von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957), Oper in drei Bildern, Libretto: E. W. Korngold und Paul Schott, UA: 4. Dezember 1920 Hamburg und Köln
Regie: Karoline Gruber, Bühne: Roy Spahn, Kostüme: Mechthild Seipe, Licht: Guido Levi, Hans Toelstede, Dramaturgie: Dr. Kerstin Schüssler-Bach
Dirigent: Simone Young, Philharmoniker Hamburg, Chor der Hamburgischen Staatsoper
Solisten: Klaus Florian Vogt (Paul), Meagan Miller (Marietta/Die Erscheinung Mariens), Lauri Vasar (Frank/Fritz), Christina Darmian (Brigitta), Mélissa Petit (Juliette), Gabriele Rossmanith (Lucienne), Jun-Sang Han (Victorin), Jun-Sang Han (Graf Albert)
Besuchte Aufführung: 22. März 2015 (Premiere)
Der Witwer Paul lebt zurückgezogen in Brügge mit seiner Haushälterin Brigitta. Paul erscheint eine Frau namens Marietta, die Tänzerin ist und ihn an seine verstorbene Frau Marie erinnert. Unter Gewissensqualen läßt sich Paul auf Marietta ein und ringt zwischen dem Rausch mit der Künstlerin Marietta und der Erinnerung an die Tote. Schließlich erdrosselt Paul Marietta mit dem Haar Maries, das er wie eine Reliquie bewahrt hat. Nun wird klar, daß Paul alles nur fantasiert hat. Seinem Freund Frank verspricht er, es mit einem neuen Leben zu versuchen.
Aufführung
Die Aufführung entfernt sich stark von der Wirklichkeit und zeigt einen traumhaften, weitgehend leeren Bühnenraum, der psychische Vorgänge greifbar machen soll. So sind die Wände mit Maries Haaren bedeckt, die sich als Computeranimation bewegen. Zu Beginn des zweiten Bildes bricht ein Dampfer durch die Rückwand des Guckkastens, von dem Frank als strafender Engel herabsieht. Hinter Frank tanzt ein Matrose mit einer weiblichen Puppe lasziv umher.
Der größte Unterschied zum Libretto besteht darin, daß die Haushälterin Brigitta sich in Marietta verwandelt und keine komplett eigenständige Person ist. Zu Beginn des dritten Bildes ist Marietta dann schwanger und die geistliche Prozession aus toten Kindern trägt ein Baby heran, das Paul mehrfach auf den Boden schlägt. Am Schluß verwandelt sich Marietta wieder zurück in Brigitta, die Paul nun einfach sitzen läßt. Die Opernprobe im zweiten Bild zu Meyerbeers Robert le Diable stellt sich als Geschlechtsakt hinter einer Schattenwand dar.
Sänger und Orchester
Klaus Florian Vogt ist, neben der großartigen Leistung der Philharmoniker Hamburg unter Simone Young, das Ereignis dieser Premiere. Seine klare und deutliche Deklamation läßt die Übertitel sofort vergessen. Bei wenig Vibrato verfügt sein Tenor in der Höhe über einen seltenen Glanz. Die kolossal schwere Partie des Paul meistert er ohne jeglichen intonatorischen Patzer. Sein knabenhaft reiner Ton paßt obendrein zur Figur des Witwers und verleiht ihrer reizvollen Doppelbödigkeit. Auch darstellerisch läßt Vogt nichts zu wünschen übrig. Meagan Miller sorgt als femme fatale Marietta mit ihrem blühenden Sopran für das nötige stimmliche Gegengewicht, so daß sich beide perfekt ergänzen. Dementsprechend bildet das Duett Glück, das mir verblieb einen Höhepunkt der Aufführung. Lauri Vassar als Frank/Fritz liefert eine gewohnt verläßliche Darbietung, mit angenehm schwerem Vortrag. Im Ensemble des zweiten Bildes agieren Mélissa Petit, Gabriele Rossmanith, Jun-Sang Han und Jürgen Sacher wohl aufeinander abgestimmt. Dem aufwendig besetzten Orchester mit Harfen, Mandoline, Schlagwerk, Orgel und anderem entlockt Young exotische Mischfarben. Von spätromantischem Melos, über Kitsch bis zu dissonanten Ausbrüchen beherrschen die Philharmoniker Hamburg alles und wahren zudem die perfekte Balance mit der Bühne.
Fazit
Klaus Florian Vogt erhielt mit Abstand die meisten Bravi. Bei der kontroversen Regie mischten sich Bravi und Jubel, doch wirkt die Sichtweise schlüssig und erzeugt atmosphärische Dichte. Die tote Stadt dürfte der Höhepunkt der aktuellen Hamburger Opernsaison sein.
Dr. Aron Sayed
Bild: Bernd Uhlig
Das Bild zeigt: Klaus Florian Vogt (Paul), Komparserie