Il Germanico
von Nicola Porpora (1686-1768), Opera seria in drei Akten von Niccolo Coluzzi, Aufführungsfassung und Einrichtung für Orchester: Alessandro De Marchi, UA: 1732 Rom
Regie: Alexander Schulin, Bühne/Kostüme: Alfred Peter
Dirigent: Alessandro De Marchi, Academia Montis Regalis
Solisten: Patricia Bardon (Germanico), David Hansen (Arminio), Klara Ek (Rosmonda), Emilie Renard (Ersinda), Hagen Matzeit (Cecina), Carlo Vincenzo Allemano (Segeste).
Besuchte Aufführung: 16. August 2015
Seit 1997 war René Jacobs für bedeutsame Aufführungen bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck verantwortlich. Ab 2010 ist Alessandro De Marchi Leiter der Festwochen, und es ist ihm gelungen, die Festwochen zu einem der führenden Festivals zur Pflege der Barockmusik zu machen. Die Innsbrucker Festwochen boten 2015 ein reichhaltiges Programm mit wiederum drei Opern, Konzerten und vielerlei Kleinkunst. Die Hauptproduktionen im Tiroler Landestheater, das regelmäßig aus allen Nähten platzt. Dann der historische Innenhof der Theologischen Fakultät, womit man jüngeres Publikum anziehen will, wo eine halbszenische Produktion im kleineren Rahmen open air gezeigt wird.
Das Publikum war stets begeistert. Als ein weiterer Spielort wurde dieses Jahr der Spanischen Saal im Schloß Ambras, einer monumentalen Renaissance-Residenz vor den Toren Innsbrucks, genutzt.
Aufführung
In der in Rom aufgeführten Oper Il Germanico geht es um die (nie stattgefundene) Gefangennahme und Unterwerfung des Arminius, des Siegers der Varusschlacht. Während seine Gattin Rosmonda zu ihm steht, wechseln sein Schwiegervater Segeste und die in den römischen Feldherrn Cecina verliebte Ersinda die Seiten. Handlungsort ist eine ungenannte germanische Stadt, die von Germanicus erobert wird. Bildlich besteht sie aus vielen Säulen, Bögen, Treppenabsätzen und Sträuchern, die sich auf einer großen Drehbühne zu immer neuen Spielflächen verändern lassen. Die Kostüme entsprechen der Entstehungszeit der Oper, sind sehr farbenfroh der italienischen Barockzeit entlehnt. Die Denkmalposen eines Herrscher-Standbildes wie Germanico werden Zentrum ganzer Akte.
Sänger und Orchester
Alessandro De Marchi hat das richtige Gespür für barocke Gefühle und Effekte, findet Lösungen für das Ensemble, Frauenrollen werden möglich, obwohl in Rom seinerzeit keine Frauen auf der Bühne auftreten durften. Die Academia Montis Regalis ist ein bestens eingestelltes Barockorchester ohne Vibrato in den Streichern, das mit den entsprechenden barocken Spezialinstrumenten wie Theorbe ergänzt ist.
Il Germanico ist ein Vokalfeuerwerk der Virtuosität, der Zelebrierung von Gefühlswallungen aller Arten. Die Arien sind so gestaltet, daß sie nie den Spannungsbogen verlieren. Das erfordert natürlich auch die Gestaltungsmöglichkeiten der Solisten heraus: An erster Stelle ist Patricia Bardon zu nennen, deren Mezzo weit in die Tiefe reicht: unverwechselbar mit tiefem männlichen Timbre, genau richtig für den römischen Helden Germanico (oder eventuell für Oktavian im Rosenkavalier!), der den germanischen Heerführer Arminio unterwirft und durch den Countertenor David Hansen eine mitreißende Verkörperung erfährt: Technisch perfekt kann er seinen großen Stimmumfang nutzen, um mit schwerelosem Pathos große Gefühlswelten zu vermitteln.
Hagen Matzeits ist der zweite Countertenor, der über die richtige Leuchtkraft, gerade in den hohen Registern, verfügt, um den Cecina als komischen Liebhaber zu charakterisieren. Carlo Vincenzo Allemano hat es als Segeste wesentlich einfacher, denn als grundsolider Tenor kann er mit sicherer Intention sich ausleben. Die beiden Damenrollen sind glaubhaft aufgehoben: Klara Ek als Arminios treue Gattin Rosmonda kann sich in Wut, Verzweiflung und inniger Liebe als jugendlich klarer Sopran darstellen, während Emilie Renard (Ersinda) als etwas leichtlebiger Mezzo durchgeht.
