OTELLO OSSIA IL MORO DI VENEZIA – OTELLO ODER DER MOHR VON VENEDIG – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

von Gioachino Rossini (1792-1868), Dramma per musica in drei Akten, Libretto: Francesco Berio di Salsa nach William Shakespeare, UA: 4. Dezember 1816 Neapel, Teatro del Fondo

Regie: Bühne: Moshe Leiser/Patrice Caurier, Bühne: Christian Fenouillat, Kostüme: Agostino Cavalca. Licht: Christiphe Forey

Dirigent: Jean-Christophe Spinosi, Ensemble Matheus, Choeur du Théâtre des Champs-Elysées

Solisten: John Osborn (Otello), Cecilia Bartoli (Desdemona), Edgardo Rocha (Rodrigo), Barry Banks (Iago), Peter Kálmán (Elmiro), Liliana Nikiteanu (Emilia), Nicola Pamio (Der Doge), Enguerrand De Hys (Ein Gondolier)

Besuchte Aufführung: 7. April 2014 (Premiere, Produktion des Opernhauses Zürich)

OTELLO -Kurzinhalt

Desdemona liebt Otello, den Afrikaner, der gerade für Venedig einen Sieg errungen hat. Doch Desdemonas Vater, Elmiro, lehnt Otello wegen seiner Hautfarbe ab. Er beschließt, seine Tochter mit Rodrigo zu vermählen. Als Otello erscheint und um Desdemonas Hand bittet, enthüllt diese, daß sie sich heimlich Otello versprochen hat und weigert sich, Rodrigo zu heiraten. Rodrigo schwört Otello zu töten. Jago macht Otello mit einem Brief und einer Haarlocke Desdemonas eifersüchtig indem er vorgibt, sie hätte ihn Rodrigo geschickt. In Wirklichkeit ist es ein von Vater abgefangenen Brief seiner Tochter an Otello. Es kommt zum Zweikampf Rodrigos und Otellos. Desdemona schreitet ein. Elmiro erscheint, und es kommt zum endgütigen Bruch zwischen Vater und Tochter. Otello wird aus Venedig verbannt. Doch vorher tötet er Desdemona aus Eifersucht in ihrem Schlafgemach. Nach einem Duell mit Rodrigo gesteht Jago sterbend seine Intrige. Rodrigo und Emiro sind zu spät bereit, in Desdemonas Vermählung mit Otello einzuwilligen. Otello gibt sich selbst den Tod.

Aufführung

Die Inszenierung Moshe Leisers und Patrice Cauriers und ihres Teams ist dezent und einfach: Ein fast leerer venezianischen Palast – Empfangssaal, Schlafzimmer, Abstellkammer – und Kostüme der heutigen Zeit (um 1960). Die Herren in Smoking oder Uniform, die Damen, Emilia in etwas saloppem Hosenanzug und Desdemona in schwarzem, enganliegendem Dreiviertel-Kleid oder in weißer Unterwäsche (ein langes Abendkleid und langes Nachthemd wären vielleicht gefälliger gewesen!).

Desdemona ist hier nicht die reuige, gefügige Tochter eines venezianischen Patriziers, sondern eine feministische Furie, die auf einem Billardtisch stehend, Bierflasche in der Hand, in einer leidenschaftlichen Cabaletta dem Vater ihre Wahrheiten ins Gesicht schleudert (Finale 2. Akt). Auch Otello ist nur sehr kurz der triumphierende Kriegsheld, bald aber nur mehr der unsichere, von Zweifeln und Eifersucht geplagte afrikanische Immigrant in einer rassistischen Gesellschaft. Das entspricht teilweise dem  Textbuch, teilweise nicht. Die Choreographie ist gut. Alle Einzelheiten der Handlung sind wohl durchdacht und ausgearbeitet.

Sänger und Orchester

Für Cecilia Bartoli ist Rossini immer mein Gesangslehrer gewesen. Meine Mutter und Rossini. Seine Technik, die Elastizität der Stimme, die er sucht, sind Elemente der stimmlichen Gesundheit. Er ist für Sänger ein guter Arzt. (In Classica, April 2014).

In dieser, einer der seltenen Aufführungen einer opera seria von Rossini, hat sie ihrem Meister eine meisterhafte Huldigung dargebracht – durch eine Darbietung, in der ihr ganzes Wesen und ihr ganzes musikalisches und technisches Können wie ein mitreißendes Feuerwerk zum Ausdruck kommen. In der Weiden-Arie und dem anschließenden Gebet Assisa a’ pièd’un salice – am Fuß einer Weide sitzend und Deh calma, o ciel – besänftige, o Himmel (3. Akt, 1. und 2. Szene) gibt sie auch der lyrischen Seite ihrer Stimme Ausdruck. John Osborn ist mit kräftigem, auch in den hohen Lagen wohl abgerundetem Tenor eindruckvoll als der tragische Otello. Edgardo Rochas heller lyrischer Tenor kommt vor allem in den schwierigen Melismen des 2. Akts voll zur Geltung. Barry Banks  ist mit hoher, manchmal etwas nasaler Tenorstimme der perfide Jago. Peter Kálmán mit schön timbriertem Bariton als Elmiro und Lialiana Nikiteanu mit sanftem Mezzo als Emilia sowie Nicola Pamio als Doge vollenden das hervorragende Ensemble. Besonders im 2. Akt steigert sich die Dramatik in Musik und Handlung vom Duett Otello-Rodrigo Rodrigo … e che mai brami? – Rodrigo … und was wünschst du (8. Szene) über das Terzett mit Desdemona Ahimè! Fermate, udite – Ach, haltet ein, hört… (9. Szene) bis zum Finale des Aktes Desdemona-Emiro-Chor Qual nuova a me recate? – Welche Neuigkeit bringt ihr? …

Jean-Christophe Spinosi dirigiert die Solisten, sein Ensemble Matheus und den Chor des Théâtre des Champs Elysées mit Energie und Hingabe.

Fazit

Es ist in dieser Aufführung recht gut gelungen, ein Drama des 16. Jahrhunderts in unsere Zeit zu versetzen. Vor allem aber ist es gelungen, die technisch schwierigen Hauptrollen der Oper mit einer Primadonna und  drei hervorragenden Tenöre zu besetzen. Das Ergebnis ist ein Feuerwerk der Musik und des Könnens, das mit großem Beifall bedacht wurde.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent PONTET/WikiSpectacle

Das Bild zeigt: Cecilia Bartoli (Desdemona),  John Osborn (Otello) re., Edgardo Rocha (Rodrigo) li.

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