von Giacomo Puccini (1858-1924), Musik vervollständigt von Franco Alfano, Dramma lirico in drei Akten, Libretto: Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzi; UA: 25. April 1926 Mailand, Teatro alla Scala
Regie: Markus Dietz, Bühne: Ines Nadler
Dirigent: Patrik Ringborg, Staatsorchester Kassel, Opernchor, Extrachor, CANTAMUS-Kinderchor, Choreinstudierung: Marco Zeiser Celesti und Maria Radzikhovskiy
Solisten: Kelly Cae Hogan (Turandot), Ji Hyung Lee (Altoum), Hee Saup Yoon (Timur), Hector Sandoval (Calaf), Ani Yorentz (Liù), Espen Fegran (Ping), Tobias Hächler (Pang), Paulo Paolillo (Pong), Marian Pop (Mandarin), u.a.
Besuchte Aufführung: 28. März 2015 (Premiere)
Prinzessin Turandot soll denjenigen heiraten, der die drei Rätsel löst, die sie ihm aufgibt. Versagt der Freier, wird er enthauptet. Als Prinz Kalaf Turandot auf dem Balkon erblickt, verliebt er sich in sie, und nichts kann ihn davon abhalten, sich ihren Fragen zu stellen. Er löst alle Rätsel und bringt dadurch die Prinzessin in Verlegenheit, denn eigentlich will sie niemals heiraten. Kalaf gibt ihr nun seinerseits ein Rätsel auf, nämlich seinen Namen zu erraten. Wenn sie es nicht schaffen sollte, soll sie seine Frau werden. Turandot läßt Liù foltern, um den Namen zu erfahren, weshalb diese sich selbst erdolcht. Schließlich nennt Kalaf seinen Namen, und die Prinzessin beginnt, sich ihre Liebe zu ihm einzugestehen.
Aufführung
Ohne die aufwendige Bühnentechnik könnte man nicht von einem Bühnenbild sprechen, denn ein klassisches Bühnenbild gibt es nicht, das heißt Kulissen, Prospekte oder Requisiten sind auf der leeren Bühne fast nicht vorhanden. Dafür sind Hubpodien im Dauereinsatz. Diese fahren herauf oder herunter und bilden immer neue Spielflächen. Auch von oben klappt eine Art Beleuchterbrücke herunter, verengt den Spielraum oder schafft Projektionsflächen für Bilder und Videos in großer Anzahl. Da dreht sich der Mond, obwohl die Rückseite von der Erde nicht zu sehen ist, sieht man eine Pagode oder die Anwesen von Ping, Pong und Pang. Und dazwischen viel Blut und Leichen. Die Solisten tragen gehobene topmodische Alltagskleidung, meist Anzüge oder Kostüm, der Chor bevorzugt in mäuschengrau.
Sänger und Orchester
Wenn das Bühnenbild die Handlung nicht bebildern kann, muß die Musik diese Gestaltungsräume übernehmen. Patrik Ringborg ergreift diese Gelegenheit und erzählt die Geschichte von Liebe und Haß, von Macht und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nur mit musikalischen Mitteln. Da wird der Einzug des Kaisers von China zu einem dramatischen Zwischenfinale, die Verzweiflung eines alten Mannes, endlich alle Probleme loszuwerden, ist mit den Händen greifbar. Auch die Solisten passen stimmlich zu den Charakteren der Rollen. Kelly Cae Hogan verfügt über einen hochdramatischen stark fokussierenden Sopran, der den bösartigen Charakter der Turandot mehr als verdeutlicht. Besonders in den Höhen klingt die Stimme eng geführt und schrill. Ganz anders die zweite Sopranrolle: Die Liù kann Ani Yorentz mit jugendlich dynamischen Sopran als Sympathiefigur zeichnen und erhält dafür sogar Szenenapplaus. Hector Sandoval ist der italienische Tenor, der die Partie souverän und mit strahlender Höhe meistert. Sein Nessun dorma (auch wenn das nicht die schwierigste Arie dieser Partie ist) meistert er schwerelos und schraubt seine Töne ohne Kraft und Anstrengung nach oben. Hee Saup Yoon ist ein Baß mit sicherer Tiefe, der dem vom Leben gezeichneten Timur auch wieder etwas Würde gibt. Ji Hyung Lee gibt dem Kaiser, was dem Kaiser in dieser Produktion zusteht: Er bleibt völlig blaß. Espen Fegran als Kanzler ragt aus dem Trio mit Tobias Hächler (Pang) und Paulo Paolillo (Pong) heraus. Als Spielbariton demonstriert er, wie melodiöse Stimmgestaltung und Einhaltung der Gesangslinie perfekt zusammen passen können. Alle drei zeichnen sich aber durch gute Textverständlichkeit aus.
Fazit
Der Abend ist ein weiterer Beleg dafür, daß sich nicht jede Handlung in die Neuzeit verlegen läßt, denn welcher heutige Diktator regelt seine Nachfolge über drei Rätselfragen, die seine Tochter stellen darf? Auch wenn die etwas blutrünstige oder nichtssagende Bühnenshow (die Auftritte der Chöre und der Solisten sind beeindruckend und musicalreif gelöst) nicht von der Musik ablenkt, ist sie doch für kleinere Kinder weniger geeignet, denn die Präsentation des abgeschlagenen Kopfes des Prinzen von Persien ist grenzwertig.
Musikalisch hingegen ist der Abend eine Sternstunde für das Staatstheater Kassel. Auch die gewählte Schlußfassung von Luciano Berio unterstreicht diese Bedeutung: Durch den geglückten Versuch, die Wandlung der Turandot durch den Kuß des Calaf musikalisch zu erklären.
Oliver Hohlbach
Bild: Nils Klinger
Das Bild zeigt: Kelly Cae Hogan (Turandot, eine chinesische Prinzessin)