Musikalische Leitung und Regie: Gustav Kuhn, Orchester der Tiroler Festspiele Erl, Accademia di Montegral, Choreinstudierung: Marco Medved
Der 24-Stunden Ring des Nibelungen
für drei Abende und einen Vorabend, Libretto: R. Wagner, überarbeitete Wiederaufnahme
Das Rheingold
von Richard Wagner (1813-1883), Vorabend zum Bühnenfestspiel in vier Szenen, Libretto: Richard Wagner, UA: 1869, München.
Solisten: Michael Kupfer (Wotan), Hermine Haselböck (Fricka), Joo-Anne Bitter (Freia), Frederik Baldus (Donner), Ferdinand von Bothmer (Froh), Johannes Chum (Loge), Thomas Gazheli (Alberich), Giorigio Valenta (Mime), Franz Hawlata (Fasolt), Andrea Silvestrelli (Fafner), Elena Suvorova (Erda), Yukiko Aragaki (Woglinde), Michiko Watanabe (Wellgunde), Misaki Ono (Floßhilde)
Besuchte Aufführung: 1. August 2014
Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels, UA: 1870, München.
Solisten: Andrew Sritheran (Siegmund), Raphael Sigling (Hunding), Vladimir Baykov (Wotan), Marianna Szivkova (Sieglinde), Bettine Kampp (Brünnhilde), Hermine Haselböck (Fricka), u.a.
Besuchte Aufführung: 2. August 2014
Siegfried
Zweiter Tag des Bühnenfestspiels, UA: 1876, Bayreuth.
Solisten: Michael Baba (Siegfried), Wolfram Wittekind (Mime), Thomas Gazheli(Wanderer), Oskar Hillebrandt (Alberich), Andrea Silvestrelli (Fafner), Elena Suvorova (Erda), Nancy Weißbach (Brünnhilde), Bianca Tognocchi (Stimme eines Waldvogels).
Besuchte Aufführung: 2. August 2014
Götterdämmerung
Dritter Tag des Bühnenfestspiels, UA 1876, Bayreuth.
Solisten: Gianluca Zampieri (Siegfried), Michael Kupfer (Gunther), Andrea Silvestrelli (Hagen), Mona Somm (Brünnhilde), Thomas Gazheli (Alberich), Susanne Geb (Gutrune), Anne Schuldt (Waltraute) u.a.
Besuchte Aufführung: 3. August 2014
Herzog Blaubarts Burg
von Bela Bartok (1881-1945), Oper in einem Akt, in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln, UA: 1918, Budapest
Solisten: Andrea Silvestrelli (Kekszakallu), Marianna Szivkova (Judith).
Premiere: 11. Juli 2014
Carmina Burana
von Carl Orff (1895-1982), szenische Kantate in mittellateinischer und mittelhochdeutscher Sprache, UA: 1937, Frankfurt
Solisten: Anna Princeva (Sopran), Markus Herzog (Tenor), Michael Kupfer (Bariton), Tölzer Knabenchor (Leitung Ralf Ludewig).
