Herbert von Karajan Musikpreis geht an die Wiener Philharmoniker
Anläßlich der Verleihung des Herbert von Karajan Musikpreises versammelten sich am 12. Dezember 2014 im Palais Biron, einem charmanten Jugendstilgebäude nahe des Brahmshauses im Baden-Badener Stadtteil Lichtental, Vertreter aus Presse, Radio und Fernsehen. In diesem Jahr wurden die Wiener Philharmoniker für ihre künstlerische Arbeit mit dem 50.000 Euro-Preis ausgezeichnet. Da das Preisgeld für musikalische Nachwuchsarbeit verwendet werden soll, beabsichtigen die Wiener Philharmoniker, das Geld für die musikalische Förderung im schulischen Bereich zu verwenden.
Der Herbert von Karajan-Musikpreis wird bereits seit 2001 an herausragende Einzelkünstler und Ensembles in Baden-Baden verliehen. Bisherige Preisträger waren u.a. die Geigerin Anne-Sophie Mutter, die Berliner Philharmoniker, Alfred Brendel, Evgeny Kissin, Valery Gergiev, Helmuth Rilling, Thomas Quasthoff, Daniel Barenboim, Cecilia Bartoli und Edita Gruberova.
Orchestervorstand Andreas Großbauer betonte, daß so der Reduzierung des Musikunterrichts an österreichischen Schulen entgegengewirkt werden soll, insbesondere in Bezug auf das gemeinsame Musizieren. Viele Pressevertreter waren jedoch in ihrer Fragestellung eher auf das Verhältnis der Orchestermusiker zu Herbert von Karajan interessiert (immerhin haben etliche Mitglieder noch unter Karajan musiziert), als eine Grundsatzdiskussion über Nachwuchsförderung zu führen. Dies änderte sich als bekannte Sänger Thomas Hampson, der Laudator des Abends, das Wort ergriff.
Hampson erläuterte (in deutscher Sprache), daß das Wort „Bildung“ in der deutschen Sprache einmalig sei und in anderen Sprachen lediglich umschrieben werden könne. Die Wahrung der mitteleuropäischen Musiktradition brauche mehr als nur den Spaß am Musizieren, kurz gesagt: das Verständnis für kulturelle Zusammenhänge über die musikalische Praxis hinaus. Dies betrifft nicht nur bei Sängern das Einfühlungsvermögen in die verschiedenen europäischen Sprachen wie z.B. die perfekte Beherrschung des Deutschen bei der Interpretation von Strauss-Liedern, sondern auch das Traditionsbewußtsein der Musiker.
Leider scheint Thomas Hampson nahezu der einzige auf dem internationalen Parkett zu sein, dem der unaufhaltsame Verfall kultureller Werte und Traditionen aufgefallen ist.
Auf der Internetseite der Philharmoniker findet man u.a. ein „Jugend-Camp“, in dem die Oper Carmen im Mittelpunkt stand. Hier trafen sich 2012 Jugendliche, um gemeinsam Szenen der Oper mit Orchester, Sängern und einem kleinen Chor zu singen und zu musizieren. Wie die Pädagogin Hanne Muthspiel-Payer erläutert, wurde die Frage gestellt, weshalb denn Don José in dieser Oper Carmen umbringen wolle. Dies war aber wohl kaum der Auslöser für Bizet und seine Librettisten, aus Mérimées Novelle eine Oper zu machen! So mögen Jugendliche zwar den Spaß am gemeinsamen Musizieren finden, die Grundfrage wie „was macht eine Oper wie Carmen eigentlich aus?“ wurde leider völlig vernachlässigt.
Vielleicht fielen die mahnenden Worte Thomas Hampsons ja auf fruchtbaren Boden. Es wäre jedenfalls wünschenswert, daß die Wiener Philharmoniker ihren pädagogischen Ansatz überdenken und über die Vermittlung der Spielpraxis hinaus eine kulturhistorische Wertschätzung an die kommenden Generationen weitergeben würden. Denn weder die Wiener Philharmoniker, noch ihr Konzertpublikum sind ein Zufallsprodukt der Geschichte.
OPERAPOINT Printversion 1/2015, Seite 50
Daniel Rilling