CARMEN – Luzerner Theater

von Georges Bizet (1838-1875), Opéra Comique in vier Akten, Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy, nach der Novelle Carmen von Prosper Mérimée, UA: 3. März 1875, Paris Opéra-Comique, Salle Favart

Regie: Tobias Kratzer, Bühne/Kostüme: Rainer Sellmaier, Licht: Gérard Cleven, Choreinstudierung: Mark Daver, Dramaturgie: Dr. Christian Kipper

Dirigent: Howard Arman, Luzerner Sinfonieorchester, Chor und Extrachor, Luzerner Kantorei

Solisten: Carolyn Dobbin (Carmen), Carlo Jung-Heyk Cho (Don José), William Berger (Escamillo), Flurin Caduff (Zuniga), Jutta Maria Böhnert (Micaëla), Todd Boyce (Moralès), Marie-Luise Dressen (Mercédès), Dana Marbach (Frasquita), Utku Kuzuluk (Remendado), Robert Maszl (Dancaïro)

Besuchte Aufführung: 23. Februar 2014 (Premiere, in französischer Sprache)

Luzern CarmenKurzinhalt

Es ist ein unruhiges Sevilla in der Zeit um 1820. Die junge Zigeunerin Carmen wird von den Männern begehrt. Nach einem heftigen Streit mit einer Angestellten der Tabakfabrik wird sie verhaftet. Don José soll sie ins Gefängnis bringen. Auf dem Weg dorthin wird er von der Zigeunerin so sehr umworben, daß er sie entkommen läßt. Ihre Freundinnen wundern sich über die Veränderungen Carmens, die geduldig auf Don José wartet und sich nicht auf das Werben anderer Männer einläßt. Als der Geliebte eintrifft, versucht sie ihn für sich allein zu gewinnen. Doch Don José kann sich nicht für das gesetzlose Leben in völliger Freiheit entscheiden. Carmen ist zutiefst enttäuscht und gekränkt, sie wendet sich von ihm ab. Darüber hinaus verliebt sie sich in den Stierkämpfer Don Escamillo. Aber Don José will Carmens Liebe zurückerobern. Für die Ablehnung seiner Liebeserwartung ersticht er sie.

Vorbemerkung

In dieser Produktion wird eine neuartige und direkt auf die Prosper Mérimées Novelle abgestützte Version inszeniert, die durch starke Kürzung der Dialoge sowie der Umgestaltung zu einem neuen Glanz zu gelangen versucht. Der ursprüngliche Handlungsablauf ist völlig verändert.

Aufführung

Die Bühne erscheint als ein kleiner, einfacher und grau angestrichener Raum mit einem altmodischen, blauen Ledersofa, weißem Gartensessel, einem runden Sofatisch mit Handy und Zeitschrift, Flachbildschirmfernseher und darüber einem präparierten Stierkopf, einigen Stühlen und einer Kommode mit Telefonanschluß. An der hinteren Wand befindet sich das Badezimmer mit einer zerschlagenen Türe. Stets sichtbar ist ein Spiegel über dem Waschbecken. Rechts daneben hängt das Kostüm des Torero in strahlendem Blau. Über diesem Raum verläuft ein Gang mit durchgezogenem grauem Metallgitter, der eine Fabrikanlage oder ein Gefängnis darstellen könnte.

Noch während der Ouvertüre schmusen Carmen und Escamillo miteinander und schließen sich auf der Toilette ein. Kaum ist Escamillo weg, wird Carmen von einem Einbrecher namens Don José gefangengenommen. Sie versucht sich in die Toilette zu retten, doch mit einigen Stößen gegen die Türe zertrümmert José diese. Carmen kann sich nicht mehr wehren. Die Spannung wird sehr intensiv aufgebaut, jedoch durch das Duett zwischen Micaëla und José (mittels eines Mobiltelefongesprächs), unterbrochen und entspannt. Mit einem Kabelbinder an der Stange gefesselt verbringt Carmen die ganze Nacht. Sie scheint trotz aller Tortur und Hilflosigkeit für den Einbrecher Liebesgefühle zu entwickeln. Es ist rätselhaft, weshalb Carmen zum späteren Zeitpunkt keine Hilfe herbeiruft oder nicht einen günstigen Moment für die Flucht nutzt. Nachdem sie sich letztendlich weigert, mit Don José den Ort zu verlassen, um ihn zu lieben, erschießt sie sich mit seiner Pistole auf derselben Toilette.

