von Claude Debussy (1862-1918), Oper in fünf Akten, Libretto: Maurice Maeterlinck. UA: 30. April 1902 Paris, Opéra-Comique, Salle Favart
Regie: Àlex Ollé (La Fura dels Baus), Bühne: Alfons Flores, Kostüme: Lluc Castells, Licht: Marco Filibeck,
Dirigent: Marc Soustrot, Sächsische Staatskapelle, Choreinstudierung: Wolfram Tetzner, Sächsischer Staatsopernchor
Solisten: Camilla Tilling (Mélisande), Phillip Addis (Pelléas), Oliver Zwarg (Golaud), Tilmann
Rönnebeck (König Arkel), Christa Mayer (Geneviève), Elias Mädler (Yniold), Tomislav Lucic (Ein
Arzt), Mirko Tuma (Ein Schäfer)
Besuchte Aufführung: 24. Januar 2015 (Premiere)
Kurzinhalt
Golaud ist auf der Jagd vom Weg abgekommen und findet im Wald die verstörte Mélisande. Er nimmt das geheimnisvolle Mädchen zur Frau und bringt sie nach Allemonde, auf das Schloß seiner Familie. Dort leben sein Großvater, König Arkel, Golauds Mutter Geneviève, Yniold, sein Sohn aus erster Ehe, und sein Halbbruder Pelléas mit dessen krankem Vater. Pelléas und Mélisande fassen sofort Zuneigung zueinander. Golaud ahnt von der Liebe der beiden und bittet Pelléas, seine inzwischen schwangere Frau zu meiden. Dieser bereitet die Abreise vor, nachdem sein kranker Vater genesen ist. Golaud wird Zeuge des leidenschaftlichen Abschieds der Liebenden und erschlägt den Bruder mit dem Schwert. Mélisande stirbt im Kindbett, nachdem sie ein Mädchen zur Welt gebracht hat.
Aufführung
In eine Nebel verhangene, nachtblaue Kulisse kleidet Regisseur Àlex Ollé vom katalanischen Inszenierungsteam La Fura des Baus den mystisch-zeitlosen Stoff von Pelléas und Mélisande. Die gesamte Bühne ist in Wasser getaucht, das als flirrender Spiegel Personen und Handlung reflektiert. Der Wald ist ein Labyrinth aus silbrig glänzendem Geäst. Das finstere Schloß Allemonde thront als riesiger Quader auf einer Drehbühne wie auf einer Insel. Umhüllt von einem grauen transparenten Stoff mit einem Faltenwurf in Felsenoptik, offenbart die Beleuchtung Räume und Fluchten einer überlebten Welt. Vom Knaben bis zum greisen König ähneln sich die Männer mit grauen langen Haaren zum Verwechseln und suggerieren, ein und dieselbe Person in unterschiedlichen Altersstufen zu sein. Auch Mélisande ist Mädchen, Ehefrau, Geliebte und Mutter zugleich. Ihr ellenlanges feuerrotes Haar ist am Anfang und am Ende gestutzt; kreisförmig kehrt sie immer wieder an dieselben Orte zurück.
Sänger und Orchester
Der Franzose Marc Soustrot leitete an diesem Abend die Sächsische Staatskapelle Dresden und brachte dieses Meisterwerk des Fin de siècle zum Leuchten. Präzise und fein akzentuiert verlieh die Sächsische Staatskapelle dem Geschehen auf der Bühne eine spannungsvolle klangliche Gestalt. Das hervorragende Sängerensemble konnte sich vor dem zurückhaltenden Spiel des Orchesters entfalten. Als intensiver Charakterdarsteller gab Oliver Zwarg sein Debüt an der Semperoper. Er interpretierte die Rolle des düsteren Ehemannes Golaud mit theatralischer Autorität. Sein dunkler voller Bariton, reich an Kolorit und Ausdrucksstärke, bot einen attraktiven Kontrast zu der zarten Rolle der Mélisande. Die Schwedin Camilla Tilling sang die nicht besonders virtuose Partie der Titelheldin farbig suggestiv und lockend wie ein Vogel. Ihr bewegend schlichter, klarer Sopran konnte auch in den nicht vom Orchester begleiteten Teilen bestehen. Ebenso wie Phillip Addis (Pelléas) meisterte sie die nicht einfach zu artikulierende, frei gesprochene Metrik des Prosatextes und fokussierte sich auf den Klang. Der junge Kanadier Phillip Addis schwärmte mit hellem, tenoral gefärbten Bariton von der erotisch aufgeladenen Gesangsstimme seiner Geliebten: Oh, comme tu dis cela! Ta vois, ta voix! Elle est plus fraîche et plus franche que l’eau – Ah, wie du das sagst! Deine Stimme, deine Stimme! Sie ist kühler und klarer als Wasser. Tilmann Rönnebeck bewegte in der Rolle des alten Königs durch eine sanfte und weiche Baßstimme. Seine Partie erfordert kein dröhnendes Forte, aber auch bei mittlerer Lautstärke büßte die Stimme nichts an Klang und Resonanz ein. Einen kurzen, aber souveränen Auftritt hatte Altistin Christa Mayer als Mutter Geneviève. Der Tölzer Sängerknabe Elias Mädels konnte seine zarte und zugleich tragfähige Stimme eher im zweiten Auftritt, als im Frage- und Antwort-Spiel mit dem Vater entfalten.
Fazit
Pelléas et Mélisande ist ein frühes Beispiel für eine Literaturoper; den Text für das Libretto hatte Debussy bis auf wenige Änderungen dem gleichnamigen Schauspiel von Maurice Maeterlinck entnommen. Ein eher handlungsarmes Drama, das mit unterschwelliger Symbolik arbeitet und vieles unausgesprochen läßt: die Frage nach der Bedeutung des Rings, nach der Gestalt Mélisandes, die keine Entwicklung zeigt und sich im Kreise zu drehen scheint, ebenso wie nach der Rolle der männlichen Charaktere. Die überaus dezente und suggestive Inszenierung stellte diese Fragen in den Raum, ohne sie zu beantworten. Statt dessen entwickelte sie ihre Bilder und Motive phantasievoll aus der Musik, die ebenso virtuos und bezaubernd auf die Bühne gebracht wurde. Insgesamt gab es viel Applaus für Dirigent, Orchester, Sänger und Regie.
Norma Strunden
Bild: Matthias Creutziger
Das Bild zeigt: Camilla Tilling (Mélisande), Phillip Addis (Pelléas)