Erfurt, Theater – AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY

von Kurt Weill (1900-1950), Libretto: Bertolt Brecht (1898-1956), Oper in drei Akten, UA: 1930, Leipzig.
Regie: Philipp Himmelmann, Bühnenbild: Elisabeth Pedross
Dirigent: Ewald Donhoffer, Philharmonisches Orchester Erfurt, Opernchor des Theaters Erfurt
Solisten: Karan Armstrong (Leokadja Begbick), Björn Arvidsson (Fatty, der Prokurist), Juri Batukov (Dreieinigkeitsmoses), Marisca Mulder (Jenny Hill), Erik Fenton (Jim Mahoney), Jörg Rathmann (Jack O’Brien), Mate Solyom-Nagy (Bill, genannt Sparbüchsenbill), Dario Süß (Joe, genannt Alaskawolfjoe), Mark Mönchgesang (Tobby Higgins), Angela Goßmann (Pianistin).
Besuchte Aufführung: 21. Februar 2009 (Premiere)

Kurzinhalt
erfurt-mahagonny.jpgDie Witwe Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses sind in der Wüste auf der Flucht vor den Konstablern liegen geblieben und gründen dort die Stadt Mahagonny, in der alle Bedürfnisse befriedigt werden. Seit Jenny mit sechs leichten Mädchen dazugekommen ist, strömen zuerst die Goldsucher, dann auch vier Holzfäller aus Alaska herbei: Jim, Jack, Bill und Joe. Jim kauft sich Jenny, aber die Preise fallen, die Menschen wollen Mahagonny verlassen. Da nähert sich ein Hurrikan, verschont aber im letzten Moment die Stadt. Jim formuliert das neue Gesetz: Du darfst Alles! Einziges Verbot: Kein Geld zu haben!
Fressen, Lieben, Prügeln und Suff beherrschen nun die Stadt: Jack frißt sich zu Tode, Dreieinigkeitsmoses prügelt Joe im Boxring zu Tode. Jim verliert bei der Boxwette all sein Geld und kann das folgende Saufgelage nicht bezahlen. Es wird Gericht behalten: Während der Mörder Higgins nach einer Zahlung freigesprochen wird, wird Jim zum Tode verurteilt, da das schlimmste Verbrechen in Mahagonny ist, kein Geld zu haben! Das zügellose Leben steigert sich, es kommt zu einer Demonstration gegen steigende Preise. Der Fall von Mahagonny ist nicht aufzuhalten.
Aufführung
Poppig eindrucksvoll ist das Anfangsbild als Eiswüste mit einem funkelnden Schneefall, dem das Publikum Szenenapplaus zollte. Die herausragende Schöpfung der Inszenierung durch Philipp Himmelmann ist jedoch ein verschiebbares Bühnenportal. Es läßt sich nach vorne und hinten verfahren: aufwendige Dekorationen tauchen auf und verschwinden wieder. Die Bühne hat zwei Ebenen: Unten ein Portal mit Vorhang, oben eine Empore, die sich aufklappen läßt und so eine zweite Spielfläche bietet. Die Handlung wird in die heutige Zeit verlagert, die Dekadenz der goldenen Zwanziger wird damit mit der der heutigen Zeit gespiegelt: Das wird deutlich als sich die vier Holzfäller aus den Reihen des Publikums erheben. Das süße Nichtstun genießt man am Ballermann mit dem Strohhalm im Rotweinmischgetränk und trägt dazu Trainingsanzug mit Badeschlappen: Die Kleidung der heutigen Touristen! Und heutzutage frißt man sich mit Fast-Food zu Tode! Der finale Höhepunkt ist die Gerichtsverhandlung, wenn dem Publikum die Frage gestellt wird, wieviel Gerechtigkeit man sich selber leisten kann.
Sänger und Orchester
Dem Dirigenten Ewald Donhoffer gelingt der mehr als beeindruckende Nachweis, daß diese Oper mehr ist als nur eine Jazz-Oper. Vielmehr sieht er sie als eine große Oper aus den 20er Jahren, die ihre Jazz-Elemente als gesellschaftskritische Gegenpole einsetzt. Traumhaft sicher führt er dabei das Orchester durch Weills schwierigen Klangwelten. Das verwundert nicht, gilt doch Ewald Donhoffer seit seinem Einspringen für Fabio Luisi am Pult der Wiener Symphoniker 2007 als eine der hoffnungsvollsten Nachwuchskräfte.
Ihm zur Seite steht auch ein gewachsenes Ensemble: an der Spitze die altbekannte Diva Karan Armstrong mit etwas zu viel amerikanischem Akzent und Erik Fenton als Jim mit viel Kraft in der Stimme. Marisca Mulder legt ihre Rolle der Jenny komplett anders als Lotte Lenya an. Sie singt die Rolle mit allen Verzierungen voll aus und trotzdem hat sie die laszive Ausstrahlung, die für diese Rolle nötig ist. Jörg Rathmann meistert Jacks schwierige Freßorgie glanzvoll. Er beweist, daß hier mehr als Singen mit vollem Mund gefragt ist – oder daß beides zugleich schwierig, aber lösbar ist.
Allerdings mußte man feststellen, daß eine elektronische Verstärkung verwendet wurde. Karan Armstrong wurde immer verstärkt, sowie die Sänger, die auf der akustisch ungünstigen Empore des Portals auftraten.
Sollte das auch den Jazz mit seinen Mikrofonen nachmachen?
Fazit
Minutenlange Ovationen für eine szenische Deutung, die dem Publikum als Real-Satire sehr nahe gegangen ist – dem Regieteam und den Darstellern wurde euphorisch gedankt – besonders der Diva Armstrong für Ihren Besuch in Erfurt. Musikalisch eine der überzeugendsten Produktionen der Spielzeit, der Dirigent wurde zu Recht gefeiert. Von der elektronischen Unterstützung abgesehen, kann man sich nur mehr solche überzeugenden Abende wünschen.
Oliver Hohlbach

Bild: L. Edelhoff
Bildlegende: Dekadenz mit Trainingsanzug

Veröffentlicht unter Erfurt, Theater, Opern