Bauch, auf der Bühne von Covent Garden und sagte mir: Ok, hier bin ich nun, und ich werde mein Bestes

geben! Das geschah im Januar 2008.

A.J.: Seit der ersten Traviata in der Schule in Tirana bis dahin muß sich Ihre Interpretation der Violetta

unglaublich verändert haben?

E.J.: Wissen Sie, als Teenager mit 17 Jahren war ich wie eine Rakete und gab alles, was ich hatte, von der ersten

bis zur letzten Note. Am Ende war ich vollkommen erschöpft. Es brannte ein leidenschaftliches Feuer in

mir und auch auf der Bühne. Jetzt ist das schon anders, das Feuer ist immer noch da, aber es ist nach langjähriger

Erfahrung besser kontrolliert, es ist nicht mehr das Feuer eines Teenagers….. (lachend) manchmal

wünschte ich, es wäre so!

A.J.: Sie haben nicht nur in den dramatischen Szenen eine wunderbare klangliche Intensität, sondern auch

eine unglaublich weiche, klare Stimmführung in den lyrischen, sehen sie sich eher als ein dramatischer oder

als ein lyrischer Sopran?

E.J.: Eher als ein lyrischer Sopran! La Vestale war eine Herausforderung, darin sind dramatische und lyrische

Szenen, und außerdem gibt es gewisse Passagen, die vom Komponisten eigentlich für Mezzosopran geschrieben

sind. Da hilft dann nur hart erarbeitete Stimmtechnik, um die von Komponisten gewollte Musik voll zum

Ausdruck kommen zu lassen.

A.J.: Ist das die Technik, die Sie in der Accademia di Santa Cecilia gelernt haben?

E.J.: Sicherlich! Aber ich muß dazu sagen, ich habe häufig den Lehrer gewechselt, denn man findet nicht

immer auf Anhieb den richtigen. Ich habe mich auch selbst eingehend mit meinen Stimmbändern beschäftigt,

wie sie Laute hervorbringen, was ich von Ihnen verlangen kann und das hat mir geholfen, meine Möglichkeiten,

aber auch meine Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Man lernt ja nie aus!

A.J.: Sie halten sich für einen lyrischen Sopran und dennoch haben Sie, mit wenigen Ausnahmen, Opern

des 19. Jahrhunderts und damit meist dramatische Rollen gesungen. Wie erklären Sie das?

E.J.: Sie dürfen nicht vergessen, ich komme vom Mittelmeer und noch dazu vom Balkan. Es ist jenes innere

leidenschaftliche Feuer, von dem ich sprach und das mich geprägt hat. Ich brauche dramatische Rollen. Ich

glaube auch, in solchen Rollen komme ich am besten zum Ausdruck. Aber ich vernachlässige nicht die lyrische

Seite und die Koloratur, um so vielseitig wie möglich zu bleiben.

A.J.: Heißt das, daß Sie sich vielleicht auch mal wieder Mozart oder sogar der Barockoper zuwenden werden?

E.J.: Ich würde liebend gerne Barockmusik singen, sie ist so viel kontrollierter und subtiler und in vieler Hinsicht

auch viel schwieriger als Opernarien des 19. Jahrhunderts.

Leider habe ich momentan keine derartigen Angebote von den Opernhäusern – (lachend) vielleicht, weil sie

mich schon ganz als dramatische Sängerin abgestempelt haben.

A.J.: Hauptsächlich, um ihre Stimmen nicht zu schnell zu überfordern, fangen heute viele junge Sängerinnen

mit Barockmusik an, und tasten ihren Weg vorsichtig hinauf in die Klassik, zum Belcanto und zuletzt vielleicht

in die großen Rollen des 19. Jahrhunderts. Sie scheinen den umgekehrten Weg zu gehen!?

E.J.: (lachend) Wissen Sie – und das klingt vielleicht verrückt – für mich ist Singen momentan nicht nur Beruf.

Ich fand darin meine Freiheit, und es ist für mich schon ein so großes Glück, das erreicht zu haben. Wie ich Ihnen

schon sagte, es ist meine Therapie, meine Katharsis.

A.J.: Und für Sie ist die Butterfly oder Traviata eine bessere Therapie als die Susanna oder Alcina?

E.J.: Ja, aber ich brauche doch auch die Pianissimi. Dann finde ich Frieden.

A.J.: Wie in La Vestale?

E.J.: Genau! Aber jedes Mal habe ich ein Lampenfieber, als wäre es die erste oder letzte Aufführung meines

Lebens. Ich lebe meinen Traum jeden Tag, deswegen singe ich auch nicht für morgen.

