La Chauve-Souris (Die Fledermaus) von Johann Strauß zum 300. Jubiläum der Opéra Comique, Paris

La Chauve-Souris (Die Fledermaus) von Johann Strauß (Sohn) (1825-1899), Operette in 3 Akten, Libretto:  Carl Haffner und Richard Genée nach Meilhac und Halévy, UA: 5. April 1874 Wien, Theater an der Wien

Besuchte Aufführung: 30. Dezember 2014 (Premiere)

Aufführung, Sänger und Orchester

Marc Minkowski als Dirigent, Ivan Alexandre als Regisseur und Pascal Paul-Harang als Autor der neuen französischen Version haben auf einer bedauerlich nüchternen Bühne (besonders im ersten Akt), aber mit einem stimmlich wie schauspielerisch ausgezeichneten Ensemble einen höchst fröhlichen Klamauk voll Schwung und witziger Regieeinfälle auf die Beine gestellt.

LA CHAUVE-SOURISChiara Skerath ist die sinnliche Rosalinde und mysteriöse ungarische Gräfin à la Marlene Dietrich, Sabine Devieilhe die adrette Soubrette Adele und der Kontratenor Kangmin Justin Kim der Prinz Orlofsky-Schnullerkind-„Kimchilia“. Das heitere, lebensfreudige Freundespaar Eisenstein/Frank sind Stéphane Degout und Franck Leguérinel.

Die neue französische Version ist gelungen soweit die Übertragung eines solchen Werks von einer Sprache und von einem Kulturkreis in einen anderen überhaupt gelingen kann. Denn so ein Unterfangen ist vielleicht noch schwieriger als beispielsweise die Übersetzung eines Gedichts von einer Sprache in eine andere. Wenn man sich bei einem Gedicht noch mit einer Neu-Dichtung behelfen kann, so ist das bei einem gesungenen Text schwer möglich, weil ja einerseits Musik auch irgendwie vom Charakter einer Sprache geprägt ist, und man andererseits an die Musik gebunden ist.

Bild: Pierre Grosbois, Das Bild zeigt von li nach re: Kangmin Justin Kim (Prince Orlofsky), Jodie Devos (Ida), Franck Leguérinel (Frank), Stéphane Degout (Gabriel von Eisenstein), Sabine Devieilhe (Adele)

Warum die Fledermaus?

In deutschen Landen zum Jahresende die Fledermaus aufzuführen ist nicht ungewöhnlich, in Paris, und besonders zum Anlaß des 300-jährigen Jubiläums eines der drei ältesten französischen Theater (neben der Opéra de Paris und der Comédie Française),  ist das zumindest erstaunlich. Es hängt dies wohl mit der langen Geschichte des Hauses zusammen. Man wollte, so hieß es, neben einer Huldigung gegenüber der alten kaiserlichen Musikstadt Wien, auch die Zusammenhänge, ja den Pariser Einfluß auf die Entstehung der Wiener Operette und, ganz allgemein, die Ausstrahlung der opéra comique im Deutschland  des 18. und 19. Jahrhunderts aufzeigen. Im Falle der Fledermaus hatte ja nicht nur Jacques Offenbach weitgehend dazu beigetragen, daß sich Johann Strauß schließlich entschloß, Operetten zu schreiben, sondern auch das Libretto der Fledermaus geht auf ein Theaterstück der Pariser Autoren Henri Meilhac und Ludovic Halévy zurückgeht. Die Beziehung Offenbachs zur Opéra Comique sind bekannt, wurden doch einige seiner Werke, so Hoffmanns Erzählungen, hier uraufgeführt. Meilhac und Halévy, hingegen, waren auch die Librettisten von Bizets Carmen, die auch in der Opéra Comique zum ersten Mal auf die Bühne kam. Soweit einige Zusammenhänge….

4 vestibule d'entréeDie Anfänge  der Opéra Comique

Aber die Geschichte dieses Hauses geht viel weiter zurück. Opéra Comique ist nicht nur der Name eines der Pariser Opernhäuser, sondern es ist auch die mit diesem Hause verbundene Entwicklung einer Operngattung desselben Namens seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie beginnt mit den Pariser Vorstadtkomödien mit Musikeinlagen, die sogenannten Vaudevilles, die meist in improvisierten Theatern auf den Märkten und Rummelplätzen gegeben wurden. Am 26. Dezember 1714, also vor genau 300 Jahren, erhielt dann die Vereinigung zweier dieser kleinen Schauspieltruppen in Paris, das königliche Privileg, ihre Spektakel unter dem Namen Opéra comique aufführen zu dürfen und erhielten dafür das Monopol. In der Folge zogen diese leichtfertigen, halb gesungenen, halb gesprochenen parodies et comédies en vaudevilles immer mehr Publikum an (Vgl. Interview mit Françoise Rubellin über Opernparodien, OPERAPOINT, Heft 3/ 2011).

