von Giacomo Puccini (1858-1924), Oper in vier Bildern, Libretto: Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach Henri Murgers Scènes de la vie de bohème, UA: 1. Februar 1896 Turin, Teatro Regio
Regie: Brigitte Fassbaender, Ausstattung: Bettina Munzer
Dirigent: Roland Kluttig, Philharmonisches Orchester, Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio, Chor und Extrachor des Landestheater Coburg,
Solisten: Betsy Horne (Mimì), Ana Cvetkovic-Stojnic (Musetta), Milen Bozhkov (Rodolfo), Thomas de Vries (Marcello), Jiri Rajnis (Schaunard), Tapani Plathan (Colline), Michael Lion (Benoit, Alcindoro), Marino Polanco (Parpignol), u.a.
Besuchte Aufführung: 21. Juni 2015
Kurzinhalt
Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline sind bettelarme Künstler und unzertrennliche Freunde. Sie leben unbeschwert von der Hand in den Mund in einer Mansarde über den Dächern des Pariser Künstlerviertels Quartier Latin. Rodolfo begegnet Mimì und verliebt sich in sie. Marcello erobert seine ehemalige Geliebte Musetta zurück. Den Weihnachtsabend verbringt man im Café Momus. Nach der Trennung von Rodolfo verschlimmert sich Mimìs Krankheit. Sie kehrt zu ihm zurück und stirbt im Kreis ihrer Freunde.
Aufführung
Schuttberge und rußgeschwärzte Ruinen dominieren den grauen Alltag im Paris nach der Befreiung 1945. In diese Umgebung werden die Szenen sparsam möbliert eingebettet: Die Mansarde wird durch Bett, Klapp-Stuhl, Nachttisch und Tonne (in der ein Feuer brennt) gebildet, das Cafe Momus besteht nur aus einem Cafetisch, einem Stehtisch und ein paar Stühlen. Auf dem Weihnachtsmarkt bieten Schieber im Trenchcoat kofferweise Schmuggelware an, der Coca-Cola-Weihnachtsmann verteilt Süßigkeiten, ein US-Tambourmajor läßt den Chor im Gleichschritt an die Rampe marschieren. Statt einer Zollschranke findet sich eine Parkbank auf leerer Fläche, auf dem zwei GI die Personen kontrollieren und Lebensmittel konfiszieren. Die Kleidung entspricht „Frankreich am Ende der vierziger Jahre“.
Sänger und Orchester
Roland Kluttig zelebriert keine epische Klangbreite. Süßliche Momente gibt es nicht. Puccini klingt hier geradlinig und ehrlich, die italienischen Manierismen sind farbig und orientieren sich eher am Blech als an den Streichern. Eine großartige Leistung vollbringen der Chor und ganz besonders der Kinderchor. Die Klangwirkung im Zusammenspiel mit dem Orchester macht das Finale im zweiten Bild zum monumentalen Höhepunkt des Abends – mit Pauken und Trompeten. Überzeugend auch die Sängerleistungen: Unbestrittene Hauptdarstellerin ist Betsy Horne als Mimì: Immer leuchtend und voluminös in den lyrischen Passagen mit viel technischem Glanz, das gilt auch für ihr immer leiser werdendes Piano im Dahinsterben. Milen Bozhkov als ihr Liebhaber Rodolfo ist ein Tenor wie ihn Puccini sich wünschen würde: Mit weichem italienischem Timbre, dabei durchaus durchschlagsfähig und sicher in den Höhen mit schwereloser Leichtigkeit, überzeugt er mit seinen Liebesqualen und seinen Jubelarien. Thomas de Vries ist ein herrlicher Bariton mit schier unerschöpflicher Durchschlagskraft. Mit sicherer Tiefe ist eine Tendenz zum Baßbariton feststellbar. Sein Marcello überzeugt aber auch hinsichtlich Ausdruckskraft, stimmlicher Gestaltung und Reichweite in den oberen Registern. Tapani Plathan kann mit seinem Baß und seiner eisigen Tiefe mit der Mantel-Arie des Colline glänzen und wird mit Szenenapplaus belohnt. Jiri Rajnis hat als jugendlich leichter Spielbariton keine Probleme als Schaunard. Ana Cvetkovic-Stojnic kann die Rolle der Musetta eindrucksvoll gestalten. Ihre leuchtende und durchschlagsstarke Stimme geht zwar bei manchen hohen Tönen fehl, dennoch besteht manchmal Verwechslungsgefahr zwischen Mimì und Musetta.
Fazit
Wenig überzeugend oder gar mitreißend ist das, was die große Sängerin Brigitte Fassbaender hier als Regisseurin vorstellt: überall Ruinen. Dabei hat Paris den Zweiten Weltkrieg unzerstört und ohne Ruinen überstanden! Was die amerikanischen Schmuggler verkaufen, bleibt unklar: Die amerikanische Kultur (Coca-Cola und Cheewing Gum) können aber selbst die GI nicht durchsetzen. Auch die Idee, daß sich Mimì und Rodolfo bereits kennen (und zum Finale im ersten Bild eine „kleine Nummer“ andeuten) führt sämtliche Texte ad absurdum: Ein zaghaftes Kennenlernen um die verloschene Kerze und das eiskalte Händchen gibt es nicht. Der Aufzug der Wache gerät zum Schülertheater, so wenig überzeugend ist er choreographiert. Musikalisch ist die Produktion, dank der Solisten und dem Kinderchor im zweiten Bild, ein Puccini würdiges Erlebnis.
Oliver Hohlbach
Bild: Henning Rosenbusch
Das Bild zeigt: Sterbeszene in der Mansarde mit Muff