RICARDO PRIMO (RICHARD LÖWENHERZ) – Karlsruhe, Staatstheater, Händel Festspiele

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Libretto: Paolo Antonio Rolli nach Francesco Briani Isacio Tiranno, UA: 11. November 1727 London, King’s Theatre, Haymarket

Regie: Benjamin Lazar, Bühne: Adeline Caron, Kostüme: Alain Blanchot, Lichtdesign: Christophe Naillet, Dramaturgie: Bernd Feuchtner,

Dirigent: Michael Hofstetter, Deutsche Händel-Solisten

Solisten: Franco Fagioli (Riccardo Primo), Emily Hindrichs (Costanza), Lisandro Abbadie (Isacio), Claire Lefilliâtre (Pulcheria), Nicholas Tamagna (Oronte), Andrew Finden (Berardo)

Besuchte Aufführung: 21. Februar 2014 (Premiere)

Karlsruhe R_Primo_1Vorbemerkung

Vor vier Jahre wurde bei den Karlsruher Händelfestspielen die Oper Radamisto von Sigrid T’Hooft in einer authentischen Inszenierung dargeboten (Interview/Rezension OPERAPOINT, Heft 2/2010).

Nun gab es bei den Händelfestspielen erneut eine Aufführung, die sehr viel der überlieferten Szenenanweisungen (Gesten) des 18. Jahrhunderts berücksichtigte. Der Franzose Lazar hielt sich in vielem an die Quellen, erreichte aber kaum die profunde Darstellung der belgischen Regisseurin T’Hooft. Dennoch ist das Staatstheater gegenüber den immer noch in den Kinderschuhen steckenden Händel-Inszenierungen auf dem richtigen Weg, die Händeloper dem heutigen Opernbesucher nahzubringen. Die diesjährige Inszenierung überragte bei weitem die Regiearbeiten früherer Jahre.

Kurzinhalt

Costanza überlebte den Untergang ihres Schiffes vor der Küste Zyperns. Sie und ihr Vetter Berardo stellten sich als Dienerpaar des englischen Königs dem zyprischen König Isacio vor. Richard Löwenherz, der ebenfalls den Schiffsuntergang überlebt hatte, begegnete König Isacio als Gesandter des englischen Königs. Isacio, der sich sogleich in Costanza verliebte, veranlaßte seine Tochter Pulcheria, sich als Costanza auszugeben, denn Löwenherz hatte seine Braut Costanza noch nie gesehen. Pulcheria war zwar mit Oronte, dem Fürst von Syrien, verlobt, unterwarf sich aber der Anordnung ihres Vaters. Doch Oronte eröffnete Löwenherz den Betrug. Die folgende kriegerische Auseinandersetzung gewann Löwenherz zusammen mit Oronte, der sich ihm spontan angeschlossen hatte. Nun können sich Löwenherz und Costanza sowie Oronte und Pulcheria glücklich in die Arme schließen.

Aufführung

Mächtige, hochaufragende, sandsteinfarbene Mauern und Palastwände bilden die Gebäude auf der Drehbühne. Immer wieder werden sie, je nach Szene, gegeneinander verschoben. Einige Male stellen sie den Innenhof des Palastes dar, der mit Bäumen geschmückt ist. Gegen Opernende wird der innere großräumige Palastplatz gezeigt, wobei man auch Blicke in die Palasträume werfen kann, die mit vielen Kerzen, aber auch Fackeln erhellt werden. Die Protagonisten sind in bunte, teils goldbestickte Kleider im Stil des 12. Jahrhunderts, der Zeit von Richard Löwenherz gekleidet. Costanza trägt als königliche Hoheit große Robe mit langer Schleppe, die sie auch vorteilhaft zu zeigen vermag.

Karlsruhe R_Primo_2Sänger und Orchester

Schon bei der Ouvertüre ist man vom zügigen Tempo angetan. Es ist ein ziemlich großes Orchester mit zwei Cembali, zwei Theorben, Baßlaute und dann und wann ergänzt mit Naturhörnern.

Allerdings waren vom Sitz des Rezensenten in der ersten Reihe der Empore die beiden Baßgeigen wenig zu vernehmen, so daß das Orchester eine gewisse Baßgrundierung entbehrte.