Bild: Christophe Chavan, Das Bild zeigt: Eingang Opéra Comique

Denn diese Institutionen, so erklärt der heutige Direktor Jérôme Deschamps, hat Künstler in Erscheinung treten lassen, deren Unterhaltungsstücke, oft mit viel Witz und Komik, gesellschaftliche Fragen behandelten, und damit einen solchen Erfolg hatten, daß sie die anderen Theater leerten. Es war eine Art Oper, die dem Volk näher war als den Mächtigen, der Inbegriff einer Belustigung, die man nicht mit seiner Gemahlin, sondern eher mit seiner Maitresse erlebte….          Das entfachte notwendigerweise einen scharfen Konkurrenzkampf mit den beiden königlichen Theatern, der Comédie Française (Schauspiel) und der Académie Royal de Musique (Oper).

Das Aufsteigen von der Volksbelustigung zum Kunstwerk vollzog sich dann Mitte des 18. Jahrunderts unter der Leitung des Schauspieldichters und Direktors Charles-Simon Favart. Bald emanzipierte sich die Opéra comique von der italienischen Opera buffa. Ihre Stoffe waren zeitgenössischer, illustrierten den Alltag der bürgerlichen Welt. Ein Übergang zu romantischen Stoffen wurde langsam sichtbar. Naturbilder tauchten auf.

Sie übertreffen die Italiener an Ideenreichtum, Realistik der Charakterzeichnung und Lebendigkeit der Sprache. Die Handlung ist in gesprochenen Dialog und Musiknummern aufgeteilt. Alle musikalischen Formen vom einfachen Strophenlied bis zur Da-capo-Arie und zahlreiche Ensembles sind vertreten. Besonders lebendig ist die Rhythmik. Der Gesangstil wurzelt im französischen Tanz- und Gesellschaftslied. Der Orchesterpart besitzt große dramatische Lebendigkeit.“ (Karl H. Würner).

Mit Ende des „Buffonistenstreits“ – die französische Oper hatte sich behauptet, die Italiener wurden aus Paris verbannt – hatte die Opéra comique als selbständiges Kunstwerk ihre Reife erlangt.

Und im Jahre 1764 erhält sie dann das Statut eines Théâtre royal und darf damit auch bei Hof auftreten. Namhafte Komponisten, wie Jean-Philippe Rameau, später André-Ernest-Modeste Grétry arbeiten inzwischen für sie. Ihr Bühnenbildner ist ein gewisser François Boucher. Ihre „komischen Opern“ sind leichter und zugänglicher als die nur gesungenen Opern der sehr formellen Académie Royale de Musique. Ihre Werke verbreiten sich bald über ganz Europa und beeinflussen auch die deutsche Oper. Man denke nur an das Singspiel. Christoph Willibald Gluck komponiert in Wien zwölf Beiträge zur Gattung der Opéra comique. Und sie gehören nicht in die Geschichte des deutschen Singspiels, sondern in die der Opéra comique. Sie sind Comédies melées d’ariettes (Komödien mit Liedern) oder Vaudevillestücke mit Airs nouveaux von Gluck, meist nach Texten von Favart. Darunter befindet sich auch Les Pèlerins de la Mecque (1764) mit einem Libretto, sehr ähnlich dem von Mozarts späterer Entführung aus dem Serail. Laut Würner hat die Beschäftigung mit der Opéra comique für Gluck die Schärfung der musikalischen Charakterisierungsfähigkeit, Wendungen ins Komische und Volkstümliche und die Übung an Kleinformen zur Folge gehabt. Nach Jahrzehnten des Mal-hier-mal-dort-angesiedelt-seins, weiht die Opéra Comique in Anwesenheit von Königin Marie Antoinette Jahre 1783 ihr eigenes Haus ein, genannt La Salle Favart, einen zweiten Namen, den das Opernhaus auch heute noch trägt. Inzwischen ist dieses Haus zweimal, 1838 und 1887, abgebrannt und zweimal wieder aufgebaut worden.

3 la salle Favart DR RMN-Grand Palais - Christophe ChavanDas Gebäude der Opéra Comique

Die Opéra Comique, wie wir sie kennen, die dritte Salle Favart, befindet sich immer noch am selben Ort, Place Boieldieu, nahe den großen Boulevards. Sie wurde vom Architekten Louis Bernier konzipiert und 1898 mit allem Pomp und der neuesten Technik der Belle Epoque ausgestattet. Sie hat eine außergewöhnlich gute Akustik und erstand nach elf Jahren Wiederaufbau wie ein Phönix aus der Asche. Ein prächtiger Zuschauerraum mit 1250 Plätzen, unter der Kuppelmalerei von Benjamin Constant und ein äußerst prunkvolles Foyer, das mit den Malereien von Henri Gervex und Albert Maignan wie ein Bilderbuch der französischen Oper wirkt. Inzwischen sind über 100 Jahre verstrichen und nach mehreren Jahren Renovierung und Modernisierung erstrahlt die Opera Comique heute, zum 300-Jahre-Jubiläum, wieder in frischem Glanz.

