Wer meint, nur weil es 2014 keine Neuinszenierung in Bayreuth gibt, würde Stillstand herrschen, dem ist zu widersprechen. Stillstand herrscht vielleicht bei den Inszenierungen auf dem Grünen Hügel, und nur bei den Ankündigungen zukünftiger Besetzungen oder bei überraschenden Umbesetzungen oder Entlassungen kann man am Hügel noch Aufmerksamkeit erregen. Da ist in der örtlichen Zeitung zu lesen, daß sich die Zusammensetzung des Publikums geändert habe, Karten kurzfristig teilweise für den halben Preis verfügbar seien, Lokale nach den Vorstellungen leer bleiben.
Ist das nicht die Gelegenheit nachzudenken, sich zu überlegen, wohin sich Bayreuth und seine Festspiele entwickeln können? Zukunftsängste gäbe es zuhauf, die Renovierung des Hauses steht an, eine neue Probebühne wird gar nicht mehr erwähnt, dafür wird die Renovierung der Villa Wahnfried, wo Wagners Wähnen Frieden fand, länger dauern und die Betriebskosten bleiben ungeklärt. Wir werden sehen, wo in zwei Jahren nach Katharinas Wagner Tristan, nach Jonathan Meeses Parsifal bei der massiven Konkurrenz aus Erl, Wels, Salzburg und demnächst Bregenz, Bayreuth bleibt. Wagnerianer verabreden sich schon fest fürs nächste Jahr in Erl, wo man sich doch früher auf jeden Fall in Bayreuth traf.
Und die Bayreuther Festspiele widerlegen sich auch ein bißchen selbst mit der Kinderoper für das ganz junge Publikum. Denn dieser Lohengrin ist wirklich entlang der originalen Handlung des Lohengrin inszeniert, bleibt nicht nur für Kinder verständlich, unterhaltsam peppig inszeniert, mit einem Lohengrin, der den Schwan auf dem Fahrrad fährt, und einem Kinderchor, der beinahe auch die schwierigen Passagen meistert. Selbstverständlich fehlen viel Musik und viele Teile der Handlung, aber dank einer festspielwürdigen Besetzung (Jukka Rasilainen als etwas ungelenker aber stimmgewaltiger Telramund) kommen die bunten Ratten im Festspielhaus-Lohengrin ins Schwitzen: Wie sollen Kinder, die mit werkgetreuen Inszenierungen der Kinderoper an das Festspielhaus herangeführt werden, mit den komplex-absurden Gedankensprüngen des überbordenden Regietheaters fertig werden?
Vielleicht sehen es auch viele Stammgäste kritisch, daß mehrere Spielzeiten kein Parsifal auf dem Spielplan steht – das einzigartige Werk, das explizit für das Haus geschaffen wurde. Da ist man äußerst dankbar, daß Operleben (www.operleben.de), eine kleine Theatertruppe aus Nachwuchskünstlern, Wagners Parsifal in einer gekürzten Kammerfassung mit Klavier für vier Sängern und einem Sprecher in einem stillgelegten Fabrikraum der Porzellanmanufaktur Walküre (gleich unterhalb des Festspielhügels) aufführt – unter großer Begeisterung des kleinen Publikums. Die Leitung liegt bei Felix Bruder, der als Amfortas im weißen Büßergewand und als Klingsor mit dem Gralsspeer sein Zauberwerk treibt. Sein Bariton hat eine ungewohnt helle Klangfarbe, ist jedoch stets absolut tiefensicher und verleiht mit vielen Charakterfarben und Lautstärkeabstufungen seinen wechselnden Charakteren einen unverwechselbaren Ausdruck. Daniel Pannermayer ist auch stimmlich ein sehr agiler, junger Gurnemanz. Sein genau akzentuierender leichter Baßbariton hat Zukunftschancen. Diese hat auch Abigail Dyers als Kundry. Ihr Sopran ist durchschlagsstark und höhensicher, auch wenn sie manchmal zum Tremolieren neigt. Markus Ahme ist leider indisponiert, aber er ist ohne Zweifel ein angehender Heldentenor im Wagner-Fach. Auch stellte er schon an den Abenden zuvor seinen Legato-Gesang unter Beweis. So werden Passagen wie Du wuschest mir die Füße zu echten Zwiegesprächen. Möglich wird alles durch Marcus Merkel, der eine etwa zweieinhalbstündige Fassung des Parsifal schuf und diese am Flügel mit viel Verve begleite. Diese sehr geschickt gekürzte Fassung bringt die großen Gurnemanz-Monologe in einem kurzen Monolog unter: Der Sprecher der Vorgeschichte ist Valentin Olbrich. Was dem lautstark applaudierenden Publikum in der spartanischen Inszenierung sehr gefällt.
Als ebenso wichtig und auch in der Gunst des Festspielpublikums ganz ganz oben stellen sich die Beiträge der Studiobühne Bayreuth heraus. Unter der Ägide des Wagner-Experten Uwe Hoppe (der es längst verdient hätte, einmal bei den Festspielen zu inszenieren!) kommen im Hof der Klaviermanufaktur Steingräber Werke um das Werk Wagners zur Aufführung – mit vielen durchdachten und durchaus kritischen Anmerkungen. Dazu gibt es Leubald, ein unvertontes Frühwerk Richard Wagners. Hans Martin Gräbner spielt parallel zur Handlung am Flügel die Motive aus späteren Werken Wagners ein – und macht so die Bedeutung des Frühwerks als Steinbruch für das spätere Werk Wagners deutlich: Bestimmte Motive wiederholen sich ja im Werk Wagners.
Der zweite musikalische Beitrag ist Till Eulenspiegel oder Gottes Bastard, eine Art mittelalterliches Mysterienspiel, das untermalt mit mittelalterlichen Klängen (komponiert von Klaus Straube), eingespielt von einem dreiköpfigen Orchester mit deftigem Humor und Sprache, Eulenspiegels Taten Revue passieren läßt. Zur Begeisterung des Publikums, das auch bei Regen den Weg ins Felsentheater in Sanspareil findet.
Ebenso zugenommen hat die Nachfrage nach Einführungsvorträgen, so mußte Sven Friedrich vom Chorsaal in das Festspielhaus umziehen. Sein einziger Konkurrent ist Hans Martin Gräbner in der Walhall-Lounge, einem neuen Restaurant oberhalb des Festspielhauses, nachdem Stefan Mickisch, der bisherige unbestrittene Platzhirsch, dieses Jahr nicht antreten konnte. Jeder der beiden Einführungsvorträge ist uneingeschränkt empfehlenswert: Friedrich sagt wie es ist, Gräbner sagt wie es sein sollte, was die Problematik in Bayreuth auf den Punkt bringt.
Oliver Hohlbach
Bild: Wikipedia
Das Bild zeigt: Wagner-Festspielhaus-Bayreuth