Les Fêtes Vénetiennes – Paris, Opéra Comique

von André Campra (1660-1744), Opéra-ballet, Version mit einem Prolog und drei Episoden, Libretto: Antoine Danchet, U.A.: 17. Juni 1710 Paris, Académie royale de Musique
Regie: Robert Carsen, Bühne: Radu Boruzescu, Kostüme: Petra Reinhardt, Licht: Robert Carsen und Peter van Praet, Choreographie: Ed Wubbe
Dirigent: William Christie, Chor und Orchester: Les Arts florissants, Scapino Ballet Rotterdam
Solisten: Emmanuelle de Negri (Lucile Lucie, die Vernunft), Élodie Fonnard (Iphise, Das Schicksal), Rachel Redmond (Irène, Léontine et Flore), Emilie Renard (Isabelle, La Folie), Cyril Auvity (Adolphe, Tanzmeister, Diener des Schicksls), Reinoud Van Mechelen (Thémir und un masque, Zéphir), Marcel Beekman (Musik- und Sangesmeister),  Marc Mauillon (Alamir, Damir, Borea), François Lis (Rodolphe, Le Carnaval, Léandre), Sean Clayton (Democrite), Geoffroy Buffière (Héraclite)
Produktion: Opéra Comique in Koproduktion mit Les Arts Florissants, Théâtre du Capitole de Toulouse, Théâtre de Caen und dem Centre de Musique Baroque de Versailles

Besuchte Aufführung: 2. Februar 2015 (Premiere 26. Januar 2015)

LES FETES VENITIENNES -Vorbemerkung

Als André Campra 1694 aus dem Süden Frankreichs nach Paris kommt, ist die ehrwürdige Académie royal de Musique schon reichlich verstaubt. Lully ist seit sieben Jahren tot und Ludwig XIV. ist alt geworden. Das Publikum sehnt sich nach etwas Neuem, Leichterem, Heiteren. Campra und Danchet gelingt es, dem alten opéra-ballet  neues Leben einzuflößen: sie ersetzen die mythologischen Figuren mit Menschen aus dem täglichen Leben, erfinden komische Episoden, karikieren und parodieren das Leben, die Gesellschaft und auch die ernsten Opern. Die Handlung wird sehr vereinfacht und auf eine Reihe von kurzen Sketschen beschränkt, das Ballet spielt eine wesentliche Rolle. Das vorliegende Werk ist ein typisches Beispiel dieser erneuerten Opéra-ballet. Es ist wegweisend für eine neue Oper, die fünf Jahre nach Uraufführung von Les Fêtes Vénetiennes ihre Tätigkeit aufnehmen wird – die Opéra Comique (vgl. dazu auch auf Operapoint Blog, die Fledermaus zum 300 jährigen Jubiläum der Opéra Comique vom 7.1. 2015 und Ariadne von Naxos vom 24. 1. 2015).

Kurzinhalt

Von den neun Episoden, die Campra  für dieses Werk geschrieben und wechselweise aufgeführt hat, haben Christie und Carsen für diese Aufführung die drei beliebtesten ausgewählt:

Prolog: Der Karneval erscheint mit seinen Verbündeten, der Verrücktheit (Folie) und den Vergnügungen (Plaisir) und lädt die Venezianer zum Fest ein. Nur die Vernunft (Raison) versucht, unterstützt von den Weisen Démocrite und Héraclite, vor dem Wahnsinn des Karnevals zu warnen. Doch vergeblich – sie werden aus Venedig vertrieben.

1. Episode : Der Ball: Während der Musiklehrer und der Tanzlehrer einen Wettstreit abhalten, prüft Prinz Amir als Diener verkleidet die Beständigkeit der von ihm verehrten Iphise, die aber nicht weiß, daß er Prinz ist. Er kann den Ball erst voll genießen, als das junge Mädchen die Probe bestanden hat.

2. Episode: Die Serenaden und die Spieler: Isabelle und Lucie verdächtigen, daß ihre jeweiligen Liebhaber sie mit der anderen betrügen. Als sie ihnen einen Abend nachstellen, entdecken sie nicht nur, daß es sich um denselben Mann, Leander, handelt, sondern, daß er jetzt auch noch einer dritten, Irène, ein Ständchen darbringt. Doch wird er nicht nur von Irène abgelehnt, sondern auch Isabelle und Lucie brechen jetzt mit ihm. Er schließt sich darauf einer Gruppe von Spielern an, weil ja  Fortuna im Spiel wie in der Liebe unstet ist.