Fazit
Der Regisseur Alexander Schulin konzentriert sich darauf, die Handlung plastisch zu verdeutlichen, Beziehungen und Handlung sind rasch verständlich. Die Personenchoreographie schafft nicht nur einzelne Szenen, sondern ganze Aneinanderreihungen von Bildern und Assoziationen. Viereinhalb Stunden vergehen wie im Flug, hier gelingt der Nachweis, daß Barockopern auch ohne Striche nicht langweilig werden.
Armide
von Jean-Baptiste Lully (1632-1687), Tragédie en musique in drei Akten, Libretto: Philippe Quinault, nach La Gerusalemme liberata (1575) von Torquato Tasso, UA: 25. Januar 1686, Paris
Regie: Deda Cristina Colonna, Bühnenbild, Kostüme und Lichtdesign: Francesco Vitali
Dirigent: Patrick Cohen-Akenine, Les Folies françoises, Nordic Baroque Dancers, Tanzmeisterin: Karin Modigh
Solisten: Elodie Hache (Armide), Joao Pedro Cabral (Renaud), Daniela Skorka (Phenice), Miriam Albano (Sidonie), Pietro di Bianco (Hidraot), Jeffrey Francis (La Haine), Tomislav Lavoie (Aronte/Ubalde), Enguerrand de Hys (Artemidor/Le chevalier danois)
Besuchte Aufführung: 22.August 2015 (Innenhof der Theologischen Fakultät)
Die Freilichtaufführung der Oper Armide im Innenhof der Theologischen Fakultät ist Teil des Projektes BAROCKOPER:JUNG. Für junges Publikum wird das Stück im theatergerecht gemachten Rahmen der Gewölbe und Arkaden entsprechend poppig inszeniert. Es gibt nur ein Podium, das sich Sänger und Orchester teilen. Ein Bühnenbild besteht im Höchstfall aus Trennwänden vor der großen Fassadenwand mit Rundbögen, die farbenfrohen, sehr aufwendigen Kostüme entsprechen der Glanzzeit des Sonnenkönig Ludwig XIV. Entsprechend jung auch das Ensemble! Diese sind Studenten des Centre de musique baroque de Versailles und damit Schüler des Patrick Cohen-Akenine, der auch das auf historischen Instrumenten spielende Orchester Les Folies françoises gegründet hat. Die Nordic Baroque Dancers sind für die in barocker Tradition stehenden Ballett-Einlagen in dieser Oper zuständig: Die Unterschiede zum heutigen, klassischen Ballett sind zahlreich und groß.
Sänger und Orchester
Die sängerischen Leistungen der am Anfang ihrer Kariere stehenden Solisten sind entsprechend verheißungsvoll: Elodie Hache (Armide) und Joao Pedro Cabral (Renaud) spielen die Hauptrollen in dem Stück über den Kreuzfahrer Rinaldo (unter diesem Namen erreichte die Händeloper seit der Uraufführung 1711 große Bekanntheit), der der Zauberin Armide verfällt und ihr am Ende doch entkommt. Elodie Hache hat sich bereits als durchschlagskräftiger Mozartsopran einen Namen gemacht, Joao Pedro Cabral könnte sich als lyrischer Tenor im italienischen Fach oder als Mozarttenor durchsetzen. Von den Nebenrollen setzte sich Jeffrey Francis mit einer großen Arie als göttergleicher Haß (La Haine) als durchschlagskräftiger Tenor mit viel Schmelz in der Höhe in Szene.
Fazit
Das geringe Platzangebot im Innenhof der Theologischen Fakultät wird leider dafür sorgen, daß die erhoffte Breitenwirkung auf Jugendliche für BAROCKOPER:JUNG nur eingeschränkt wirksam wird: Viel zu begehrt waren die Karten!
Szenisch sind die beiden besuchten Opernproduktionen an das moderne Regietheater angepaßt – sozusagen „Barockwerkgetreu“. Der historischen Aufführungspraxis fühlt man sich nicht verpflichtet. Musikalisch bewegt man sich auf „Festspiel-Niveau“. Das ist vor allem Alessandro De Marchi zuzurechnen, der eine spielbare Partitur aus dem historischen Notenmaterial erstellt hat, um Il Germanico überhaupt auf die Bühne bringen zu können. Die Armide von Lully in Zusammenarbeit mit dem Centre de musique baroque de Versailles ermöglicht einen Vergleich zwischen italienischem, deutschem und französischen Barock.
Oliver Hohlbach
Bilder: Festwochen der Alten Musik, Innsbruck