Besuchte Aufführung: 11. Juli 2014
Vorbemerkung
Die Tiroler Festspiele Erl wurden 1997 gegründet, die erste Oper war 1998 Rheingold. Gustav Kuhn ist seitdem der Intendant der Tiroler Festspiele Erl, er prägt die Festspiele maßgeblich als Regisseur und Dirigent für Orchester und die Chorakademie. In diesem Jahr ist – neben Herzog Blaubarts Burg – Wagners Ring des Nibelungen der Schwerpunkt. Der zweite Zyklus wird zu Ehren des Präsidenten der Tiroler Festspiele, Hans Peter Haselsteiner, innerhalb von 48 Stunden gespielt. Unter seiner Ägide wurde neben dem bisher genutzten Passionsspielhaus, das alle sechs Jahre für die Passionsspiele benötigt wird, noch ein Winterfestspielhaus errichtet, sowie ein kostenlos nutzbares Parkhaus mit zusätzlichen Funktionsräumen. Die Festspiel-Häuser stehen abseits auf der grünen Wiese, wie eine Trutzburgen an den Hang geklebt. Die Pausengastronomie und die Gastronomie in Erl, der „Gasthof zum Dresch“ und die „Blaue Quelle“ ist einfach, aber Michelin-prämiert. Ein mondänes Publikum wie in Salzburg oder Bayreuth findet man hier nicht: „Hier gilt es der Kunst!“
Aufführung, Sänger und Orchester
Das Passionsspielhaus verfügt über keinen Orchestergraben, deshalb sitzt das Orchester und der Chor gestaffelt auf mehreren Podien im Hintergrund der Bühne, während der schmale Streifen zwischen Orchester und Zuschauerraum für eine „halbszenische“ Darstellung verwendet wird. So finden sich auf der relativ breiten Bühne nur wenige Bühnenbildteile. Es wird mit überlegter Gestik und Personenführung gearbeitet. Beim Ring geht es für Gustav Kuhn um zwei Familien, die Götter und die Nibelungen im Kampf um die Macht. Beide sind wenig zimperlich, keine ist besser als die andere, dazwischen werden die Menschen aufgerieben.
Die Kostüme verlegen die Handlung in die heutige Zeit, lassen Analogien zur heutigen politischen Situation und Gesellschaft erkennen. Schwerter, Schilder und Speere gibt es nur als Machtsymbol, so hängt Wotans Speer am seidenen Damokles-Faden über der Bühne. Darunter hinweg fahren die Rheintöchter auf Holzgestellen, die Rheinfelsen symbolisieren. Die Walküren radeln über die Bühne, Brünnhilde bettet sich in einem sparsamen Feuerzauber (Kinder mit Fackeln kommen auf die Bühne) auf einem runden Ehebett zur Ruhe. Mimes Schmiede hat immerhin einem Amboß, der Drache wirkt wie ein Origami aus rotem Papier. Die Nornen spinnen ein Seil zwischen Holzbalken, bevor es zerreißt. Nach dem Weltenbrand greifen die Kinder diesen Faden wieder auf, beginnen den Faden wieder zu knüpfen. Eine neue Hoffnung?
Bemerkenswert an der Sängerbesetzung ist, daß viele Rollen mehrfach besetzt sind, so gibt es drei Brünnhilden, drei Wotan/Wanderer und zwei Siegfriede. Und es gelingt für jede Vorstellung eine ausgewogene Besetzung zu finden. So beweist Michael Kupfer als Rheingold-Wotan, daß er ein durchschlagsstarker, aber immer noch lyrischer Bariton ist, der mit samtener Stimme ohne Anstrengung die Höhen und Tiefen der Rolle meistert. Parallel kann er als Gunther auch eine devote Rolle überzeugend gestalten und bleibt doch immer absolut wortverständlich. Vladimir Baykov singt den Walküren-Wotan voller Saft und Kraft, hat vor allem in der Tiefe scheinbar unendliche Kraftreserven, wurde im Baden-Badener-Ring hoch gelobt. Der schwächste im Bunde, Thomas Gazheli als Wanderer und Alberich (der Siegfried-Alberich ist der alt-gediente Oskar Hillebrandt, kämpft sich mit einem sehr harten Heldenbariton durch den Abend, kann dabei mit vielen unterschiedlichen Schattierungen der Stimme und Textverständlichkeit für sich einnehmen.
