FAUST – Berlin, Deutsche Oper

von Charles Gounod (1818-1893), Oper in fünf Akten, Libretto: Jules Barbier und Michel Carré nach Goethes Faust, UA: 19. März 1859 Paris, Théâtre Lyrique (Version mit gesprochenen Dialogen), 3. März 1869 Paris, Salle Le Peletier (endgültige Fassung mit Rezitativen)

Regie: Philipp Stölzl, Bühne: Philipp Stölzl, Heike Vollmer, Kostüme: Ursula Kudrna, Licht: Ulrich Niepel, Choreinstudierung: Thomas Richter, Chor der Deutschen Oper Berlin

Dirigent: Marco Amiliato, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Solisten: Teodor Ilincãi (Faust), Ildebrando D’Arcangelo (Méphistophélès), Krassimira Stoyanova (Marguerite), Markus Brück (Valentin), Stephanie Lauricella (Siébel), Carlton Ford (Wagner/Brandner), Ronnita Miller (Marthe), Lisa-Marie Almunaizel (Kleine Marguerite)

Besuchte Aufführung: 19. Juni 2015 (Premiere)

Berlin FaustKurzinhalt

Faust ist in seiner Suche nach tiefer Erkenntnis gescheitert. Desillusioniert und frustriert will er seinem Leben ein Ende setzen und verflucht Gott und seine Schöpfung. Das ruft den Teufel auf den Plan. Faust verkauft ihm seine Seele und gewinnt Jugend und Potenz zurück. Schwärmerisch umwirbt er die junge Marguerite, die seinem Zauber erliegt und bald darauf ein Kind von ihm erwartet. Von den Freundinnen verhöhnt und von Faust verlassen, steht allein Siébel ihr noch zur Seite. Als Marguerites Bruder Valentin aus dem Krieg zurückkehrt, fordert er Faust zum Duell und wird tödlich verwundet. Im Wahn ermordet Marguerite ihr Kind und kommt in Kerkerhaft. Als Faust sie zur Flucht bewegen will, erkennt sie seinen teuflischen Begleiter und sinkt tot zu Boden.

Aufführung

Das Bühnenbild besteht aus einer massiven Säule in der Bildmitte, um die bunte Szenen- und Standbilder auf einer Drehscheibe rotieren: eingefrorene Kinder- und Jahrmarktszenen, Aufmärsche von Würdenträgern, in den Krieg ziehende Soldaten und zurückkehrende Kriegsversehrte. Eine märchenhaft-kitschige Kulisse aus blinkenden Tannenbäumchen, herabfallendem Schnee und altbacken gekleideten Protagonisten wird grell kontrastiert durch verstörende Masken des Chors, eine „Yes!“-Leuchtreklame und glitzerne Diskoanzüge.

Der Anfang nimmt das Ende vorweg. Während der Ouvertüre bekommt Marguerite ihre Henkersmahlzeit serviert. Im Finale verendet sie durch die Giftspritze zappelnd auf einer Liege.

Sänger und Orchester

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin zeigte sich unter der Leitung von Marco Armiliato in guter Form. Trotz wunderbarer Instrumentalsoli hätte man sich diese romantische Partitur voll attraktiver Melodien, Romanzen und Tänze mit prächtigen Chorszenen zuweilen noch ein wenig klangvoller gewünscht.

Stimmlich und darstellerisch herausragend geht Krassimira Stoyanova in der Rolle der Marguerite auf. Ihr dramatischer Sopran strahlt eine Innerlichkeit aus, die jede ihrer Szenen anrührend macht. Sie singt mit klarer Diktion und zartem Piano in der Höhe. Jeder Ton wird sicher gebildet und korrekt moduliert. Ihrer Aura und Bühnenpräsenz konnte das Drumherum aus Rollendoppelung, der Umdeutung der Liebes- zur Mißbrauchszene und der Hinrichtung durch die Giftspritze nichts anhaben. Teodor Ilincãi hatte es dagegen schwerer, als Titelfigur an Profil zu gewinnen. Schmachtend legte er sich als Liebhaber ins Zeug. Trotz schön gefärbter Tenorstimme paßt sein Timbre eher ins Verdi-Fach. Den Teufel darzustellen, kann teuflisch sein. Ildebrando D’Arcangelo ist es auf eine ganz unsatanische Art gelungen. D’Arcangelo verkörpert keinen dröhnend opulenten Mephistophélès; er singt die Partie sarkastisch und nuanciert. Sein Baß ist weniger voluminös als konzentriert. Die Serenade auf das Goldene Kalb Le veau d’or – Um das Gold dreht sich alle Welt (1. Akt), eine der bekanntesten Nummern der Oper, singt D’Arcangelo verhalten und ohne große Dynamisierungen. Im Quartett Prenez mon bras – Nehmt meinen Arm (3. Akt) harmonierten die Protagonisten perfekt miteinander.

Die Auftritte der unprofilierten, noch aus der Tradition der opéra comique stammenden Nebenpartien waren insgesamt gelungen. In einer Mixtur aus übersteigerter Bruderliebe und patriarchalischem Besitzgehabe wacht Markus Brück (Valentin) stimmlich und darstellerisch souverän über seine Schwester Marguerite. Die Hosenrolle des kindlich naiven Nebenbuhlers Siébel wird von Stephanie Lauricella zart und intonationsrein ausgefüllt. Auch Ronnita Miller (Marthe) überzeugt als komisch groteske Figur, die sich im grünen Jogginganzug über den Teufel hermacht.

Fazit

In Frankreich ist Gounods Faust neben Bizets Carmen die meistgespielte französische Oper. Der Erfolg dieses drame lyrique beruht zu großen Teilen auf der leicht eingängigen, romantischen Partitur. Regisseur Stölzl geht nicht mit der Musik, sondern setzt filmische, vordergründige Kontraste. Beschwingte Tanz- und Trinkszenen konterkariert er durch Standbilder. Während im Finale Stimmen aus der Höhe Erlösung und Ostermorgen verkünden, verreckt Marguerite durch die Giftspritze. Aus fünf Akten macht Stölzl vier, ändert Szenen und setzt den Fokus auf Marguerites Schicksal. Stölzl ist der Meinung, die Oper täte besser daran, die Partituren mehr als Material zu betrachten. Ein Erfolg war ihm damit nicht beschieden: Die Buhrufe übertönten an diesem Premierenabend eindeutig und langanhaltend den Applaus. Musikalisch gesehen verfehlten Fausts Romanze, Marguerites Lied, das Rondo Mephistos, die Chor- und Ballettszenen der Walpurgisnacht dennoch nicht ihre Wirkung.

Norma Strunden

Bild: Matthias Baus

Das Bild zeigt: Krassimira Stoyanova (Marguerite)

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