von Engelbert Humperdinck (1854-1921), Märchenoper in drei Aufzügen, Libretto: Elsa Bernstein, unter dem Pseudonym Ernst Rosmer, UA: 28. Dezember 1910 New York, Metropolitan Opera House
Regie: Jetske Mijnssen, Bühne/Kostüme: Christian Schmidt, Licht: Fabio Antoci
Dirigent: Mihkel Kütsen, Sächsische Staatskapelle, Sächsischer Staatsopernchor, Einstudierung: Wolfram Tetzner, Kinderchor der Sächsischen Staatsoper, Einstudierung: Claudia Sebastian-Bartsch,
Solisten: Tomislav Mužek (Der Königssohn), Barbara Senator (Die Gänsemagd), Christoph Pohl (Der Spielmann), Tichina Vaughn (Die Hexe), Michael Eder (Der Holzhacker), Tom Martinsen (Der Besenbinder), Georg Bartsch (Der Junge), Alexander Hajek (Der Wirt), Christina Bock (Die Wirtstochter), Gerald Hupach (Der Schneider), Matthias Henneberg (Der Ratsälteste), Rebecca Raffell (Die Stallmagd), Tänzerinnen der Ballettschule Semper (Gänse)
Besuchte Aufführung: 19. Dezember 2014 (Premiere)
In einer abgelegenen Waldhütte trifft ein Königssohn auf eine Gänsemagd. Sie lebt fernab der Zivilisation bei ihrer Ziehmutter, einer Hexe. Der Prinz findet Gefallen an dem Mädchen und will es zu seiner Königin machen, doch ein Bann hält sie zurück. Traurig schenkt er ihr zum Abschied seine Krone. Ein Spielmann kommt aus der nahe gelegenen Stadt, erkennt in der Magd eine Königstochter und befreit sie. Hinter dem Prinzen ziehen bald auch der Spielmann und die Magd mit Gänsen und Krone durch das Stadttor von Hellabrunn. Die Bürger erkennen in ihnen nicht das erwartete Thronfolgerpaar und jagen sie davon. Es ist Winter geworden. Die Liebenden irren hungrig und müde umher und enden schließlich wieder in der Waldhütte, in der inzwischen der ebenfalls verbannte Spielmann wohnt. Jede Hilfe kommt zu spät; sie essen von vergiftetem Hexenbrot und enden in tödlichem Schlaf.
Aufführung
Bühnenbild aller drei Akte ist eine großzügige Eingangshalle in hölzerner Reformarchitektur. Der Innen-raum des Hexenhauses ist zugleich Naturraum: in Schubertscher Manier ragt ein Lindenzweig durch das geöffnete Fenster, am Brunnen tummeln sich kindliche Komparsen als Gänse, Katzen und Tauben. Im zweiten Akt verwandelt sich der Raum in ein Luxushotel mit herrschaftlicher Treppe. Hier versammeln sich die Bürger von Hellabrunn, elegant gekleidet in der Mode der 1930er, die Frauen mit geflochtenen Haarkränzen – und grenzen sich allein optisch von den Fremdlingen ab. Der dritte Akt kehrt zum Anfang zurück; der Weg der Königskinder endet in dem nun zerfallenen Hexenhaus, unter einer kahlen Linde, einem eingefrorenen Brunnen und herabfallendem Schnee, der alles unter sich begräbt.
Sänger und Orchester
Stellvertretend für Lothar Koenigs dirigierte an diesem Abend der junge, in Tallinn geborene Mihkel Kütson die Sächsische Staatskapelle. Humperdincks romantische Märchenoper ist reich an Leitmotivik und Farbwechseln, die die Staatskapelle auch transparent und kontrastreich zur Geltung brachte. Zart und glänzend schufen Streicher, Glockenspiel und Harfe einen bezaubernden Märchenklang. Die Nähe zur Moderne, die die Partitur zweifellos und besonders im dritten Aufzug hat, war weniger hörbar. Sie ging in Kütsons zuweilen brachialer Dynamik unter.
Der lyrischen, fein nuancierten Stimme von Tenor Tomislav Mužek (Königssohn) hätte mehr Zurückhaltung aus dem Graben gut getan. Darstellerisch begegnete er den inneren Konflikten und Reifeprozessen des Protagonisten eher zurückhaltend. Unprätentiös und betont mädchenhaft verkörperte Barbara Senator die Gänsemagd. Die Sopranistin überzeugte durch hohe Intonationssicherheit und eine agile Stimme. Tichina Vaughn war darstellerisch virtuos und verlieh der Hexe mit ihrem rauhen Stimmkolorit ganz eigenen Charme. Mit Christoph Pohl als Spielmann kam mit heiterem Tandaradei Leben auf die Bühne. Pohl beherrscht die Kunst der Körpersprache und machte den Spielmann zur zentralen Figur des Abends. Mit weichem, klangvollem Bariton, umrahmt von den bezaubernden Stimmen des Kinderchors, brachte er die Schönheit dieser ergreifenden Partitur wunderbar zur Geltung. Die Rolle der Tochter des Besenbinders wurde in dieser Produktion von einem Knaben, Georg Bartsch, gesungen. Seine glockenreine, jugendlich frische Sopranstimme transportierte eine Unschuld, die dem gesellschaftskritischen Stück am Ende doch noch etwas Versöhnliches verlieh. Während seiner berührenden Soli schien selbst das Orchester die Luft anzuhalten. Wie immer erwies sich der Sächsische Staatsopernchor, einstudiert von Wolfram Tetzner, als Garant für wunderbare Auftritte.
Fazit
Diese Weihnachtspremiere bescherte dem Publikum keine Märchenkulisse, aber viele schöne Bilder. Humperdincks Oper Königskinder ist, im Gegensatz zu Hänsel und Gretel, ein modernes Märchen für Erwachsene. Die Verfasserin des Librettos, die jüdische Autorin Elsa Bernstein, war während des Dritten Reiches im Lager Theresienstadt interniert. Diesen Kontext griff die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen auf, indem sie das Jahrzehnte zuvor verfaßte Stück in die 1930er Jahre verlegte. Mit dem Verzicht auf platte NS-Symbolik suggerierte sie zugleich die Allgegenwart von Fremdenfeindlichkeit. Das Premierenpublikum zeigte sich von dieser klugen und unaufgeregten Inszenierung uneingeschränkt begeistert.
Norma Strunden
Bild: Matthias Creutziger
Das Bild zeigt: Tomislav Mužek (Der Königssohn), Barbara Senator (Die Gänsemagd)