IL BARBIERE DI SIVIGLIA – Paris, Opéra de Bastille

von  Gioacchino Rossini (1792-1868) Opera buffa in 2 Akten, Libretto: Cesare Sterbini nach der gleichnamigen Komödie von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, UA: 20. Februar 1816 Rome, Teatro Argentina

Regie: Damiano Michieletto, Bühne: Paolo Fantin, Kostüme: Silvia Aymonino, Licht: Fabio Barettin

Dirigent: Carlo Montanaro, Orchestre et Choeur de l’Opéra national , Choreinstudierung: José Luis Basso

Solisten: René Barbera (Graf Almaviva), Karine Deshayes (Rosina), Dalibor Jenis (Figaro), Carlo Lepore (Bartolo), Orlin Anastassov (Basilio), Tiago Matos (Fiorello), Cornelia Oncioiu (Berta), Lucio Prete (ein Offizier)

Besuchte Aufführung: 19. September 2014 (Premiere)

du vendredi 18 septembre 2014 au lundi 3 novembre 2014Kurzinhalt: s. Aufführung beim Rossini Festival in Pesaro

Aufführung
Zunächst geht ein Gendarm mit Sonnenbrille am geschlossenen Vorhang vorbei. Er hält ein Hinweisschild mit einem durchgestrichenen Handy hoch. Im Orchestergraben spielt der Pianist eine „Handy-Melodie“. Sofort schreibt der Gesetzeshüter einen Strafzettel, den er in den Graben wirft. Später wird derselbe Polizist Graf Almaviva an die Windschutzscheibe von dessen Ford Escort ein Protokoll heften.
Zu Anfang zeigt die Bühne eine Häuserfront, an jeder Häuserzeile befindet sich ein Balkon. Während der Aufführung wird das mittlere Haus immer wieder gedreht, wodurch die Zimmer des zweistöckigen Hauses sichtbar werden: im Erdgeschoß z.B. Bartolos Arbeitszimmer, darüber ein Salon mit Zugang zum Balkon, auf dem sich Rosina beim Ständchen von Graf Almaviva zeigt, darüber das Zimmer der „Bediensteten“ Berta, die stets mit Lockenwicklern und Zigarette auftritt. Zu den Stockwerken gelangt man über Treppen oder Wendeltreppen, die dauernd im Handlungsverlauf benutzt werden; wie überhaupt die Zimmer in kaum nachvollziehbarer Logik gewechselt werden. Vor der Häuserfront zeigt sich das bunte Leben im sommerlichen Sevilla. Auf der linken Seite wird die Bar Barrakuda in die Handlung einbezogen.
Figaro sehen wir in salopper Kleidung mit modischem langen Schal, Graf Almaviva erscheint zunächst ebenfalls in lockerer heutiger Kleidung, später – je nach der Szene – auch im Anzug. In unterschiedlicher zwangloser Kleidung tritt Rosina auf.

Eine Anmerkung
Die in der ersten Szene auftretenden Musiker imitieren nur mit Blasinstrumenten das Ständchen für Rosina. Darunter fällt besonders eine riesige Tuba auf. Doch aus dem Graben ertönen zumeist Streicherklänge, untermischt mit Holzbläsereinwürfen. Das ist dann doch absonderlich, ja Krampf und ein grotesker Widerspruch im Hören und Sehen.

Sänger und Orchester
Etwas schwerfällig beginnt Carlo Montanaro mit dem Orchester die Ouvertüre, wobei aber die ausgezeichneten Solisten (Oboe und Klarinette) auffallen. Doch die Leichtigkeit, die Italianità, die diese vitale Ouvertüre benötigt, wird nicht erreicht. Später wird die Begleitung dann besser, obwohl nicht selten die Sänger übertönt werden.
Tiago Matos (Fiorello) hat eine schöne Baritonstimme, sie ist gut fokussiert und die Artikulation stimmt.

Schon in seiner Auftrittsarie: Ecco ridente in cielo – sieh lächelnd am Himmel neigt René Barbera (Graf Almaviva) zum Verschleifen der Fiorituren (Verzierungen). Hinzu kommt ein unruhig-rhythmischer Fluß. Seine Tenorstimme ist zwar offen, wird aber in vielem zu wenig kontrolliert. Nur in den Ensembles sind die genannten Dinge ausgeglichener. Dalibor Jenis (Figaro) tut sich öfter schwer mit einer sauberen Intonation (zu tiefer Ansatz) und der häufige Gebrauch der voce soffocata (erstickte Stimme) sollte bei der Rolle des Figaro nicht verwandt werden, da dieser kein hinterhältiger Bösewicht ist.

Mit Karine Deshayes‘ Auftritt als Rosina erstrahlt die Bühne. Bei ihrer Kanzone: una voce poco fa – eine Stimme hört ich eben kommen die Rossinischen „Essenzen“ wie Rouladen, Triolen, Vokalisen etc. oder punktierten schnellen Noten absolut perfekt. Ihre Tongebung, ihr rhythmischer Schwung, sogar ihre improvisierten Verzierungen, die passend sind, öffnen wohl das Herz jedes Melomanen! Ungemein strahlend ist ihr lyrischer Sopran in der Höhe und bei den Spitzentönen, die nie scharf kommen, schießt sie im Wortsinn „den Vogel ab“, besonders bei Contro un cor che accende amore di verace – gegen ein in unlöschbarem Feuer entbranntes liebendes Herz. Allerdings sind die tiefen Töne zu Beginn der gleichen Arie: a°, cis‘ und d‘ wenig hörbar. Doch ihr Glücksempfinden und überschwengliche Freude über ihre Liebe zu Lindoro/Almaviva kann kaum eindrücklicher hörbar gemacht werden.

Eindringlich trägt Orlin Anastassov (Basilio) La colunnia è un venticello – die Verleumdung ist ein Lüftchen vor. (Diese Arie sollte eigentlich jeder Zeitungsleser heutzutage stets vor Augen haben.) Carlo Lepore (Bartolo) singt vital, doch leider etwas kehlig un dottor della mia sorte – um einen Doktor meines Rangs.

Umwerfend angelegt rauscht das Finale des ersten Akts vorbei. Wenn alle singen: Mi par d’essere con la testa – mir scheint der Kopf in einer furchtbaren Schmiede … und der arme Kopf, schon benommen, ja betäubt, ohne Verstand, verwirrt sich, ja, ist dem  Wahnsinn nahe. Regisseur Damiano Michieletto setzt das wortwörtlich um: alle verfolgen einander treppab, treppauf durch die Zimmer, durch die Flure. Die immer schneller wirbelnde Musik „verwirrt“, die rotierenden und quirlenden Menschen, sie verdrehen den Blick des Zuschauers, ein kaum beschreibbares Vergnügen. Was war im Vordergrund: die Musik oder die Szene? Rossini wird’s lächelnd betrachten! Pause: Alle sehen sich mit lachender Mine an.

Fazit
Riesiger Applaus für das Regieteam, etwas, was es beileibe nicht oft gibt.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Bernard Coutant/Opéra national de Paris

Das Bild zeigt: René Barbera (Graf Almaviva), am Motorrad, re. vor dem Motorrad: Karine Deshayes (Rosina), Dalibor Jenis (Figaro)

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