Nach anfänglicher Befangenheit wurde Emily Hindrichs (Costanza) Sopran nach und nach frei und wohltönend. Ihre Sopranstimme leuchtete bei Di notte il pellegrino se perde il suo cammino – wenn der Wanderer in der Nacht vom Wege abkommt und hob mit schwingendem Rhythmus die Einzigartigkeit dieser Arie (2. Akt) auf ein hohes Niveau. Ein wenig verschliff sie die kleinen Intervalle bei den Koloraturen. Doch das hemmte kaum den wunderbaren Gesangsfluß ihrer Melodieführung. Rhythmisch genau waren ihre Triolen und bei il passo errante – den irrenden Schritt konnte sie die große Linie unter einen Atem nehmen. Unterstützt und mit großer Eleganz ließ das Orchester dieses Andante geradezu schweben, ein Höhepunkt!

Bei Lisandro Abbadie (Isacio) fielen seine gut geführte Baßstimme und seine ungemeine rhythmische Genauigkeit, schon bei den Rezitativen, auf. Die für Ti vedrò regnar sul trono – ich werde auf dem Thron herrschen nötige Kraft und Überlegenheit gelang eindrucksvoll und gab ihm die für seine Rolle nötige Herrscherwürde. Auch Andrew Finden (Berardo) gefiel in seiner Rolle als Vertrauter Costanzas mit seinem Baß, der sowohl in den Höhen und wie den Tiefen wohltönend erklang. Claire Lefilliâtre (Pulcheria), die zwischen Gehorsam gegenüber ihrem Vater Isacio und Zuneigung zu Costanza letztlich zur letzterer sich bekannte, setzte ihren Mezzosopran temperamentvoll ein, obwohl sie ziemlich sorglos mit den Koloraturen umging. Bei den Wiederholungen der Da-Capo-Arien war sie in ihrem Element, indem sie weitschwingende und hohe Töne herausschleuderte. Nur hätte man gerne den Vergleich mit dem ersten Durchgang der Arie gehabt, wo sie meist schon ihre eigene Version wiedergab, anstatt die notierten Triolen und Triller auszusingen. Trotz allem zeigte sie eine äußerst lebhafte Darstellung, die natürlich in den Schranken der vorgeschriebenen symbolisch-höfischen Arm und Handbewegung blieb. Zuletzt noch Franco Fagioli (Riccardo Primo), der „Held“ des Abends sowohl als Sänger wie als Darsteller. Fagioli ist ein versierter und technisch überragender Counter. Sein Atem reicht über viele Takte, seine Dynamik kommt völlig natürlich, seine Intonation ist unbestechlich und seine Koloraturen sind einzigartig in Rhythmus und Genauigkeit. Allerdings müßte er nicht schon die Rezitative wie auch einige Arien mit so starkem Vibrato verdunkeln und so oft ins Brustregister bei den tieferen Töne (h° und c‘) fallen. Beinahe alle Sänger bekamen langen Applaus und waren im Niveau durchaus gleich.

Fazit

Eine Anmerkung: Die immer wieder zu verschiebenden Mauern und Paläste wurden bei offenem Vorhang getätigt. Zeigte der Regisseur damit seine Vertrautheit und Akzeptanz mit der abgetakelten Brecht-Manier?

Die vom Regisseur mit den Sängern einstudierten Gesten sind von großer Eindringlichkeit, wenn man sie auch alle nicht verstehen konnte. Schade, daß der Zuschauerraum durch seine Größe verhinderte, daß man – etwa auf der Empore – die Gesten verfolgen konnte. Erstaunlich war, daß keine Sängerin oder Sänger Intonationsschwierigkeiten hatte. Hinlegen, Niedersinken oder Aufrichten, schnelles Drehen, Laufen und dergleichen waren ja auch bei den historisch vorgeschriebenen Gesten nicht vorhanden. So waren die Gesänge außerordentlich deutlich zu vernehmen. Es war ein Vergnügen!

Dr. Olaf Zenner

Bilder: Falk von Traubenberg

Die Bileder zeigen:

1) Franco Fagioli (Riccardo) re, Emily Hindrichs (Costanza) Mitte, Claire Lefilliâtre (Pulcheria) li., Statisterie

2) v. li. n. re. Andrew Finden (Berardo), Emily Hindrichs (Costanza), Franco Fagioli (Riccardo), Claire Lefilliâtre (Pulcheria), Nicholas Tamagna (Oronte), Statisterie

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