A.J.: Mit welchen Dirigenten arbeiten Sie besonders gerne zusammen?

E.J.: Ich habe mit vielen Dirigenten gut zusammen gearbeitet. Aber ich liebe Antonio Pappano! Ich sang La

Traviata und Suor Angelica unter seiner Leitung. Wissen Sie, manchmal ist man sich auf der Bühne seiner Sache

nicht ganz sicher und sucht Hilfe. Da war er der erste Dirigent, der zu mir sagte: Schauen Sie nicht zu mir herüber.

Wenn Sie das tun, verlieren sie allen Kontakt mit dem Bühnengeschehen. Einmal war ich nicht sehr gut drauf,

und er kam und, ohne viel sagen zu müssen, hat er mich beruhigt. Bei ihm fühlte ich mich ganz geborgen.

A.J.: Und was erwarten Sie vom Regisseur?

E.J.(lachend): Das ist eine sehr gute Frage! Für mich ist das momentan ein etwas frustrierendes Thema. Ich bin

nicht gegen moderne Inszenierungen, solange sie in der Aussage der Oper bleiben. Aber wenn eine Aufführung

vom Publikum völlig ausgepfiffen wird, so kann vielleicht der Regisseur sagen: Ich habe bewußt provoziert.

Diese Reaktion habe ich erwartet und gewollt!!

Aber wir, die Sänger, haben das nicht gewollt! Wir haben all unsere Kunst gegeben, um das Publikum zu

erfreuen. Man darf das Publikum nicht einfach ignorieren, sonst verliert es das Interesse und den Kontakt zur

Oper. Man darf auch die Musik nicht ignorieren. Es ist vorgekommen, daß ein Regisseur offensichtlich mit der

Musik nicht viel im Sinn hatte, und es gelang mir nicht, ihm das verständlich zu machen – da fühlte ich mich

dann nur noch als beauftragte Sängerin, nicht mehr als Künstlerin. Und das ist dann wirklich frustrierend.

A.J.: Hin und wieder hört man sagen: Oper ist doch nur Unterhaltung für eine Elite, nicht für alle. Was ist

Ihre Meinung dazu?

E.J.: Ja, ich glaube, das stimmt. Und es ist unsere Schuld und mit „uns“ meine ich die ganze „Opern-Maschine“,

die sich so schrecklich kommerzialisiert hat. Natürlich sind die Kosten für eine Opernproduktion sehr hoch,

aber die Eintrittskarten werden immer unerschwinglicher. Auch die Stargagen sind enorm, und das ist nicht

richtig. Sicherlich ist das nicht in allen Opernhäusern so, aber leider in vielen.

Und dabei, wenn man an Mozart und andere Musiker denkt, die waren arm. Der richtige Künstler sollte nicht

reich sein. Man darf als Musiker das Materielle nicht über die Kunst stellen. Wir müßten zurückfinden zu

den lyrischen Theatern in Venedig des 18. Jahrhunderts, wo jeder Eintritt fand. Wir müssen den Zugang

zum breiten Publikum wieder finden. Es wäre unser aller Fehltritt, wenn das nicht gelänge. Ich glaube, jeder

von uns muß dafür Opfer bringen, und ich glaube, das Publikum würde es uns reichlich auf seine Weise

zurückzahlen.

A.J.: Vielleicht ist die Übertragung von Opernaufführungen in den Kinos, die überall überhand nimmt, ein

Weg dahin?

E.J.: Ja vielleicht, das scheint mir eine positive Entwicklung!

A.J.: Eine letzte Frage: Was sind Ihre Pläne für Österreich und Deutschland?

E.J.: Ich habe La Traviata in der Wiener Staatsoper auf dem Programm, dann im April Madame Butterfly

in Hamburg, und weitere Projekte für Berlin und München. Ich liebe das deutsche Publikum, wegen

seiner Aufmerksamkeit und seinem Respekt Künstlern gegenüber. Dort, im Gegensatz zu dem, was wir vorher

sagten, gibt es, vor allem in kleineren Städten, Opernhäuser, die fast immer ausverkauft sind, weil die Karten

nicht so teuer sind.

A.J.: Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Kommentare und für die Zeit, die Sie mir gewidmet haben.

E.J.: Übrigens komme ich im nächsten September wieder nach Paris. Diesmal in die Oper an der Bastille……..

mit La Traviata!

Mit Frau Jaho sprach Alexander Jordis-Lohausen, der das Interview aus dem Englischen übersetzte.

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