von Jean-Baptiste Lully (1632-1687), Tragédie en Musique in einem Prolog und fünf Akten, Libretto: Philippe Quinault, Gedicht-Text nach Ovid, UA: Saint Germain-en-Laye, 10. Januar 1676
Regie: Lucinda Childs, Bühne/Kostüme: Paris Mexis, Licht: George Tellos, Dramaturgie: Ulrich Frey, Daniela Roth, Choreographie: Lucinda Childs, Instrumentation: Rubén Dubrovsky
Dirigent: Rubén Dubrovsky, Philharmonisches Orchester und Opernchor des Theater Kiel, Ballett Kiel
Solisten: Christoph Woo (Der Gott der Zeit/Idas/Sangar), Karola Sophia Schmid (Göttin Flore/Melisse), Fiorella Hincapié (Melpomene/Doris), Ulrich Cordes (Zephyr/Gott des Schlafes), Rahel Brede (Göttin Iris), Juan Sancho (Atys), (Fernando), Heike Wittlieb (Sangaride), Rosanne van Sandwijk (Göttin Cybele), Tomohiro Takada (Célénus/Phobétor), Benedikt Kristjánsson (Morphée), Alexey Egorov (Phantase), Marek Wojciechowski (ein Alptraum), Shori Yamamoto (Alecton)
Besuchte Aufführung: 4. Okotber 2014 (Premiere)
Kurzinhalt
DerKnabe Atys hat der Liebe entsagt, um als Auserwählter ganz der Göttin Cybele zu dienen. Diese liebt ihn heimlich, jedoch hat sich auch Atys in die Sterbliche Sangaride verliebt und diese in ihn. Sangaride aber ist bereits König Célénus versprochen. Als Cybele Atys zum Tempelpriester bestimmt, nutzt Atys seine Macht, um die Hochzeit zwischen Sangaride und Célénus zu verhindern. Voller Zorn schlägt Cybele Atys mit Wahnsinn, worauf dieser Sangaride tötet, die er für ein Monster hält. Wieder zur Vernunft gelangt, tötet sich Atys aus Verzweiflung selbst. Aus Mitleid verwandelt Cybele Atys in eine Pinie und verleiht ihm so ewiges Leben.
Aufführung
Die für Lullys Tragédie en Musique wichtigen Ballettszenen bilden einen zentralen Teil der Aufführung, wobei im Tanz barocke und moderne Elemente miteinander verschmolzen werden. Vom antiken Cybele-Kult wurden unter anderem die Löwenstatuen, griechischen Säulen und Masken übernommen. Das Bühnenbild ist ansonsten spartanisch gehalten, besticht jedoch durch subtile Licht- und Farbwechsel in Kombination mit dem Einsatz der Drehbühne. Die vergleichsweise statische Personenführung wird durch die Tanzeinlagen aufgelockert. Nicht nur in den Kostümen verbindet sich antike Theatralik mit der barocken Ästhetik aus der Zeit Ludwig XIV., dessen Hofkomponist Lully war. Anklänge an die Gegenwart sind ebenfalls vorhanden.
Sänger und Orchester
Der Dirigent Rubén Dubrovsky hat die Instrumentation des über dreihundert Jahre alten Stückes behutsam an die Möglichkeiten des Philharmonischen Orchesters Kiel angepaßt. Daß dieser Atys erst die dritte Inszenierung in der Neuzeit darstellt, zeigt, wie extrem selten Lullys Oper gespielt wird, war der musikalischen Umsetzung aber kaum anzumerken. Vor allem die Continuo-Sektion musizierte schwungvoll und mit viel Klarheit. Im Zusammenspiel mit den schlank federnden Streichern und wendigen Holzbläsern ergab sich so ein authentisches, barockes Klangbild. Das Gesangsensemble hielt den rezitativischen Fluß der Musik permanent aufrecht, wobei das Französische nicht immer verständlich war, die Phrasierung aber stets flexibel blieb.
Beispiel hierfür ist der Atys von Juan Sancho, der zu Beginn in der Höhe gepreßt wirkte, dann aber immer befreiter wurde. Heike Wittlieb als Sangaride klingt als einziges so, als würde sie nicht von der Alten Musik herkommen, doch ihr breiter Vortrag fügte sich gut ins Gesamtbild ein. Rosanne van Sandwijks Cybele war durchdringend wie schauspielerisch und stimmlich beeindruckend autoritär. Tomohiro Takadas Célénus bildete hierzu die ideale Entsprechung. Auch in den vielen Doppel- oder sogar Dreifachrollen war das Ensemble gut besetzt.
Fazit
Das Publikum feiert die Premiere der Lullyschen Opernrarität zu Recht stürmisch. Der Lieblingsoper des auch im Tanz bewunderten Sonnenkönigs wurde man vor allem durch den Miteinbezug des Balletts gerecht, der in zeitgenössischen Operinszenierungen ansonsten oft wegfällt. Choreographin und Regisseurin Lucinda Childs erhielt ebenfalls viel Applaus. So dürfte der Kieler Atys sowohl musikalisch als auch visuell einen Besuch beziehungsweise eine Reise wert sein.
Dr. Aron Sayed
Bild: Olaf Struck/Theater Kiel
Das Bild zeigt: Rosanne van Sandwijk (Cybèle), Juan Sancho (Atys) und Ensemble