LES TROYENS – Hamburg, Staatsoper

von Hector Berlioz (1803-1869), Oper in 5 Akten, Libretto: Hector Berlioz nach Vergils Äneis, Strichfassung für die Hamburger Aufführung von Pascal Dusapin, UA: 5.-6. Dezember 1890 Karlsruhe, Hoftheater

Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Michaela Barth, Licht: Norman Plathe, Dramaturgie: Johannes Blum

Dirigent: Kent Nagano, Philharmoniker Hamburg, Chor der Hamburger Staatsoper

Solisten: Torsten Kerl (Enée), Kartal Karagedik (Chorèbe), Alin Anca (Panthée), Petri Lindroos (Narbal), Markus Nykänen (Iopas), Christina Gansch (Ascagne), Catherine Naglestad (Cassandre), Elena Zhidkova (Didon), Katja Pieweck (Anna), Julian Prégardien (Hylas), Stanislav Sergeev (Priam), Zak Kariithi (Un chef grec), Bruno Vargas (L’ombre d’Hector-Mercure), Daniel Todd (Helenus), Marta Swiderska (Hécube), Catrin Striebeck (Andromache)

Besuchte Aufführung: 19. September 2015 (Premiere)

Hamburg LESTROYENS1Kurzinhalt

Die Oper orientiert sich am bekannten Aeneis-Mythos: Troja fällt durch die List der Griechen, die Seherin Kassandra muß dabei tatenlos zusehen. Der Tojaner Aeneas flieht mit seinen Leuten, da die Götter ihm den Auftrag gegeben haben, mit Rom ein zweites Troja in Italien zu errichten. Unterwegs landen sie in Karthago, wo sich die dortige Königin Dido unsterblich in Aeneas verliebt. Nach kurzem Liebesglück jedoch verläßt Aeneas Dido wieder in Richtung Italien, da ihn der Auftrag ruft. Dido verflucht Aeneas und die Trojaner, dann geht sie in den Freitod.

Aufführung

Die neue Strichfassung entfernt alle spektakulären Elemente, wie sie zum Stil der grand opéra gehören und setzt rein auf die Kernhandlung, die hierdurch fragmentisch wirkt. Die Inszenierung paßt dazu: Große Bühneneffekte gibt es nicht mehr. Das Historische verschwindet in der Abstraktion, was sich auch an den Kostümen erkennen läßt. Die Jagdszene im vierten Akt ist komplett schwarz, es regnet. Das Ballett der Sklaven ist ein ‚entlarvendes‘, quälend langsames Vorbeiziehen der Besiegten. Abgesehen von zwei Holzwänden an den Seiten und einem riesigen Tor, das sich wie ein Mühlrad um sich selbst dreht, bleibt die Bühne leer. Mehrmals ergießt sich von oben ein Schwall mit Blut auf das Tor, Tod und Unglück symbolisierend. Die Personenführung bleibt statisch, Bewegungen geschehen oft in Zeitlupe, als wären die Akteure gelähmt. Vieles aus dem Libretto wird nur angedeutet, Requisiten gibt es fast keine.

Sänger und Orchester

Kent Nagano wird mit den Philharmonikern Hamburg seinem Ruf als Experte für die französische Oper voll gerecht. Der Orchesterklang ist ungewöhnlich farbenreich, plastisch präsent, dabei luftig und wendig, den Gesang nie überdeckend. Insbesondere die Holzbläsersoli ragen hervor und verschmelzen mit dem Gesang, wodurch sich individuelle Klangeffekte ergeben. Wo das Orchester französisch klingt, ist das im Ensemble nicht immer ganz der Fall. Catherine Naglestads (Kassandra) kommt schauspielerisch angemessen dramatisch daher, intonatorisch gerät sie aber im ausufernden Duett mit Aeneas sowie in ihren Soli an die Grenze, nicht nur in Sachen Textverständlichkeit, sondern auch in der stimmlichen Reichweite. Elena Zhidkova kann als ihr Gegenstück Didone eher überzeugen, da ihr Vortrag nicht nur durchdringend ist, sondern auch geschmeidiger in der Höhe und wendiger in der Phrasierung. Ihr Schwanken zwischen Furie und gebrochener Frau am Ende weiß zu berühren. Ihr Liebesduett mit Torsten Kerls distanziertem Aeneas gerät erwartungsgemäß zum Höhepunkt der Aufführung. Der eigentliche Protagonist neben diesen dreien ist jedoch der stimmgewaltige Chor der Hamburgische Staatsoper, der sowohl in voller Besetzung als auch bis ins Ensemble ausgedünnt eine gute Figur macht. Die zahlreichen kleinen Rollen sind von Didos Schwester Anna, Katja Pieweck, bis zu Hylas, Julian Prégardien, ebenfalls adäquat besetzt, haben aber kaum etwas zu tun, so daß ihre Beiträge wenig ins Gewicht fallen.

Fazit

Das Premierenpublikum sparte nicht mit Jubel, zumal Kent Nagano mit dem Orchester zu begeistern wußte. Davon abgesehen aber war diese Aufführung der Trojaner Regietheaterstandard und auch gesanglich Durchschnittskost. Über die vollen vier Stunden konnte die Inszenierung leider nicht tragen. Dafür fehlte auch schlichtweg, bei allem Respekt vor einer kritischen Sichtweise auf den Stoff, der Unterhaltungswert.

Dr. Aron Sayed

Bild: Hans Jörg Michel

Das Bild zeigt: Catherine Naglestad (Cassandre), liegend, Chor der Hamburgischen Staatsoper

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