3. Episode: Die Oper: Damir ist  Schauspieler geworden,  um bei einer Opernaufführung die von ihm angebetete Sängerin Leontine zu entführen. Sein Rivale um die Gunst Leontines, Rudolphe, versucht das zu verhindern. Doch als Damir als Windgott Boreas seine Angebetete, nicht nur in der Oper, sondern auch in Wirklichkeit entführt, bleibt Rudolph wütend zurück.

Epilog: Der Karneval ist zu Ende. Bei Tageslicht weichen die Exzesse der Festlichkeiten  wieder der Vernunft – zumindestens vorläufig!

Aufführung

Das Bühnenbild beschränkt sich auf  eine stilisierte Schwarz-Weiß-Kulisse des Markusplatzes, die je nach Bedürfnis variiert wird. Im Prolog erscheint eine fünf Meter hohe rote Figur, die den Karneval darstellt und der die Touristen in Straßenkleidern und Rollkoffern auffordert mitzufeiern. Alle ziehen sich auf offener Bühne in rote  Kostüme des 18.Jahrhunderts um. Die mahnende Vernunft ist als Nonne, ihre beiden Akolyten (Gefolgsmänner) als Mönche dargestellt. Obwohl im folgenden die Kostüme ständig variieren, sind sie fast ausschließlich in Rot-Tönen gehalten, nur hin und wieder mit schwarz oder weiß gemischt. Das Mobiliar beschränkt sich auf wenige Stühle. Reizvoll die Ankunft einer Gondel auf einem Dampfkanal. Der Windgott kommt stürmisch an zwei Seilen aufgehängt durch die Lüfte und entführt seine Schöne.

Solisten und Orchester

François Lis kommt mit sonorer Baßstimme vor allem in der Ständchenszene des schürzenjagenden Leander zur Geltung. Ihm gegenüber Rachel Redmond als Irene, die mit reiner perlender Stimmführung durch die Meslismen eilt und ihm mit  viel Charme eine Abfuhr erteilt. Ein anderes Paar ist Marc Mauillon, der als Alamir mit seiner angebeteten Iphise (Élodie Fonnard) ein charmantes Liebesduett singt: Pourrais-je me flatter de régner dans votre âme. Emmanuelle de Negri (Isabelle) und (Emilie Renard) als Lucie verfolgen beiden ihren untreuen Liebhaber und singen jede ein kleine Arietta. Die eine weich und lyrisch Les voiles de la nuit vont obscurcir les cieux, die andere dramatisch-wütend Ah ! que puis-je espérer du dessein qui m’amène? Marcel Beekman sind die grotesk-komischen Szenen vorbehalten, die schon Rossinis Buffo-Rollen vorwegnehmen. Cyril Auvity verkündert mit seinem warmen hohen Tenor die Segnungen der Fortuna.

Ed Wubbes einfallsreiche, zum Teil sehr komische Choreographie animiert die nicht abreißende Kette der Ballette. Besonders originell der Tanz der Schafe in der Schäferszene oder der leichtgekleideten Kasinomädchen mit Kartentischen um die Hüften, oder der Gondolieri mit „Hüftgondeln“.

Fazit

Robert Carsen und sein Team haben erfolgreich mit einfachen farben- und formenprächtige Mitteln und oft sehr witzig die Pracht und Ausgelassenheit eines Karnevals in Venedig des 18.Jhts. heraufbeschworen. Und wenn in Regie, in der Choreographie und bei den Kostümen immer wieder moderne, anachronistische Elemente einfließen, so fällt das nie aus dem Rahmen und wirkt nicht störend.

William Christie hält diesen vielfältigen, farbenprächtigen Rummel meisterhaft zusammen und läßt die Orchestermusik die Sänger voll unterstützen, wobei der Reichtum und die Schönheit der instrumentalen Partitur vielleicht am stärksten im Wettstreit von Tanz- und Musiklehrer hervortritt.

Ein einhellig gefeierter Abend.

Alexander Jordis-Lohausen

 

Bild: Vincent Pontet

Légendes des photos 7 et 9

Elodie Fonnard (Soprano) / La Fortune

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