Als Siegfried-Brünnhilde ist Nancy Weißbach ein Sopran mit viel Klangvolumen. Ihren kurzen Auftritt kann sie mitreißend dramatisch gestalten und setzt am Schluß einen hohen Ton mit Ausrufezeichen – da kann Michael Baba als Siegfried nicht mehr mithalten. Die Schmiedelieder singt er noch voll aus – hält sich aber danach mehr und mehr zurück. Die Stärken der Mona Somm als Götterdämmerungs-Brünnhilde liegen eindeutig in den lyrischen Erzählphasen, so gestaltet sie auch Starke Scheite mit schönem tiefem und erotischem Timbre – auch wenn ihr an anderer Stelle die Durchschlagskraft abgeht. Bettine Kampp ist – passend für die jugendliche Walküren-Brünnhilde – ein lyrischer Sopran mit kindlich leuchtender Stimme, jedoch wird die Stimme in der Höhe zu eng geführt. Andrew Sritheran wird in den Olymp der Wagner-Tenöre aufsteigen: Von einem baritonal-samtigen Fundament aus kann er in den Höhen mit scheinbarer Leichtigkeit glänzen. Die Wälse-Rufe hält er lange bei voller Kraft, die Winterstürme und Siegmunds Liebesschwur an Sieglinde kann er im sotto voce hauchen. Marianna Szivkova ist eine nachdenkliche zurückhaltende Sieglinde, kann jedoch im passenden Moment explodieren. Die lyrischen Momente kann sie auch in der seelenverwandten Rolle der Judith in Herzogs Blaubart Burg ausleben.
Markus Herzog singt den Tenor in der Carmina Burana mit hoher Strahlkraft bis in die höchsten Spitzentöne. Johannes Chum ist ein jugendlich leichter Spieltenor, der einen bösartigen Loge mehr als nur spielt. Andrea Silvestrelli als Hagen und Fafner muß man als vokalen Ausfall einschätzen. Das Klangvolumen erinnert nur noch an vergangene Tage, er orgelt sich durch. Ebenso ein Schatten seiner selbst ist Franz Hawlata als Fasolt mit Sprechgesang. Kleine Rollen wie Waldvogel sind passend besetzt, Walküren, Nornen und Rheintöchter harmonieren stimmlich.
Musikalisch spielte Gustav Kuhn mit seinem Orchester und der Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl wieder die erste Geige. Die Klangfarben des Orchesters sind beeindruckend vielfältig, die Abstimmung zwischen Orchester, Solisten und Chor ist harmonisch und musikalisch exakt. So steht Kuhn für einen unvergleichlichen Wagner-Klang, der mittlerweile fest mit Erl assoziiert wird. Aber auch neuere Werke sind in guten Händen: Herzog Blaubarts Burg geht als spätromantisches Werk durch, in der Carmina Burana kann er wahre Leidenschaftsstürme entfesseln.
Fazit
Erl steht für Askese, für schlichte und glamourfreie Vorstellungen, für eine Pilgerfahrt zur Rückbesinnung auf die reine Musik, auf das Gesamtkunstwerk Wagners – schließlich spielt man in einem schmucklosen Passionsspielhaus. Die Inszenierungen bleiben einfach, das Bühnenbild schlicht, die Inszenierungen bezahlbar, den Sängerzirkus mit großen Namen wird man in Erl nicht erleben. Trotzdem kann man in Erl mit Sängern aus der zweiten Reihe (viele mit dem Potential für die erste Reihe, aber eben auch manchmal etwas problematische, kleinere Stimmen) ein einheitliches Niveau erreichen, ohne die Stimmfetischisten zu verprellen. Da sieht das fachkundige Publikum auch einmal über einen indisponierten Siegfried hinweg – in der Wagnerwelt sonst undenkbar. Und spendet am Ende einheitlichen, teils heftigen Jubel, im Zentrum Gustav Kuhn, Orchester und seine Interpretationen.
2015 steht wieder der Ring im Mittelpunkt. Schon jetzt nur noch wenige Restkarten vorhanden, viele Wagner-Verbände haben bereits gebucht und freuen sich auf ein unbeschwertes Treffen mit der großen Wagner-Familie. So wie es früher in Bayreuth war!?
Oliver Hohlbach
Bild: Tom Benz
Das bild zeigt: Der Untergang der Welt und die spielenden-spinnenden Kinder (Götterdämmerung)