von Vincenco Bellini (1801-1835); Melodramma in zwei Akten, Libretto: Felice Romani nach einem Libretto von Eugène Scribe zum Ballett La sonnambule (1827) von Jean-Pierre Aumer, UA: 6. März 1831 Mailand, Teatro Carcano
Regie: Michael Sturminger, Bühne/Kostüme: Andreas Donhauser, Renate Martin
Dirigent: Marco Comin, Orchester, Chor und Extrachor Staatstheater am Gärtnerplatz, Choreinstudierung: Felix Meybier
Solisten: Maxim Kuzmin-Karavaev (Graf Rodolfo), Anna Agathonos (Teresa), Jennifer O’Loughlin (Amina), Alessandro Luciano (Elvino), Maria Nazarova (Lisa), Martin Hausberg (Alessio)u.a.
Besuchte Aufführung: 8. Oktober 2015 (Premiere)
Die Hochzeit von Amina und Elvino steht kurz bevor. Die öffentliche Verlobung findet in Lisas Gasthaus statt, in dem sich Graf Rodolfo auch einquartiert. In der Nacht verirrt sich die schlafwandelnde Amina in Rodolfos Zimmer. Am nächsten Morgen findet Elvino Amina schlafend auf dem Bett des Grafen, beschuldigt sie der Untreue und will nun wieder Lisa heiraten. Der Graf versucht Aminas Unschuld zu beweisen und der Dorfgemeinde das Phänomen des Schlafwandelns zu erklären. Genau in diesem Moment erscheint die schlafwandelnde Amina. Alle erkennen, daß ein schlafwandelnder Mensch nicht bei Sinnen ist. Auch Elvino ist nun von Aminas Unschuld überzeugt und der Hochzeit steht nichts mehr im Wege.
Aufführung
Eine relativ einfache Bühnenausstattung erweist sich als äußerst praktisch: Den Hintergrund zeigt mit Hilfe einer Video-Projektion einer Gebirgslandschaft mit sprudelndem Wasser. Diese Projektion läßt sich gegen weitere naturalistische Wald- oder Gebirgslandschaften austauschen. Auf einem Podest fährt das luxuriöse Gäste-Zimmer (mit durchsichtigen Rückwänden!) auf die Bühne, gediegene Holz-Tische und Stühle bilden den Versammlungsraum, der mit Blumen und Tischtüchern auch festlich geschmückt werden kann. Die detailverliebten Kostüme entsprechen der italienischen Mode um 1830 und lassen einige modische Parallelen zum deutschen Biedermeier zu.
Sänger und Orchester
Es stimmt, daß Bellini schwach ist was Harmonie und Orchestrierung anbelangt: aber er ist reich an Gefühlen und (…) Melancholie (…), gibt es lange, lange, lange Melodien, wie niemand vor ihm sie geschaffen hat. Und was für Wahrheit und Ausdruckskraft! So äußerte sich Verdi über Bellini, und er hätte sicherlich an diesem Abend beifällig genickt, begeistert von den Sängern, die vermitteln können, welcher Glanz, welche Strahlkraft aus dem Belcanto leuchten kann. Einer der Leistungsträger ist Alessandro Luciano in der Tenorrolle des Elvino. Er klettert ohne hörbare Anstrengung oder Stemmen in die höchsten Höhen und zaubert mit klarer Stimme ein schwieriges Legato nach dem anderen hervor. Man hört, daß hier viel Erfahrung als Rodolfe im Wilhelm Tell (Pesaro) vorhanden ist. Eine mehr als ebenbürtige Partnerin hat er in Jennifer O’Loughlin als seine Schlafwandlerin Amina. Traumhaft sichere Koloraturen, deren Schwierigkeitsgrad der Königin der Nacht in nichts nachstehen, eine klare, reine und dynamische Stimme, mit der sie das Publikum spielerisch um den Finger wickelt: Mit der Schlußarie, mit der sie ihre Liebe zu Elvino erklärt. Ah! Non credea mirarti, Si presto estinto, O fiore – Ah! Ich hätte nicht geglaubt, oh Blume, dich so schnell verwelken zu sehen. Maxim Kuzmin-Karavaev ist als Graf Rodolfo als weicher klangverliebter Baß mit Reichweite bis zu den exponierten Höhen unterwegs. Ihm würde man in diesen Höhen auch einen Tenor abnehmen. Maria Nazarova als verliebte Wirtin Lisa, macht den jugendlichsten Eindruck, und kann mit ihrer hellen Stimme viele Reize entwickeln. Ihr perlendes Singen im Legato ist bemerkeswert. Auch die Nebenrollen können in diesem Konzert der Stimmen mithalten. Anna Agathonos ist Teresa, die nachdenkliche Ziehmutter der Amina, Martin Hausberg der lethargisch gescheiterte Liebhaber Alessio. Marco Cumin, der richtige Mann am Pult, dämpft das Orchester. Die Sänger haben keine Probleme, musikalisch zu dominieren und im Orchester den idealen Begleiter zu finden. Besonders in der messerscharfen Überakustik des Prinzregententheaters eine wahrhafte Leistung. Auch dem bestens disponierten Chor des Gärtnerplatztheaters gelingt ein harmonisches Zusammenspiel mit Orchester und Solisten. Es ist schon faszinierend, wie leicht und brillant sich Bellini anhört, obwohl die gesangstechnischen Ansprüche hoch sind.
Fazit
Sämtliche Vorstellungen sind ausverkauft (auch unter der Woche!) und das Publikum tobt vor Begeisterung über die Sänger, das Orchester und die Regie: Eine Produktion, die einer Staatsoper würdig ist! Und ein Beleg, daß Belcanto-Sängeropern keineswegs nur eine langweilige, einfach gestrickte Handlung bieten, sondern dank einer durchdachten und handwerklich soliden Personenregie zusammen mit einer einfachen, aber phantasievollen Bühnenausstattung zu einem sehr spannenden Opernabend führen. Da capo!
Oliver Hohlbach
Bild: Thomas Dashuber
Das Bild zeigt: Jennifer O’Loughlin (Amina), Alessandro Luciano (Elvino) und Chor und Extrachor Staatstheater am Gärtnerplatz