Erfurt, Theater – DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN

von Carl Reinthaler (1822-1896); Oper in vier Akten von Heinrich Bulthaupt nach dem Schauspiel von Kleist; UA: 1881, Frankfurt.
Regie: Peter Hailer, Bühnenbild: Hank Irwin Kittel
Dirigent: Samuel Bächli, Philharmonisches Orchesters Erfurt
Solisten: Richard Carlucci (Graf vom Strahl), Ilia Papandreou (Kunigunde), Peter Schöne (Rheingraf), Máté Sólyom-Nagy (Theobald Friedeborn, Waffenschmied), Marisca Mulder (Käthchen, seine Tochter), Jörg Rathmann (Gottschalk), Alice Rath (Leonore), Vazgen Ghazaryan (Türmer)
Besuchte Aufführung: 21. März 2009 (Premiere)

Kurzinhalt
erfurt-katchen-von-heilbron.jpgKleists Käthchen von Heilbronn kennt jeder, die Oper von Reinthaler niemand – bis zum 21.März 2009, der Premiere am Theater Erfurt. Allerdings hat der Librettist Heinrich Bulthaupt die Handlungsstränge deutlich reduziert und sich auch von der Sprache Kleists entfernt:
Käthchen liebt den Grafen vom Strahl seit er ihr im Traum erschienen ist. Als der Graf nach dem Sieg über den Rheingrafen die Schmiede ihres Vaters betritt, folgt sie dem Grafen. Als sie beobachtet, wie der Graf in die Fänge der heuchlerischen Kunigunde gerät, will sie ins Kloster, aber ihr Vater vermag sie zurückzuhalten. Als Käthchen von einem Angriff des Rheingrafen auf Kunigunde erfährt, eilt sie zurück, um zu warnen. Der Rheingraf steckt die Burg in Brand, dabei versucht Kunigunde Käthchen in eine tödliche Falle zu locken, sie wird jedoch gerettet. Der Graf erkennt die Bosheit Kunigundes und heiratet Käthchen.
Aufführung
Schon zu Anfang wird klar, daß die Inszenierung in der Jetztzeit spielt – der Auftritt der Hundestaffel und die moderne Ausstattung verdeutlicht dies: Kunigunde ist eine Latex-Domina, der Rheingraf wird im Rollstuhl über die Bühne gerollt. Der Waffenschmied ist devoter Untergebener des Grafen, aber Herr über ein Eisenwerk mit vielen Arbeitern, mit denen er sich bei der Essensausgabe in der Kantine trifft. Käthchen ist eine schüchterne, graue Maus, sie ist genauso wie der meist völlig emotionslose Graf vom Strahl mit einer häßlichen Perücke geschlagen. Die Personen stehen auf der fast leeren Bühne herum, Beziehungen werden meist nur in der Musik deutlich. Bewegung kommt eigentlich nur bei den Auftritten des Chors auf, ob als Arbeiter im Eisenwerk, als Soldaten in weißen Lack-Uniformen oder als Volk in weißer Kleidung mit blonden Perücken. Der Brand des Schlosses Kunigundes wird nur durch Licht im Zuschauerraum und ein paar sich auf die Bühne senkende Stahlträger deutlich. Nachdem sich für Käthchen nach dem Brand der Vorhang schon fast geschlossen hat, wird er von Gottschalk während seiner Arie über die Zeit wieder geöffnet – für das Happy End.
Sänger und Orchester
Samuel Bächli hat ein wirkliches Händchen für die Romantik, für ihre Musik gewordene Gefühlswelt und setzt dies mit furiosem Crescendos (mit manchmal etwas zu viel Lautstärke) um. Mit dieser Leistung prädestiniert er sich für höhere (Wagner-)Weihen. Richard Carlucci (Graf vom Strahl) ist ein Tenor mit gutem Ansatz, dem ein wenig die Strahlkraft und eine verständliche Aussprache fehlt. Für einen Wechsel ins Wagnerfach muß er sich noch verbessern. Ilia Papandreous Kunigunde war wohlklingend und ihr dramatischer Sopran konnte mehr überzeugen als Marisca Mulder als Käthchen, die ihre Rolle voll aussingt, aber ihr etwas zu dramatischer Sopran wird in der Höhe sehr eng. Der Bariton Peter Schöne war ein bitterböser Rheingraf mit herrlich schwarzem Timbre. Der Spiel-Bariton Máté Sólyom-Nagy konnte wieder als unauffälliger Untergebener überzeugen. Entdeckung des Abends war der am Haus eher als Operetten-Tenor eingesetzte Jörg Rathmann, der seine beiden großen Auftritte mit sicherer Höhe absolvierte. Ähnliches kann man von Vazgen Ghazaryan behaupten, dem man in der kommenden Premiere die Hauptrolle aus Boitos Mefistofele zutraut.
Der Regisseur Peter Hailer verzichtet auf romantisierendes Brimborium und konzentriert sich auf die Charakterisierung der Personen, ihre Beziehung zueinander und die jeweilige Situation.
Fazit
Minutenlanger Applaus für alle Beteiligten für einen großen Abend am Theater Erfurt, für die (mit viel Einsatz!) erreichte Wiedergeburt einer vergessenen Oper. Man konnte feststellen, daß sich zwar ab und an einige Wagner-Klänge einschleichen, jedoch ein eigenständiges Werk der Romantik vorliegt, das eher dem Stil Brahms folgt. Eine wirkliche Konkurrenz zum Werk Wagners ist nicht zu fürchten, aber immerhin hat sie es seinerzeit zu einer Privatvorstellung für Ludwig II. gebracht – und Reintaler eindeutig als Wagner-Zeitgenossen qualifiziert. Ein Besuch in Erfurt ist m.E. für alle Romantiker oder Wagner-Fanatiker Pflicht.
Oliver Hohlbach

Bild: L. Edelhoff
Bildlegende: Die Latex-Domina Kunigunde beobachtet das Treffen von Käthchen und Graf vom Strahl.

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