LA TRAVIATA – Baden-Baden, Festspielhaus

von Giuseppe Verdi (1813-1901), Oper in drei Akten, Libretto: Francesco Maria Piave, UA: 6. März 1853 Venedig, Teatro La Fenice

Regie: Rolando Villazòn, Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck, Licht: David Cunningham, Choreinstudierung: Detlef Bratschke, Choreographie: Philippe Giraudeau

Dirigent: Pablo Heras-Casado, Balthasar-Neumann-Ensemble, Balthasar-Neumann-Chor

Solisten: Olga Peretyatko (Violetta Valéry), Atalla Ayan (Alfredo Germont), Simone Piazzola (Giorgio Germont), Christina Daletska (Flora Bervoix), Emiliano Gonzalez Toro (Gastone), Tom Fox (Baron Douphol), Konstantin Wolff (Marquis d’Obigny), Walter Fink (Doktor Grenvil), Deniz Uzun (Annina)

Besuchte Aufführung: 29. Mai 2015

Baden-Baden La TraviataKurzinhalt

Violetta Valery ist todkrank. Bislang verlief ihr Leben als Kurtisane wie ein rauschendes Fest in den Pariser Salons. Als ihr Alfredo Germont begegnet, lernt sie zum ersten Mal wahre Liebe und aufrichtige Gefühle kennen. Sie läßt die Vergangenheit hinter sich und finanziert durch den Verkauf ihres gesamten Besitzes ein gemeinsames Leben auf dem Land. Alfredos Vater jedoch mißfällt die Kurtisane an der Seite seines Sohnes. Denn seine Tochter ist im Begriff einen reichen Edelmann zu heiraten, der auf der Auflösung der Verbindung von Violetta und Alfredo besteht. Violetta willig letztlich ein und kehrt mit ihrer Dienerin in ein bescheidenes Pariser Appartement zurück, um dort ihre letzten Tage zu verbringen.

Aufführung

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker stellt mehrere kreisrunde Plateaus dar, die an eine Zirkusmanege erinnern. Ein weiteres Plateau versinnbildlicht das Zifferblatt einer Uhr. Das Milieu der drei Szenenbilder, wie sie Verdi und Piave entworfen haben, gibt es hier nicht. Bevor am Anfang die Musik einsetzt, betritt bereits Violetta mit einer Spieluhr die Bühne. Villazòns Inszenierung zeigt u.a. eine Violetta, die von einer Akrobatin in stummer Rolle verdoppelt wird. Alfredo agiert auf diese Weise mit zwei unterschiedlichen „Violettas“, die sich nicht in allen Szenen inhaltlich klar zuordnen lassen. Die Festgesellschaft erinnert an ein Gemisch aus Zirkusartisten und Commedia dell’arte – Figuren und Clowns. Im letzten Akt spielt die Handlung vor geschlossenem Vorhang.

Sänger und Orchester

Künstlerischer Höhepunkt ist Olga Peretyatko als Violetta Valéry, die zweifellos in unseren Tagen als eine der renommiertesten Sängerinnen dieser Partie gelten darf. Ihr stimmlicher Ausdruck kennt die gesamte Palette der Belcanto-Elemente des ersten Akts bis zur lyrisch geprägten Sterbeszene am Schluß. Bewundernswert ist, wie Peretyatko außerdem mit den sprachlichen Elementen arbeitet. Hier zeigt sich, daß die Sopranistin das italienische Fach nicht vom Hörensagen her praktiziert, sondern ihre fundierte Technik in Italien erlernt hat. Die Interpretation wirkt unmittelbar und intuitiv, es findet sich keine Spur von gekünstelter Effekthascherei. Schade, daß nur wenige Sänger in unserer Zeit ihre Profession auf solch tiefgründige Weise ernst nehmen und die Gepflogenheiten der jeweiligen Gesangstraditionen vor Ort studieren. Der brasilianische Tenor Atalla Ayan hingegen scheint noch nicht ganz in seine Partie als Alfredo hineingewachsen zu sein. Sein leicht rauhes Timbre gewinnt im Laufe der Vorstellung zwar an Farbigkeit und Ausdruck, oft wirkt er jedoch sehr konzentriert und ein wenig hölzern. Auch wenn er beim Singen teilweise gedanklich noch sehr in seine Partitur vertieft zu sein scheint ist seine italienische Artikulation gründlich erarbeitet, so daß man von ihm wohl in einigen Jahren eine interessante Interpretation des Alfredo erwarten kann. Ein sonorer runder Baß ist Walter Fink als Doktor Grenvil. Nur schade, daß diese Gesangspartie bereits nach wenigen Takten schon zu Ende geht. Ein interessanter Giorgio Germont stellt Simone Piazzola dar, der die Baritonpartie mit einer gewissen Härte und Statik interpretiert. Oft fühlt man sich hier an den steinernen Gast aus Don Giovanni erinnert, was sicherlich – auch aus gesanglicher Sicht – kein Fehler ist. Die weiteren Partien von Christina Daletska (Flora), Emiliano Gonzalez Toro (Gastone), Tom Fox (Baron Douphol), Konstantin Wolff (Marquis d’Obigny) und Deniz Uzun (Annina) runden den Opernabend ab.

Die Akustik des Festspielhauses mag zwar den vielseitigen Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht werden, entspricht jedoch nicht in allen Fällen dem Klangbild aus der Zeit Verdis. Dies zeigt sich vor allem im ersten Akt, wo das dröhnende und hämmernde Schlagwerk sehr exponiert den Orchesterklang überdeckt. Die einzelnen Instrumentalgruppen klingen oft sehr isoliert und nackt, was wohl auch dem nicht sonderlich tiefen Orchestergraben zuzuschreiben ist. Das Balthasar-Neumann-Ensemble unter Pablo Heras-Casado überzeugt letztlich jedoch durch eine lebhafte und gut einstudierte Wiedergabe der Partitur.

Fazit

Das Regiekonzept wirkt an vielen Stellen etwas unbeholfen und erschließt sich auch durch die dramaturgischen Hinweise im Programmheft nicht. Die Personenführung wie auch die Lichtregie sorgen streckenweise für große Unruhe und Hektik. Vor allem die stetigen Personenbewegungen während der Gesangspassagen irritieren oftmals, hier fehlt es dem Regisseur wohl noch ein wenig an Erfahrung. Eine solide musikalische Interpretation und ein interessantes Sängerensemble sorgen jedoch für einen kurzweiligen Opernabend. Es überrascht jedoch sehr, daß das Festivalpublikum in Baden-Baden die Oper nach jeder bekannten Melodie mit mehr oder minder starkem Applaus unterbricht. In den umliegenden Opernhäusern der Region geschieht dies glücklicherweise eher selten.

Daniel Rilling

Bild: Andrea Kremper

Das Bild zeigt: Olga Peretyatko (Violetta Valéry), Chor

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