von Claude Debussy (1862-1918), Drame lyrique in fünf Akten, Libretto: Maurice Maeterlinck, UA: 30. April 1902 Paris, Opéra Comique, Salle Favart
Regie: Jakob Peters-Messer, Bühne: Markus Meyer, Kostüme: Sven Bindseil
Dirigent: Roland Kluttig, Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg, Chor des Landestheaters Coburg, Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio
Solisten: Joel Annmo (Pelléas), Verena Usemann (Mélisande), Rainer Scherer (Golaud), Michael Lion (Arkel), Gebriela Künzler (Geneviève), Luise Hecht (Yniold) u.a.
Besuchte Aufführung: 19. April 2014 (Premiere)
Prinz Golaud findet im Wald ein schönes, rätselhaftes Mädchen, ihre Vergangenheit bleibt unbekannt, aber er heiratet sie und führt sie heim. Sein Großvater Arkel, seine Mutter Geneviève und sein jüngerer Halbruder Pelléas nehmen die Fremde freundlich auf. Doch Mélisande fühlt Beklemmungen in der dunklen, alten Burg. Bei einem Spaziergang mit Pelléas, bei dem sie sich wohl fühlt, verliert Mélisande ihren Ehering. Das erzürnt Golaud, und er schickt die beiden in die Dunkelheit, den Ring zu suchen. Die Suche war aber vergeblich. Als Golaud Pelléas unter dem Fenster seiner Frau antrifft, steigert er sich in Eifersucht hinein, fordert ihn auf, sich von Mélisande fern zu halten. Pelléas entschließt sich, abzureisen, aber trifft nochmals Mélisande. Sie gestehen einander ihre Liebe. Golaud, der sie belauscht hat, tötet Pelléas, von Eifersucht geistig verwirrt und mißhandelt seine schwangere Frau. Das Kind wird geboren, aber die Mutter stirbt.
Vorbemerkung
Dieses Meisterwerk am Endpunkt der Romantik greift viele Themen Wagners auf und rechnet doch gnadenlos mit Wagner ab. Zugegeben, im ersten Moment ist ein Werk, das noch rätselhafter als Parsifal, eine größere Liebetragödie als Tristan und noch mystischer als der Ring (Waldweben!), ist ein harter (Hör) Brocken für das Publikum. Aber durch die direkte Art der Präsentation – nämlich nur die Handlung durch durchdachte Personenführung zu erzählen, werden alle inneren Triebe und Motivationen verständlich.
In dieser Oper gibt es keine Arien, keine Duette im traditionellen Sinn, dafür lange Monologe und Dialoge in einer Art Sprechgesang, die von der Mittellage ausgehen und nur selten melodiös werden.
Aufführung
Das Bühnenbild läßt sich weder zeitlich noch örtlich einordnen, besteht nur aus einem dunklen Labyrinth von Wänden, Fenstern und Treppen, die sich auf einer Drehbühne zu einem Wald, einem Schloß mit düsteren Kellern (mit Leichen darin) oder einer Grotte formen lassen. Selbst die dunkle Tapete mit Blumenrankenmustern, unterschiedlich angeleuchtet, bietet keinen Hinweis auf Zeit und Ort. Das gilt auch für die Kostüme, während sie für Pelléas und Mélisande hell und bunt (Blumenkinder?) gehalten sind, tragen alle anderen dunkle Kleidung (Arkel als Blinder zusätzlich eine Sonnenbrille), unterstützen so die schwarze, die mache dem Fin de Siècle als depressive Grundstimmung zuordnen.
Sänger und Orchester
Stimmlicher Höhepunkt des Abends ist dennoch Joel Annmo als Pelléas, seine nachdenkliche, fast geistig abgehobene tenorale Gesangslinie trägt er im besten Belcanto-Stil vor. Szenisch dominant hingegen Rainer Scheerer als Golaud, der immer tiefer in den Wahnsinn abgleitet, der mit seinem facettenreichen, volltönenden und in der Tiefe fundierten Baßbariton immer schwärzer und bösartiger wird. Verena Usemann ist für die Mélisande die ideale jugendlich-naive und glasklar-leicht stimmliche Darstellerin. Sie stellt Mélisande in ihrer zerbrechliche Lieblichkeit hervorragend dar. Michael Lion ist wie immer der in allen Belangen überzeugende Hausbaß. Er findet auch in der Rolle des blinden Arkel mit tiefer, sonorer und raumfüllend wohlklingender Stimme den passenden, verächtlichen Ausdruck. Gabriela Künzler ist als Geneviève mit ihrer harten Altstimme (mit Tendenz zum Mezzo) in ihrem Element, ihr Piano klingt vollständig transparent und tragend.
Roland Kluttig führt das Orchester mit sicherer Hand durch die mystischen Untiefen dieser verschlungenen Komposition. Er vermag es, die musikalischen Rätsel dem Hörer erklärbar zu machen – aber Vorsicht! Ein vollständiges Verstehen dieses Werkes würde zum völligen Wahnsinn des Zuhörers führen.
Fazit
Das Publikum läßt sich auf fast drei Stunden Depressionen ein, benötigt etwas Zeit, sich darauf einzustellen, bejubelt aber die Produktion am Ende einstimmig.
Oliver Hohlbach
Bild: Andrea Kremper
Das Bild zeigt: Joel Annmo (Pelléas) und Verena Usemann (Mélisande) im Licht