SIMON BOCCANEGRA – Dresden, Semperoper

von Giuseppe Verdi (1813-1901), Melodramma in einem Prolog und drei Akten. Libretto: Francesco Maria Piave, überarbeitet von Arrigo Boito, UA: 12. März 1857 Venedig, Teatro La Fenice

Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Karin Jud, Licht: Bernd Purkrabek

Dirigent Christian Thielemann, Sächsische Staatskapelle

Solisten: Zeljko Lucic (Simon Boccanegra), Kwangchul Youn (Jacopo Fiesco), Markus Marquardt (Paolo Albiani), Andreas Bauer (Pietro), Maria Agresta (Amelia Grimaldi), Ramón Vargas (Gabriele Adorno), Christopher Kaplan (Hauptmann), Christel Loetzsch (Dienerin)

Besuchte Aufführung: 30. Mai 2014 (Premiere)

Dresden BoccanegraKurzinhalt

Genua, Mitte des 14. Jahrhunderts. Der ruhmreiche Korsar Simon Boccanegra wird für das Amt des ersten Dogen von Genua vorgeschlagen; er willigt ein, um die reiche Patriziertochter Maria Fiesco heiraten zu können, die wegen des gemeinsamen unehelichen Kindes im Palast des Vaters gefangen gehalten wird. Der alte Fiesco fordert das Kind. Boccanegra gesteht, daß die Tochter, die er damals entführte, nach dem Tod ihrer alten Amme verschwunden ist. Während er zum Dogen gewählt wird, stirbt Maria Fiesco. Ein Vierteljahrhundert später gilt Boccanegra als charismatischer Führer Genuas, der für Frieden und ein geeintes Italien kämpft. Als er für seinen Höfling Paolo um die schöne Amelia Grimaldi anhält, entpuppt sich diese als seine verlorene Tochter. Amelia liebt einen seiner Hauptwidersacher, den Adligen Gabriele Adorno. Der abgewiesene Paolo läßt Amelia entführen, wird als Täter überführt und hingerichtet. Zuvor gelingt es ihm noch, ein tödliches Gift in den Becher des Dogen zu träufeln.

Aufführung

Bühne und Kostüme setzen sich aus drei Epochen zusammen, der italienischen Renaissance, der Zeit Verdis und der heutigen. Das Interieur entspricht den ästhetischen Standards eines modernen Bühnenbildes: ineinander verschachtelte Häuser, graue Betonbunker, im Innern hölzern. Zusammen sind sie Schauplatz der familiären und politischen Verwicklungen. Herrschaftsarchitektur schrumpft auf Zimmerformat. Das Große spiegelt sich im Kleinen. Die blutverschmierten Wände des Ratszimmers umrahmen nicht nur den machtvollen Auftritt des Dogen vor der Versammlung, sondern auch das intime Beisammensein von Vater und Tochter. Die Drehbühne rotiert mit zunehmender Dramatik, Standbilder und Zeitlupen setzten Akzente in den Monumentalszenen.

Sänger und Orchester

Unter Christian Thielemann gelingt der Sächsischen Staatskapelle eine lebhafte, sinnlich-beziehungsreiche Umsetzung der Verdi-Partitur, die in ihrer sinfonischen Gestaltung und orchestralen Kommentierung der Handlung über die klassische Nummern-Oper weit hinausgeht. Auf ein sehr sanftes kurzes Vorspiel zum Prolog, folgt die Hinleitung zur Arie Amelias. Plastisch und transparent gestalten die Triller der Violinen und Synkopen von Oboe und Klarinette die Gartenszene. Suggestiv beschwört das Vibrieren des Orchesters die Erinnerungen Boccanegras an das Meer herauf; ein ständiges Pendeln zwischen der Melodie der Holzbläser und den Violoncelli. Die Streicher schlängeln sich in Höhen zu unʾatra vampa sento serpeggiar per le vene! – ein schwarzes Feuer kriecht durch meine Adern! Und es sind allein die chromatisch absteigenden, dunkel eingefärbten Klänge der Baßklarinette, die Paolo als Verräter entlarven. In einem hochkarätigen Sängerensemble ist Zeljko Lucic in der Titelrolle an szenischer stimmlicher Präsenz nicht zu überbieten. Ein überaus virtuoser Bariton, der seine pianoreiche Partie sensibel und, wenn nötig, stimmgewaltig zur Entfaltung bringt. Er harmoniert im Duett mit Maria Agresta (Amelia), die mit sinnlich-klangschönem und wendigem Sopran singt, in den Höhen noch ausbaufähig ist. Die Erkennungsszene von Boccanegra und seiner Tochter Favella il Doge…? – Spricht der Doge mit Amalia Grimaldi…? (1. Akt) ist nur einer von vielen gesanglichen Glanzpunkten. Als strahlender Verdi-Tenor verkörpert Ramón Vargas den adligen Liebhaber Gabriele Adorno. Mit großer Durchsetzungskraft hebt er sich selbst über monumentale Chorszenen hinweg. Mit samtenem Timbre und würdevoller Zurückhaltung singt Kwangchul Youn (Fiesco) seine Auftrittsarie Il lacerato spirit – müde den Geist von Gram verzehrt  (Prolog) und vermag sich in der zweiten Spielhälfte noch zu steigern. Markus Marquardt als Paolo Albioni verkörpert die Rolle des düsteren Intriganten eindrücklich und stimmlich souverän. Eine ungeheure Dramatik entfaltet das Solistenensemble gemeinsam mit dem Chor in Sia male detto!! – Er sei verflucht! (Ende 2. Akt)

Fazit

Regisseur Jan-Philipp Gloger setzt viele eigene Akzente, bringt damit aber nicht unbedingt Licht ins Dunkel dieser komplexen Oper. Die Inszenierung reduziert die vielschichtigen politischen Handlungsstränge – den Dauerkonflikt der Stadtstaaten Venedig und Genua, den Konflikt um Feudal- oder Volksherrschaft sowie zwischen Papst und Kaiser – auf zwei Parteien, die Plebejer und Patrizier. In musikalischer Hinsicht ist dieser Simon Boccanegra ein Muß, angefangen bei der Staatskapelle und dem Chor, bis hin zu einem herausragenden Solistenensemble. Die Premiere wurde mit Beifallsstürmen bedacht.

Norma Strunden

Bild: Matthias Creutziger

Das Bild zeigt: Kwangschul Youn (Jacopo Fiesco), Zeljko Lucic (Simon Boccanegra), sächsicher Staatsopernchor Dresden

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