Escamillo scheint hauptberuflich ein Geschäftsmann oder ein Banker zu sein mit mehreren Geliebten. Sehr eindrücklich ist sein blaues Torero-Kostüm mit knalligen rosa Strümpfen. Der Knabenchor tritt ebenso in bunten Torero-Kostümen auf. Carmen wechselt ihre Kleidung am meisten: Mal ist sie im reizenden schwarzen Unterhemd, dann trägt sie einen Morgenmantel, ein mit Gürtel zusammengehaltenes knielanges schwarzes Kleid oder – unter der Drohung Josés – das lange rotschwarze Flamencokleid.

Sänger und Orchester

Vom Anbeginn an wurde der Orchesterklang dem höchsten Anspruch gerecht. Die stimmstarken Solisten haben sich stets gut gegenüber den Instrumentalisten durchgesetzt. Es gab extrem laute Kulminationspunkte in den Ensembles sowie im Chor. Die Chorpartien waren nicht nur perfekt einstudiert und boten den Solisten beste Unterstützung, sondern spielten in der Handlung mit und saßen permanent im Publikum, links und rechts vor dem Orchestergraben.

Das Ensemble der Solisten zeichnete sich durch ein angenehm klingendes, leichtes Vibrato, guter schauspielerischer Qualitäten, deutlichem Duktus, sicherer Bühnenpräsenz und intensiver Interaktionen aus. Die die Hauptrolle der Carmen singende Carolyn Dobbin überzeugte neben ihrem wenig vibrierendem Mezzosopran mit ihrem schauspielerischen Talent. Vorzüglich gestaltete sie die Szene Mêlons! Coupons! – mischen wir die Karten! mit zwei durchsetzungsstarken und selbstbewußten Zigeunermädchen Marie-Luise Dressen (Mercédès) sowie Dana Marbach (Frasquita).

 

Mit dem souveränen William Berger war Escamillo gut besetzt. Die angenehme Klangfarbe seiner Stimme sowie deren Klangstärke konnte er in Votre toast, je peux vous le rendre – Euren Toast kann ich erwidern unter Beweis stellen (2. Akt). Der klare Sopran von Jutta Maria Böhnert (Micaëla) brillierte solistisch und auch im Duett Parle-moi de ma mère – Erzähl mir von meiner Mutter gemeinsam mit Carlo Jung-Heyk Cho (Don José) im ersten Akt. Dieser war in seinem Stimmklang mild und rührend, was eher zu seiner Rolle als Geliebter, aber als Verbrecher und Stalker weniger gut paßte. Mit seinen schauspielerischen Aktionen und seinem breitgefächertes, musikalischem Talent war er in der Lage, eine spannende Situation zu erzeugen. Die Nebenrollen waren mit namhaften Solisten wie Flurin Caduff (Zuniga), Todd Boyce (Moralès), Utku Kuzuluk (Remendado), Robert Maszl (Dancaïro) ausgezeichnet besetzt.

Fazit

Der Gesang und die Musik wurden von der Zuhörerschaft freundlich aufgenommen. Zwischendurch gab es zustimmenden Applaus, der am Schluß leicht zurückhaltend wurde. Den weniger sexuell aufgeklärten Personen im Publikum sind möglicherweise manche Handlungselemente unklar geblieben, vor allem die Sado-Maso Szenen. Die Ausstattung der Bühne war weniger stimmig, der moderne Flachbildschirmfernseher mit den vielen Handys paßten nicht sehr gut in das altmodisch eingerichtete Zimmer, und lenkte darüber hinaus vom Gesang ab. Es gab ästhetisch und künstlerisch wirkende Momente. Manche der vorgeführten Szenen wirkten auch erheiternd, dramatisch emotional, aber auch billig.

Ruta Akelyte Hermann

Bild: Ingo Höhn

Das Bild zeigt: Carolyn Dobbin (Carmen), William Berger (Escamillo)

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