von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), Oper in vier Akten (9 Bilder), Libretto: Arkadi Preiss und Dmitri Schostakowitsch nach der gleichnamigen Erzählung von Nikolai Leskow, UA: 22. Januar 1934 Leningrad, Maly Theater.
Regie: Ole Anders Tandberg, Bühne: Erlend Birkeland, Choreographie: Jeanette Langert, Kostüme: Maria Geber, Licht: Ellen Ruge, Choreinstudierung: William Spaulding, Chor der Deutschen Oper Berlin
Dirigent: Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin
Solisten: Sir John Tomlinson (Boris Timofejewitsch Ismailow), Thomas Blondelle (Sinowij Borissowitsch Ismailow), Evelyn Herlitzius (Katerina Ismailowa), Maxim Aksenov (Sergej), Nadine Secunde (Aksinja), Burkart Ulrich (Der Schäbige), Andrew Harris (Verwalter/Polizist), Dana Beth Miller (Sonjetka)
Besuchte Aufführung: 25. Januar 2015 (Premiere)
Katerina Ismailowa führt ein untätiges Leben an der Seite des Kaufmannes Sinowij. Die Ehe ist kinderlos. Als Sinowij verreist, werden der neue Hofarbeiter Sergey und Katerina ein Liebespaar. Auch der despotische Schwiegervater Boris versucht, sich der Tochter zu nähern. Als er Sergey aus Katerinas Schlafzimmer kommen sieht, peitscht er ihn blutig. Katerina serviert ihrem Schwiegervater ein vergiftetes Mahl. Bei der Rückkehr des Mannes kommt es zum Ehestreit, der für Sinowij tödlich endet. Ein Bauer findet seine Leiche im Keller und alarmiert die Gendarmen, die bald darauf in Katerina und Sergeys Hochzeitsfeier platzen. Katerina gesteht die Morde, wird verhaftet und zusammen mit Sergej zur Zwangsarbeit nach Sibirien verbannt. Sergej will nichts mehr von Katerina wissen und tröstet sich mit der jungen Sonjetka. Katerina stürzt sich in einen eisigen Fluss und reißt ihre Nebenbuhlerin mit sich.
Aufführung
Die Tragödie der Lady Macbeth vollzieht sich mit Ausnahme des letzten Aktes auf dem Hof der Ismailows; in einem spießigen holzverkleideten Haus mit kleinen Fenstern, gebaut auf einer felsigen Insel, weit und breit kein benachbartes Haus. Eine Drehbühne zeigt Innen- und Außenansicht des Hauses. Einziges Möbel des Wohnraums ist ein riesiges Bett. Der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg verlegt die Handlung in seine Heimat; statt mit Korn handeln die Ismailows mit Fisch. Berge von Fisch stapeln sich auf dem Felsen rund um das Haus. Unter einem Spielmannszug, der die Handlung verstärkt, befindet sich ein junges Mädchen als alter ego von Katerina. Der vierte Akt zeigt den Zug der Gefangenen durch Sibirien, eine graue Masse in Unterwäsche. Im Nachtlager stapeln sich die zu Tode Erschöpften wie die Fische auf dem Felsen der Ismailows.
Sänger und Orchester
Donald Runnicles hat Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk mehrfach aufgeführt, und das war an diesem Abend zu hören. Der Dirigent des Orchesters der Deutschen Oper Berlin wurde der Partitur in all ihren Facetten gerecht: den abrupten Wechseln von Tragik zu Komik, den filmmusikalischen Anleihen sowie den gegensätzlichen, musikalischen Welten. Die Gefühle von Katerina wurden tonmalerisch gekonnt über himmlisch hohe Streicher und Harfenklänge transportiert, mechanische Ostinati begleiteten Sergej. Den Patriarchen Boris karikierte ein Geplapper aus vorlauten Klarinetten und einem Fagott. Immer wieder klang das schadenfrohes Lachen der Posaunen durch. Ohrenbetäubend kommentierte eine Blaskapelle die Handlung und nahm selbst noch dem Liebesakt die Hoffnung auf menschliches Miteinander. Ihrem grellen und verstörenden Spiel gehörten auch die Schlußtakte der Oper.
Evelyn Herlitzius verkörperte die Titelheldin sehr glaubhaft. Ohne große Gesten, mit hängenden Armen schwankte sie ebenso betäubt wie getrieben über die Bühne und strahlte dabei eine Verletzlichkeit aus, die das Publikum sofort vereinnahmte. Katerina ist keine intrigante Lady Macbeth. „Ihre“ Musik ist menschlich, auch wenn Herlitzius die Partie im hohen Register sehr schrill und schräg sang. Bereits im Eingangsmonolog Zherebyonok k kobїlke toropitsya – Das Hengstfohlen jagt der Jungstute nach verpackte sie Katerinas Emotionen im Klang ihres nuancenreichen Soprans. Tenor Maxim Aksenov (Sergej) hatte es schwerer, mit seiner Rolle sängerisches Profil zu gewinnen. Vielmehr diente er als attraktive Projektionsfläche für Katerinas Gefühle. Sir John Tomlinson war als tyrannischer Schwiegervater an Theatralik und stimmlicher Intensität nicht zu überbieten. Stets mit zwei Fischen bewaffnet, geisterte er über den Hof wie der Komtur im Don Giovanni. Mit gewaltiger, dunkel gefärbter Baßstimme und markanten Akzentuierungen führte er die seelischen Abgründe des Patriarchen vor. Bewegend und volkstümlich melodisch war das Lied des alten Zwangsarbeiters (4. Akt) von Stephen Bronk. Volltönend und expressiv beschrieb er den Leidensweg des Volkes im feudalherrschaftlichen Rußland. Ebenso ergreifend waren die Chornummern der Gefangenen, gesungen vom Chor und Herrenchor der Deutschen Oper Berlin.
Fazit
Was soll denn das Volk mit einer Oper machen, von der es beim Verlassen des Theaters keine einzige Melodie trällern kann? hat André Gide einmal als mögliche Erklärung für das Verbot dieser Oper unter Stalin geliefert. Die Zeiten, in denen eine brutale Handlung mit gewollt trivialer Musik verstört, sind längst vorbei. In Berlin bedachte man das drastische, als „Hölle auf Erden” inszenierte Stück und dessen musikalische Interpretation mit Beifallsstürmen.
Norma Strunden
Bild: Marcus Lieberenz
Das Bild zeigt: Evelyn Herlitzius (Lady Macbeth) und Chor