von George Bizet (1838-1875), Opéra comique in 4 Akten, Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy, UA: 3. März 1875 Paris, Opéra-Comique (Salle Favart)
Regie/Bühne: Jana Eimer, Kostüme: Katja Schröpfer
Dirigent: Daniel Carlberg, Anhaltische Philharmonie Dessau, Opernchor, Extrachor und Kinderchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Choreinstudierung: Helmut Sonne und Dorislava Kuntscheva
Solisten: Marcel Reijans (Don José), Ulf Paulsen (Escamillo), Rita Kapfhammer (Carmen), Cornelia Marschall (Micaëla), Katharina Göres (Frasquita), Anne Weinkauf (Mercédès), Adam Fenger (Dancaïro), David Ameln (Remendado), Andre Eckert (Zuniga), Pawel Tomczak (Moralès)
Besuchte Aufführung: 8. November 2014 (Premiere)
Kurzinhalt
Nach einem Streit unter den Arbeiterinnen einer Zigarettenfabrik, den Carmen verursachte, wird sie festgenommen. Brigadiers Don José, der sie beaufsichtigt, läßt sie fliehen. José wird degradiert und arretiert. Als er freikommt bedrängt ihn Carmen, sich mit ihr den Schmugglern anzuschließen und das Leben als Soldat aufzugeben. José schließt sich der Bande an, doch Carmen wendet sich nun dem berühmten Torero Escamillo zu. Als José Carmen vor Escamillos großen Stierkampf bedrängt, gibt sie ihm den Laufpaß. Blind vor Eifersucht, tötet José die Geliebte.
Vorbemerkung
Jana Eimer hat eine „neue“ Dialogfassung erstellt, die sich auf die Novelle von Prosper Mérimée bezieht. Darin erzählt Don José in einem Rückblick alle Ereignisse mit Carmen. Dabei verblaßt alles in der Erinnerung. Diese wird irreal, so daß sich die Einheit von Ort und Zeit auf hebt.
Aufführung
Am Anfang und am Ende steht Don José einsam vor dem eisernen Vorhang: Ein Schauspieler beschreibt mit trockenen Worten seine Lage. Wahrend des Vorspiels sehen wir Szenen aus der Kindheit des Don José. Dieser hatte eine dominant strenge Mutter. Weiterhin wird Josés Beziehung zu Micaëla geschildert. Das Bühnenbild zeigt keine konkreten Orte, sondern nur eine kreuzförmig schräg ansteigende Plattform, die durch Drehung immer neue Perspektiven erzeugt, auf die Seitenflächen werden Bilder von Franz von Stuck projiziert. Diese Jugendstil-Bilder des Münchner Symbolismus wie Sisyphus entfalten eine mystisch irreal imaginäre, aber stets passend kommentierende Wirkung. Die Kostüme entstammen ungefähr der Entstehungszeit, sind der traditionellen spanischen Kleidung verhaftet. Escamillo reitet effektvoll als Torero auf einem großen Plastikstier herein, Micaëla ist eine Heilige mit Heiligenschein.
Sänger und Orchester
Daniel Carlberg gelingt es – in Zusammenarbeit mit der kongenialen Spielhandlung – die Carmen als einen tiefenpsychologischen Verzweiflungsschrei, als musikalisches Drama und nicht – wie gemeinhin – als heiteres, folkloristisches Historienspiel ohne Tiefgang zu vermitteln. Die Ballett-Einlagen, der Habañera, Seguidilla, Fandango (im Zigeunerlied) und Malaguena (Zwischenspiel 4. Akt), werden zwar als solche erkannt und können dennoch als getanzte symphonische Dichtungen gesehen werden. Schon das langsame abgekühlte Vorspiel macht den Beginn des Dramas deutlich. Die Anforderungen an die Hauptrollen sind hoch: Carmen muß im Auftrittslied, der Habañera, laszive Erotik verstrahlen und Escamillo technisch sauber die Sprünge in seinem Torero–Lied treffen. Da liegt Rita Kapfhammer genau richtig. Ihr Mezzo ist klangschön, elastisch und beweglich. Ihr unerschöpfliches Stimmvolumen und Ton-Umfang fesselt von der ersten Note an. Leider ist an diesem Abend Ulf Paulsen indisponiert, er macht aber deutlich, daß er den Anforderungen gerecht werden könnte: In der nächsten Vorstellung: Toréador en garde – Nimm Haltung an, Torero! Marcel Reijans (Don José) hat das stimmliche Format, um den Part mit der entsprechenden stimmlichen Dramatik zu gestalten. Die hohen Töne kommen mühelos, im Piano klingt er samten, und er kann im Forte viel Strahlkraft aufbringen. Cornelia Marschall kann als Micaëla einer verklemmten Heiligen doch Gefühle abringen – mit warmer und weicher lyrischer Stimme, technisch sauber und leuchtend in den hohen Lagen. Die Nebenrollen und der Chor komplettieren das gute Zusammenspiel im Ensemble – besonders der bestens eingestellte und harmonierende Kinderchor.
Fazit
Ein rabenschwarzer dramatischer Opernabend geht mit einem Messerstich zu Ende. Die szenische Düsternis und die im Mittelpunkt stehende Verzweiflung des Don José fesseln den Zuhörer. Das Stück gewinnt an dramatischer Tiefe und auch musikalisch denkt man weniger an die Opera Comique als an die Untiefen Verdis (Otello) oder Wagners (Tristan und Isolde). Am Ende tosender Applaus eines Publikums, das auch die deutlich längere Spielfassung (mit den Einleitungsmonologen ergeben sich dreieinhalb Stunden Spieldauer) nicht davon abhält, intensiv einen herausragenden Opernabend zu feiern.
Oliver Hohlbach
Bild: Claudia Heysel
Das Bild zeigt: Mitte: v.l.n.r. Katharina Göres (Frasquita), Rita Kapfhammer (Carmen), Anne Weinkauf (Mercédès), Opernchor