Bild: Christophe Chavan, Das Bild zeigt: Salle Favart

Die große Zeit der Opéra Comique im 19. Jahrhundert

Während der französischen Revolution verschwindet das Komisch-Heitere weitgehend von der Bühne der Opéra comique und macht als Spiegel der politischen Ereignisse einer realistischen Revolutions-, Angst- und Schreckensoper Platz. Ein Typus, der auch in Deutschland weiter wirkte (vgl. Beethovens Fidelio). Nach dem die jeweiligen Monopole der verschiedenen Theater in Frankreich im Jahre 1791 abgeschafft worden waren, verschmolzen denn auch im Laufe des 19. Jahrhunderts opéra comique und grand opèra zu einer neuen Gattung, dem drame lyrique.

Von der opéra comique übernahm dieser neue Operntyp die deutliche Gliederung in geschlossene Nummern, von der grand opéra das obligatorische Ballett, die Rezitative und die Neigung zu größeren, einheitlichen Formstrukturen. Die Stoffe waren, wie in der opéra comique, vorwiegend bürgerlich, hinzu kamen Themen aus der Geschichte, aus Sagen und Märchen (Exotik) (Hans Renner).

Das Haus auf der Place Boieldieu bleibt dieser Entwicklung der französischen Oper eng verbunden. Hier entstanden Werke wie La Dame Blanche, Mignon, Hoffmanns Erzählungen, Carmen, Manon, Lakmé, Peléas et Mélisande. Komponisten wie François Adrien Boieldieu, Ambroise Thomas, Jacques Offenbach, Georges Bizet, Jules Massenet, Léo Delibes, Charles Gounod oder Claude Debussy gingen hier ein- und aus.

Verfall und Wiedergeburt im 20./21. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert sind es noch Maurice Ravel, Francis Poulenc und Darius Milhaud, die einige ihrer Opern in der Opéra Comique zur Uraufführung bringen.

Doch die finanziellen Schwierigkeiten der 1930iger Jahre veranlassen den französischen Staat, die Opéra Comique 1939 der Pariser Oper (Palais Garnier) unterzuordnen. Und 1971 entläßt Rolf Liebermann, damals Generaldirektor der Pariser Oper, die Mitglieder des Ensembles und schließt das Haus auf dem Platz Boieldieu.

Ab 1978 finden dann doch wieder sporadische Opernaufführungen statt, darunter 1987 die inzwischen legendär gewordene Inszenierung von Jean-Marie Villiger von Jean-Baptiste Lullys Atys unter der musikalischen Leitung von William Christie (2011 wiederaufgenommen, s. Rezension Atys, OPERAPOINT Heft 3/2011), eine Aufführung, die weitgehend zur Renaissance der Barockoper auf den europäischen Bühnen beigetragen hat. Die Opéra Comique bleibt dieser Entwicklung insofern eng verbunden, als man sich durch diese Atys-Aufführung klar geworden ist, wie außerordentlich geeignet die Akustik des Hauses für das Drame lyrique, aber vor allem für die Barockoper ist.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Pflege der Barockoper eines der drei Zielbereiche des Hauses geworden ist, seit es ab 2005 wieder zu den unabhängigen Nationaltheatern gehört und wieder einen regelmäßigen Opernbetrieb aufgenommen hat.

Die beiden anderen Zielgebiete sind die französische Opern des 18. und 19. Jahrhunderts, vor allem diejenigen, die in der Opéra Comique entstanden sind, und die Uraufführung zeitgenössischer Werke.

So erwartet uns diese Saison nach der Fledermaus u.a. noch Les Fêtes Vénitiennes von André Campra (1660-1744), Le Pré aux Clercs de Ferdinand Hérold (1791-1833), Ciboulette von Reynaldo Hahn (1875-1947) und Les contes de la lune vague après la pluie von Xavier Dayer (*1972), nach dem Filmszenario von Kenji Mizoguschi.

Also, ist die Wahl der Fledermaus zum 300. Jubiläum so erstaunlich? Ich würde sagen, die Frage ist eigentlich hinfällig, denn wenn man heute in der Pariser Opernszene, auf hohem künstlerischen Niveau, etwas Erstaunliches, etwas Außergewöhnliches, etwas Originelles sucht, so findet man es meistens in der Opéra Comique.

Alexander Jordis-Lohausen

 

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